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| Immer wieder sieht ein Rabbi einen Mann rennen. Eines Tages spricht er ihn an: "Hei Mann! Immer wenn ich Sie erblicke, rennen Sie. Wo rennen Sie denn hin. Wem rennen Sie denn nach?" Ganz außer Atem antwortet der Mann: "Ich renne der Zukunft entgegen. Ich renne der Karriere nach, dem Geld, der Top-Position - diese werden ja immer rarer. Ich renne dem Glück nach!" "Ja" - sagt der Rabbi - "und was ist, wenn das Glück hinter Ihnen ist. Dann rennen Sie ständig dem Glück davon. Schauen Sie sich doch einmal um. Blicken Sie zurück auf das, was hinter Ihnen ist!" Meine Damen und Herren, sollten Sie schon einmal auf der Innpromenade den vorbeiflitzenden Kollegen Martin Hasitschka gesehen haben, sollte er Ihnen beim Bergsteigen begegnet sein oder aber beim Langlaufen, bei einer Skitour oder gar im Universitätssportinstitut beim Schwimmen, so wäre es nicht ganz abwegig gewesen, wenn Sie ähnlich reagiert hätten wie der Rabbi: "Martin, wo rennst Du denn hin? Wem rennst Du nach?" Der Anblick eines Mannes, der noch schnell vor dem Sonnenaufgang die Serles oder gar den Habicht gleichsam en passant mitgenommen hat, um am späteren Vormittag im Vorlesungshörsaal zu sitzen - "Jugendsünde" - nennt er das heute - dieser Anblick verleitet dazu, in ihm den typisch modernen Menschen zu erblicken, einen Menschen, der seinen Zielen nachrennt und dem Glück nachjagt: Weil er Angst hat etwas zu verpassen. Vor mehr als 25 Jahren bin auch ich einmal langlaufen gegangen - das hat mir auch gereicht - auf der Olympialoipe in Seefeld. Martin rannte los, ich ihm japsend und keuchend nach. Immer und immer wieder drehte sich Martin um und fragte: "Geht's noch?" Im Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte" heißt es: "Ich fürchte kein Unheil, denn Du bist bei mir"... und dann gewissermaßen als Folge dieses Vertrauens: "Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang!" Man könnte es auch übersetzen: Gnade und Glück werden mich verfolgen mein Leben lang, wenn der Herr mein Hirte ist. Lieber Martin, obwohl Du in Sachen sport geradezu ein süchtiges Verhalten an den Tag legst, rennst Du nicht irgendeinem modernen Ziel nach, Du rennst weder dem Geld nach noch der Topposition. Die 65 Jahre deines Lebens können auch schwerlich mit dem Prädikat "modern" qualifiziert werden. Du schautest ja immer zurück auf das, was hinter dir ist, und entdecktest immer neu, dass Gnade und Huld dich dein Leben lang verfolgten. Schon zu Hause mußte der älteste Sohn zurückschauen auf jene Geschwister, die hinter ihm kamen. Sieben an der Zahl - wie die sieben Kühe im Traum des biblischen Josefs. Ob es fette oder magere waren, das vermag der Laudator nicht zu beurteilen. Übrigens: wussten Sie, was das Wesenselement des Lobes ist - Laudatio ist ja ein Lob: "Ein Wesenselement des Lobes ist das Erhöhen, d.h. im Loben bin ich ganz auf den gerichtet, den ich lobe, blicke von mir weg, gebe ihm Raum in mir, verehre und bewundere ihn" - so Martin Hasitschka in einem Beitrag zum Thema: "Das Gotteslob als Grundhaltung des Glaubens". Seine Lobdefinition zielt freilich auf Gott hin: "Anlass und Gegenstand des Lobes ist im Grunde immer ein einziger: Gott (aber) in seinem vielfältigen Handeln am Menschen." "Also lasst uns loben - Schwestern und Brüder -, lasst uns loben, immer loben, Gott den Herrn, der ihn erhoben und so wunderbar erwählt", ihn, den Steyerer Buben (die Familie war ja aus Wien kriegsbedingt in die Steiermark zugezogen), den Buben, dessen Kindheit durch das Ministrantenglück geprägt war, der mit vierzehn nach Graz ging, in die Welt der Technik eintauchte, Maschinenbau lernte, mit dem Studium an der Technischen Hochschule in Graz begann und mit Jesuiten in Verbindung kam. "Marianische Kongregation": das war der Beginn der Lebensgeschichte des zukünftigen Jesuiten. 1964 trat er in das Noviziat in St. Andrä im Lavantal ein, erlebte einen begnadeten Novizenmeister P. Josef Müllner, der später auch ganze Generationen von Canisianern als Spiritual begleitete. In den Orden eingetreten konnte der Physikliebhaber seine Hände nicht lassen von den physikalischen Formeln. Deswegen legte er die Blätter aus Physikbüchern in das Liber Manualis, jenes dicke Buch, das mit Neumen gefüllt ist und dem gregorianischen Chorgesang ein unentbehrlicher Begleiter war, inzwischen aber nur den Älteren unter uns noch ein Begriff bleibt. Nein! Chorgesang mochte er nicht, repetierte deswegen während der Lobgesänge der Novizen Physik und lernte auch Griechisch. Ob das der Grund ist, dass er später einen Aufsatz schrieb: "Das gespaltene Ich in Röm 7,25b"? Schon im Noviziat begann also die andere Sucht: Immer und immer wieder in der Bibel zu lesen. Kein Wunder, dass der Student sich im Studium auf die Bibel konzentrierte. "Mit Furcht und Zittern" gab er seine Dissertation im Jahre 1975 bei P. Nikolaus Kehl ab. "Traditionsgeschichtliche Einordnung der synoptischen Berichte von der Versuchung Jesu". "Mit Furcht und Zittern", weil man - so Originalton M.H. - "weil man nie so recht wusste, was P. Kehl dachte". Das Doktoratsstudium stellte einen "sehr einsamen Weg" dar. Da blickte der Doktorand oft auf jene zurück, die irgendwo hängen geblieben sind: in den vielen Gletscherspalten der wissenschaftlichen Bergtour zu den Gipfeln. "Gnade und Huld werden dich verfolgen dein Leben lang!" Das Zurückblicken und das Nichtübersehen jener, die hinter dir stehen, wurde dem späteren Professor fast zur Lebensregel. Als aufmerksamer Begleiter von Arbeiten zieht er Studierende geradezu an. Zahlreiche DiplomandInnen, 18 fertige DissertantInnen und 9 angemeldete Doktoranden, unzählige Prüfungskandidaten erlebten und erleben einen Professor, der nicht nur zurückblickt, sich nach ihnen umschaut. Blicken die verunsicherten Studierenden selber zurück, so entdecken sie hinter ihnen den hilfreichen Professor, der, wie der Inbegriff von Huld und Gnade, ihnen folgt, ja sie geradezu verfolgt. Ihr ganzes Dissertantenleben lang. Um ihnen zu helfen und sie auch aufzufangen. P. Müllner lud den jungen Doktoranden Hasitschka ein ins Canisianum, eine Weichenstellung fürs Leben. Martin schlüpfte in alle möglichen Rollen: "Stockpater" (nicht zu verwechseln mit P. Stock, den Sie heute noch leibhaftig beim Festvortrag erleben werden), "Stockpater", der ständig zurückblicken muss, auf junge Seminaristen und verunsicherte Doktoranden, der sie begleitet (nicht nur in die Hausbar), ihnen auch Exerzitienmeister ist. "Stockpater" und bald auch Assistent an der Fakultät, wo er durch P. Stock die römische Atmosphäre lernen darf (ich meine die Atmosphäre des Biblicums; Martin war ja nie als Student in Rom). Mit dem Habilitationsprojekt emergiert die Liebe zu Johannes auf eine kaum mehr zu übertreffende Art und Weise. "Befreiung von Sünde nach dem Johannesevangelium. Eine bibeltheologische Untersuchung"- lautet der Titel seiner Habilitation. "Bibeltheologie" - so Originalton M.H. - "ist einerseits nicht von der Exegese (und ihren Methoden) zu trennen, erfordert aber anderseits ein spezifisches hermeneutisches Bewusstsein. Hilfreich scheint mir dabei die klassische Lehre vom mehrfachen Sinn der Schrift. ... Der sensus litteralis, der Blick auf das, was sich damals (insbesondere im Wirken des irdischen Jesus) ereignet hat, und der Blick auf die Art, wie es die biblischen Autoren darstellen, führt zum sensus spiritualis, wenn die Leser der Bibel zum personalen Glauben motiviert werden, zum Lieben und Hoffen. Der sensus litteralis ist Fundament der Bibeltheologie. Ihr Forschungsziel ist verknüpft mit der Erfassung des sensus spiritualis." Der Dozent für neutestamentliche Bibelwissenschaft rannte nicht der Karriere des Wissenschaftlers nach, ja, er hat nicht einmal an eine Karriere gedacht. Schleifende Übergänge prägen seinen Lebensweg; Fügungen, bei denen er sich geführt weiß, auf einem guten Weg, auf dem Gnade und Huld ihn verfolgen. So verfolgte ihn auch ein Ruf nach Linz, den der damalige Provinzial P. Komma abgewehrt hat, der aber Martin den Weg in Innsbruck bahnen sollte. Seit 1993 Professor schaute Martin wieder zurück: auf seine Kollegen Oberforcher und Huber und stellte es so an, die sie gemeinsam agierten, auch das Institut leiteten und den Bereich des Neuen Testaments abdeckten. Freilich mußten und müssen die Kollegen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "zwischen den Zeilen" hören, bei einem Chef, der sich entschuldigt dafür, dass er der Chef ist und der sich abmeldet, wenn er geht. Freilich kann auch er hartnäckig sein, er haut auf den Tisch, wenn auch "ganz sanft". Ist das der Grund, dass das gewaltfreie Lamm der Apokalypse aus dem Deckenfresco des Dekanatsitzungssaals die Einladung zu dieser Feier ziert? "Offenbarung des Johannes" ist dem Johannesspezialisten zum Steckenpferd geworden. Kirchenbild der Apokalypse, Bedrängnis der Gemeinde, Bedrängnis der Jüngerinnen und Jünger (auch autobiographisch fokussiert), v.a. aber Christologie: die Lammmetaphorik, die der Neutestamentler konträr zum Main-Stream in der Forschung auf den Gottesknecht bezieht und nicht auf das Paschalamm. Seine synchrone Betrachtung des Textes hat etwas Revolutionäres an sich, seine "unkonventionellen Zugänge" trägt er unter die Leute, nicht nur unter die Studierenden (die zur Vorlesung kommen, obwohl sie über ein genuines Manuskript des Vortrags verfügen: die Zahl der Skripten von Koll. Hasitschka heißt ja inzwischen Legion). Er geht mit seinen Ideen zu internationalen Kongressen und lässt Innsbruck in der Szene der international scientific community präsent werden. Die Organisatoren der Feier haben mir die Rolle des Laudator zugedacht, und was das für P. Hasitschka bedeuten kann, das habe ich schon durch einen Zitat des zu Lobenden vergegenwärtigt. Es heißt zuerst: Lob Gottes. Gott zu loben, dass er diesen Menschen begleitet, mit ihm ist - als guter Hirt -, dass Gnade und Huld ihn folgen. Lieber Martin, was Gnade konkret heißen kann, dass hast Du auch erfahren, als Du in der Welt der Schatten leben musstest, als Dein Augenlicht zu erlöschen drohte. "Muss ich auch wandern durch das Tal des Todesschattens ..." - die Erfahrung, wie zerbrechlich das Leben ist, ist Dir zuteil geworden. Heute sprichst Du vom kleinen Wunder, dass man soet was, wie das Augenlicht retten kann. Du sprichst vom kleinen Wunder der Medizin und wünschst dir zu Deinem 65. Geburtstag, dass das Augenlicht ausrechen möge für die Zeit, die Dir zugedacht ist. Es möge Dir ausreichen, damit Du in den schwierigen Entscheidungssituationen ... - wenn Du etwa in der Bar stehend mit vier verschiedenen Biersorten konfrontiert, minutenlang Etiketten studierst, weil Du dich nicht entscheiden kannst, welches Du trinken sollst - das Licht möge Dir erhalten bleiben, damit Du in schwierigen Entscheidungssituationen, in Deinem "Nestle-Aland" lesen kannst (auch wenn Du ihn auswendig kennst). Das Augenlicht möge Dir erhalten bleiben, damit Du jene siehst, um die Du dich kümmerst, deine Schülerinnen und Schüler. Die Hörerinnen bei den unzähligen Vorträgen, die Freundinnen und Freunde. Es möge dir erhalten bleiben, damit Du die Berge siehst und die Gletscher, die "nicht mehr so weiß sind", wie zur Zeit deiner "Jugendsünden". Es möge Dir erhalten bleiben, damit du auch P. Stock siehst, mit dem du spartanisch unterwegs bist (das Spartanische liegt am Römer Stock, nicht am Innsbrucker Hasitschka). Es möge dir erhalten bleiben, damit du möglichst lange nach Antworten suchen kannst auf die Frage, die Jesus dem Exegeten und Bibeltheologen stellt: "Für wen halten die Menschen den Menschensohn? Für wen hältst Du mich?" Derjenige, der schon Schwierigkeiten hat, zwischen vier Biersorten zu wählen, kann diese einfache Frage nicht wie Petrus mit einem Satz beantworten. So würde er sagen - wiederum Originalton M.H. -: "Meine Christusvorstellung lässt sich schwer in eine 'Kurzformel' bringen. Sie verändert sich und wächst. Das hängt auch zusammen mit den Veränderungen in meiner Lebenssituation. ... Außerdem: Die Frage nach Christus ist für mich zutiefst verbunden mit der Gottesfrage. Mit dem Gedanken vom Deus semper maior verbindet sich für mich Christus semper maior. Deswegen: schon vom irdischen Jesus würde ich sagen: viele biblische Vorstellungen und Hoheitsbezeichnungen treffen auf ihn zu. In der Frage nach Jesus Christus helfen mir zur Zeit vier Aussagen. Erkenntnis der Herrlichkeit (doxa) Gottes auf dem Antlitz Christi. Christus ist 'das Bild/die Ikone' des unsichtbaren Gottes. Er hat Kunde gebracht von Gott (exogeomai) - Jesus ist der Exeget Gottes. Und: der Auferstandene ist 'mit uns'. Damit verbunden (unvermischt und ungetrennt) die Vorstellung: Gott selbst ist 'mit uns'. Wenn Sie - meine Damen und Herren - mehr wissen wollen, wie Koll. Hasitschka die simple Frage von Jesus beantwortet, besuchen sie eine Vorlesung von ihm. Lieber Martin: Gnade und Huld haben Dich in deinem Leben verfolgt. Mögen sie Dich weiterhin verfolgen. Dein Leben lang! |