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Schwager Raymund: Die Selbstmanipulation der Menschheit und ihre theologische Beurteilung
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Die Selbstmanipulation der Menschheit und ihre theologische Beurteilung

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Vortrag in Bozen
Datum:2001-10-11

Inhalt

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Die Menschen werden - im Unterschied zu den Tieren - nicht nur von Instinkten geleitet. Sie sind weltoffen, verfügen über Freiheit und haben die Aufgabe, die Umwelt, das eigene Leben, die Gemeinschaft und die Zukunft zu gestalten. Seit Kulturen geschaffen wurden, gibt es deshalb auch jene Formung und Selbstgestaltung des Menschen, die wir Erziehung nennen. Die Menschen wachsen nicht einfach naturwüchsig wie Pflanzen und Tiere. Jeder Neugeborene muß schrittweise erzogen werden und jede Kultur ist ein dauerndes und kollektives Erziehungswerk. Diese große und traditionelle Aufgabe hat durch den Erfolg der Naturwissenschaften und Technik eine ganz neue Dimension erhalten, eine Dimension der Steigerung und der Verschärfung, - Verschärfung der Problematik und Ausweitung der Verantwortung.

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1) Der Glaube an das nahe Ende und die Möglichkeit der Selbstvernichtung

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Die Naturwissenschaften sind von sich aus weder gut noch böse; sie sind aber auch nicht wertneutral, wie oft behauptet wurde, denn sie werden, wie der bekannte Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker betont hat, von einer "Erkenntnis ohne Liebe" (1) vorangetrieben. Diese Erkenntnis sammelt auf naturhafter Ebene immer mehr Einzelwissen, fördert aber weder das Zusammenleben noch das wechselseitige Verstehen. Sie ist technisch sehr wirksam und steigert vor allem die Macht, die Macht über die Natur und über die Mitmenschen. Wissenschaft und Technik sind deshalb zwar nicht böse, wohl aber haben sie, wie C.F. von Weizsäcker ebenfalls betont hat, einen verschärfenden Charakter. (2) Durch sie werden neue Formen des Guten, aber auch ganz neue Dimensionen des Bösen und der Zerstörung möglich. Das wissenschaftlich-technische Unternehmen, das mit großen Versprechungen bezüglich der Verbesserung der Welt angetreten ist, erweist sich deshalb als ein gewagtes Abenteuer. Der gefährliche Charakter dieses Abenteuers wurde den Menschen erstmals voll bewußt, als es gelang, Waffen zu konstruieren, mit denen die Menschheit sich grundsätzlich selber vernichten könnte. Die Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften wendet sich heute auf ihre Urheber, auf die Menschen zurück, und macht aus der Erfolgsgeschichte eine Bedrohungsgeschichte. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes hat zwar die atomare Bedrohung stark abgenommen; aber die Waffen bleiben und werden im einzelnen sogar ständig verbessert. Die Grundproblematik bleibt deshalb erhalten und kann in kurzer Zeit wieder eine neue Virulenz erhalten. Wie ist das theologisch zu beurteilen?

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Jesus hat durch seine Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft den Menschen die Nähe Gottes erschließen wollen, und er hat sie damit zugleich in eine neue Art der Verantwortung gerufen. Er sprach von einem nahen Ende und die apostolische Verkündigung hat dieses Thema breit aufgegriffen. Was war damit gemeint? Die offizielle Kirche hat die Rede vom nahen Ende fast von Anfang an im Sinn des individuellen Todes verstanden. Deshalb wurde immer wieder verkündet: ‚Gedenke Mensch, daß du sterben mußt'. Durch alle Jahrhunderte hindurch gab es aber Christen, die das Ende auf die ganze Menschheit bezogen. Sie meinten, Gott selber werde in naher Zukunft machtvoll eingreifen, der Geschichte der Menschheit ein Ende setzen und Gericht über sie halten. Trotz aller Enttäuschungen, zu denen diese zeitlichen Erwartungen führten, sind sie nie ausgestorben und wurden in Krisenzeiten stets neu virulent. Seit der Gründung des Staates Israel und dem Sechs-Tage-Krieg glauben manche sogar neue klare Anhaltspunkte für zeitliche Berechnungen zu haben. In diesem Zusammenhang sei nur das Buch Alter Planet Erde wohin? von H. Lindsey (und C. Carlson) erwähnt, das ein weltweiter Bestseller wurde und eine Auflage von 20 - 30 Millionen Exemplaren erreicht haben soll. (3) Der Autor glaubt, gestützt auf das Buch Daniel und die Offenbarung des Johannes klare Aussagen über einen baldigen kommenden Weltkrieg machen zu können. Dieses Buch steht im Kontext der sogenannten Harmagedon-Theologie in den USA, einer Theologie, die auch den früheren Präsidenten Reagan beeinflußt hat (4) und die weltweit viele Christen beschäftigt. Mit Harmagedon ist gemäß der Offenbarung des Johannes (16.16) der Ort des Endkampfes gemeint, wo die Hure Babylon besiegt wird.

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Was ist von solchen zeitlichen Erwartungen zu halten? Daß eine ganz neue Form der Bedrohung auch nach einer theologischen Deutung ruft, ist verständlich, ja notwendig, selbst wenn solche Deutungen nicht leicht zu geben sind. Zwei Faktoren lassen sich heute aber klar festhalten. 1) Die biblische Rede vom Gericht ist komplex. Zentrale Texte zeigen, daß damit nicht in erster Linie ein äußeres Eingreifen Gottes in die Geschichte, sondern ein Selbstgericht der Menschen gemeint ist. Die Gewalttat fällt auf das Haupt des Täters zurück, wie psalm 7 sagt, oder Gott zürnt, indem er die Menschen ihren eigenen Begierden und bösen Gedanken ausliefert, wie Paulus in Röm 1,18 - 32 darlegt. Welche Formen und Dimensionen dieses Selbstgericht annehmen kann, läßt sich vom biblischen Texten allein her nicht eindeutig beantworten. Die Offenbarung des Johannes zeigt aber klar, daß in der Zeit nach dem Kommen Christi die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse sich steigert; es ist weder eine Zeit des Glücks noch eine Zeit des Unglücks, sondern eine Zeit der Verschärfung. Es ist eine Zeit, in der genau das sich abspielt, was C.F. von Weizsäcker bezüglich der Naturwissenschaften sagt. Die Möglichkeiten von Gut und Böse werden größer und die Auseinandersetzungen schwieriger und drängender. 2) Jene geistige Revolution, die zum Entstehen der Naturwissenschaften und der Technik geführt hat, ist nicht zufällig entstanden. Die historische Forschung weist heute klar nach, daß vielfältige christliche Einflüsse und Impulse den Weg dazu bereitet haben. Auch wenn massive Tendenzen in den neuen Wissenschaften sich bald gegen das Christentum gewandt haben, so sind diese dennoch klare eine Entwicklung innerhalb der christlichen Tradition. Sie sind ein unvorhergesehenes, ein indirektes Produkt der christlichen Geschichte. (5) Jesus hat die Menschen in eine erhöhte Verantwortung gerufen, und die Geschichte des Christentums hat - ungewollt und auf überraschende Umwege - dem Menschen tatsächlich eine ganze neue Verantwortung in die Hand gegeben.

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Fassen wir zusammen: Es hat immer eine Tendenz gegeben, die biblische Botschaft vom nahen Ende nicht ausschließlich im Blick auf den individuellen Tod zu sehen. Diese Tendenz dürfte ein wahres Element enthalten. Darüber hinaus hat die christliche Verkündigung in einem langwierigen und komplizierten Prozeß dazu beigetragen, die Welt so zu verändern, daß sich heute eine neue Deutungsvariante der überlieferten Botschaft vom nahen Ende nahelegt, und diese lautet: die Menschen haben von nun stets angesichts eines möglichen nahen Endes der Menschheit zu leben, das sie selber herbeiführen können. Sie leben in der Nähe eines möglichen kollektiven Selbstgerichts. Auch wenn diese Katastrophe in den kommenden Jahrhunderten oder vielleicht sogar Jahrtausenden nicht eintritt, so ist sie dennoch als Möglichkeit ständig da. Wir haben von nun an ständig damit zu rechnen. Die bedrohliche Möglichkeit zeigt uns sehr konkret, daß wir in eine neue und erweiterte Verantwortung gestellt sind, - eine Verantwortung, die uns zu überfordern scheint, der wir aber nicht entrinnen können. Von da her erhält aber auch ein Herzstück der christlichen Verkündigung eine neue Aktualität und Plausibilität: wir Menschen haben die größere Verantwortung nicht allein zu tragen. Der Beistand der Gnade Gottes und die Begleitung guter Engel sind uns verheißen. Diese Aussage ist nicht bloß der Ausdruck frommer Worte oder Gefühle; sie enthält eine Glaubensüberzeugung von weltpolitischer Bedeutung.

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2) Menschenzüchtung und christliche Ethik

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Bis zur Atomtechnologie - im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg - feierten die Naturwissenschaften ihre größten Erfolge im Bereich der Physik. Seither hat sich die Situation rapide verändert. Die Entdeckung des genetischen Codes brachte eine eigentliche Revolution in die Wissenschaften vom Lebendigen, und diese Revolution wirkt unmittelbar auf uns Menschen zurück. Es kommen immer mehr Lebensmittel auf den Markt, die gentechnisch verändert sind. Vor allem aber greift heute die medizinische Technik in Bereiche hinein, die bisher ganz der Natur vorbehalten waren. So laufen bereits etwa eine halbe Million Menschen auf Erden herum, die nicht mehr in einer geschlechtlichen Begegnung gezeugt wurden, sondern im klinischen Reagenzglas ihren Ursprung haben. Diese Trennung von Sexualität und Fortpflanzung dürfte in Zukunft noch zunehmen. Im Kampf gegen Krankheiten hat man ferner zu forschen begonnen, wie man das genetische Erbe der Menschen verändern kann. Sollen in Zukunft Menschen hergestellt werden, die ganz bestimmten Wünschen und Zielen entsprechen?

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Vor einigen Wochen hat der Erfolgsphilosoph Peter Sloterdijk bei einem internationalen Symposium im oberbayerischen Schloß Elmau - unter Berufung auf Heidegger, Nietzsche und Platon - die Problematik der Menschenzüchtung angesprochen. Er fragte zunächst: „Was zähmt noch den Menschen, wenn der Humanismus (d.h. die Erziehung) als Schule der Menschenzähmung scheitert?" Er versuchte dann zu zeigen, daß man seit Platon einen Zusammenhang zwischen Zähmung und Erziehung einerseits und Züchtung anderseits gesehen hat. Angesichts der modernen Möglichkeiten führe dies zu Menschentechniken, „vor denen das heutige Denken den Blick nicht abwenden" dürfe, wenn es nicht einer Verharmlosung der Problematik verfallen wolle. Es habe schon immer eine Evolution durch Mutation und Selektion gegeben. Heute gerate der Mensch aber „mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion". In Zukunft werde es deshalb darauf ankommen, „das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken" oder „Regeln für den Menschenpark" zu entwickeln.

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Dieser Vortrag hat schlagartig eine mächtige Diskussion ausgelöst. So schrieb z. B. „Der Spiegel" von einem Vortrag der „Züge faschistischer Rhetorik" trage (6. Sept. 1999, 268). Besonders beunruhigt zeigt sich Jürgen Habermas, und der ZEIT-Redakteur Thomas Assheuer hielt in seinem renommierten Wochenblatt fest: „Sloterdijks skandalöse Rede entspringt nicht nur der Verirrung eines Weltanschauungsphilosophen, der in den Fußstapfen von Nietzsche und Heidegger versinkt und sich dabei einbildet, er könne die Moderne begraben. In Sloterdijks Selektionsfantasien haust ein fürcherlicher Realismus, der das diabolische Potenzial der Genforschung nüchtern ins Auge faßt." (Die Zeit, 2. Sept. 1999). Sloterdijk reagierte scharf, warf seinen Gegner falsche Verdächtigungen vor und glaubte zugleich, den Tod der kritischen Theorie à la Habermas feststellen zu können. Nüchtern reagierte der amerikanische Philosoph Ronald Dworkin, machte aber gerade dadurch die ganze Tragweite der Diskussion deutlich. Er fragte, warum man Angst vor der Genforschung habe und hob dann - neben vordergründigen Motiven - folgende Grundproblematik hervor: Bisher habe man klar zwischen Schicksal und Freiheit unterscheiden können. Vieles sei den Menschen vorgegeben gewesen, an dem sie nichts ändern konnten, - die Natur, die man als Schöpfung Gottes betrachtete. Dieses Vorgegebene habe man respektieren müssen und daraus habe sich grundsätzlich eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse ergeben. Durch die Genforschung werde diese Trennung zwischen Schicksal und Freiheit aber eingerissen und damit auch die Grundlage der traditionellen Moral, was selbstverständlich Angst auslöse. Man dürfe aber nicht der Angst folgen. Die Zeit sei gekommen, die bisherigen Grundlagen der Moral mutig in Frage zu stellen. Die Menschen hätten angefangen, bewußt Gott zu spielen. Dies sei zwar ein gefährliches Spiel, im Grunde hätten dies die Menschen aber immer schon getan. (6)

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Sollen wir tatsächlich Gott spielen? Es ist richtig, daß sich diese Frage den Christen schon immer gestellt hat. Auch wenn man die heutigen technischen Möglichkeiten nicht gekannt hat, finden sich in der Bibel diesbezüglich dennoch deutliche Aussagen. Ich möchte nur zwei entgegengesetzte Linien kurz herausgreifen.

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Im biblischen Schöpfungsbericht am Anfang des Alten Testaments heißt es, daß Gott den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Diese Aussage ist zentral für das biblische Menschenverständnis. Wenn der Mensch Abbild des Schöpfers ist, dann dürfte er wohl berufen und eingeladen, am schöpferischen Tun Gottes irgendwie teilzuhaben. Die alttestamentliche Erzählung legt diese Folgerung durch weitere Aussagen ausdrücklich nahe. Im Anschluß an die Schöpfungsberichte heißt es nämlich, Adam habe mit Eva einen Sohn, Seth, gezeugt, der ihm ähnlich, der sein Abbild war (Gen 5,3). Das Zeugen von Nachkommen dürfte folglich ein menschliches Abbilden der schöpferischen Tätigkeit Gottes sein. - Dies ist aber nur die eine Seite. Bereits vor dem Bericht über die Zeugung von Seth findet sich die Paradiesesgeschichte, in der die Schlange Eva mit der Verlockung, wie Gott zu sein, verführt. Die Teilhabe am Schöpferischen erscheint folglich in der Bibel von Anfang an unter zwei radikal verschiedenen Aspekten, als gottgewollter Auftrag und als teuflische Anmaßung. Beide Themen ziehen sich durch die ganze Bibel hindurch weiter und prägen auch das Neue Testament. Einerseits heißt es nämlich vom wahren Glaube, daß er in seiner letzten Ausprägung Berge versetzen kann und insofern an der Macht Gottes teilhabe.(7) Anderseits gibt es die teuflische Art, wie Gott zu sein, deren Höhepunkt vor allem in der Offenbarung des Johannes dramatisch dargestellt wird. Dort wird geschildert, wie zwei Tiere auftauchen, die vom Drachen, dem Teufel, ihre Macht erhalten. Das erste Tier verkörpert die politische Macht, während es vom zweiten heißt, es sehe aus wie ein Lamm (= Christus), rede jedoch wie ein Drache. Es gleicht folglich äußerlich der Kirche, dem Geschöpf des Lammes, vertritt aber etwas ganz anderes. Es dürfte die gottfeindliche ideologische Macht sein, die dem ersten Tier, der politischen Macht dient und für diese ein Standbild errichten läßt. Dabei besitzt es ganz ungewöhnliche Kräfte: "Es wurde ihm Macht gegeben, dem Standbild des Tieres Lebensgeist zu verleihen, so daß es auch sprechen konnte und bewirkte, daß alle getötet werden, die das Standbild des Tieres nicht anbeteten" (Offb 13,15). Bei dieser Prophetie fällt auf, daß das zweite Tier nicht nur eine wunderbare Macht vortäuschen und damit die Menschen irreführen kann. Es wird ihm tatsächlich die Macht gegeben, dem toten Standbild Lebensgeist und Sprache einzuhauchen. Es verfügt folglich über ganz ungewöhnliche Kräfte und ahmt genau das nach, was Gott - gemäß dem zweiten Schöpfungsbericht - bei der Erschaffung des Menschen getan hat, nämlich dem Gebilde aus Lehm Lebensgeist einzuhauchen (Gen 2,7). Wie der biblische Schriftsteller dazu gekommen ist, einer widergöttlichen Macht derart außergewöhnliche Kräfte zuzusprechen, mag hier offen bleiben. Durch seine prophetische Aussage wird uns in unserem heutigen Kontext auf alle Fälle nahegelegt, die Möglichkeiten menschlichen Könnens nicht vorschnell einzugrenzen. Wenn die Offenbarung des Johannes sich selber mit dem Gedanken beschäftigt, daß es einer geschöpflichen Macht gelingen könnte, Leben zu schaffen und dadurch die Menschen zu ihrer Anbetung zu verführen, dann haben wir eine ähnliche Problematik vor uns wie beim Selbstgericht. Die christliche Verkündigung hat indirekt und ungewollt zum Entstehen einer Welt beigetragen, in der ihre eigenen Aussagen einen neuen, radikaleren und dennoch sehr konkreten Sinn bekommen: Der Mensch hat Anteil an der schöpferischen Kraft Gottes. Damit stellt sich für uns aber die schwierige Frage: Wie können wir zwischen dem göttlichen Auftrag, an seinem schöpferischen Tun Anteil zu haben, und dem widergöttlichen Versuch, die letzten Geheimnisse der schöpferischen Kräfte eigenmächtig an uns zu reißen, richtig unterscheiden?

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Bevor wir auf diese schwierige Frage etwas näher eingehen, wollen wir kurz abschätzen, über welche Möglichkeiten der Selbstveränderung des Menschen die Wissenschaft heute tatsächlich schon verfügt. Dabei sind verschiedene Wege oder Methoden zu unterscheiden:

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(1) Die Wissenschaft kennt heute Genabschnitte in der Erbinformation, die mit erblichen oder vielen anderen Krankheiten in Zusammenhang stehen. Alle Menschen tragen solche defekten Erbinformationen in sich (etwa 6), gefährlich werden sie aber gewöhnlich nur, wenn von mütterlicher und väterlicher Seite her die gleichen defekten Gene zusammenkommen. Heilen kann man die Erbkrankheiten vorläufig nicht. Wohl aber kann man bereits die Embryonen im mütterlichen Leib auf ihre Erbinformationen hin untersuchen. Wer unter allen Umständen ein behindertes oder krankes Kind verhindern will, kann solche Untersuchungen durchführen lassen und im Falle von negativen Anzeichen, es abtreiben.

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(2) Die Ausselektion von unerwünschten Menschen kann heute verfeinert werden, was teilweise - z.B. in Belgien und England - bereits geschieht. In diesem Fall wird die Befruchtung, die Verschmelzung einer männlichen und weiblichen Geschlechtszelle, zunächst im Reagenzglas durchgeführt, und dann läßt man das befruchtete Ei sich etwas entwickeln. Wenn sich etwa 8 Zellen gebildet haben, wird eine der Zellen herausoperiert und nach möglichen defekten Genabschnitten getestet. Man nennt dies heute Präimplantationsdiagnostik. Ist das Resultat negativ, werden die befruchteten Eier der Frau nicht eingepflanzt, sondern weggeworfen. Danach kann man es mit neuen Eiern und Samenzellen probieren.

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(3) Das künstliche Schaffen von positiven Eigenschaften ist weit schwieriger. Jede Eigenschaft setzt sich nämlich aus einem sehr komplexen Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Gene zusammen. Wie man ein solches Zusammenspiel planen könnte, dazu gibt es heute noch keine seriösen wissenschaftlichen Vorstellungen. Das Züchten eines Übermenschen liegt deshalb vorläufig außerhalb menschlicher Möglichkeiten. Über ihre Beurteilung brauchen wir uns deshalb im Augenblick nicht näher zu unterhalten.

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Die erste Methode, die Schwangerschaft auf Probe, ist aus christlicher Sicht selbstverständlich abzulehnen, denn bei ihr werden bei negativen Testergebnissen Abtreibungen ganz selbstverständlich einkalkuliert. Längerfristig ist auch zu befürchten, daß sich ein gesellschaftliche Meinung durchsetzt, die Behinderungen und Erbkrankheiten direkt diskriminiert. Ein behindertes Kind würde dann nicht mehr - wie bisher - als Schicksalsschlag oder als gottgegebene Prüfung betrachtet, sondern als Schuld der Eltern, die es nicht rechtzeitig abgetrieben haben. Schwangerschaft auf Probe wäre dann der neue, gesellschaftlich normale Weg, und Eltern, die dem nicht folgen würden, wären selber schuld, ein behindertes Kind zu haben. Es könnte sich sogar die Meinung durchsetzen, der Staat und die Krankenkassen hätten für solche ‚selbstverschuldete' Behinderungen und Krankheiten nicht mehr zu zahlen. Eine solche Einstellung würde ganz der christlichen Weltsicht widersprechen, gemäß der jeder Mensch - unabhängig von seinen Vorzügen oder Nachteilen - eine einmalige Berufung von Gott hat.

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Die zweite Methode ist subtiler und auf den ersten Blick gleichsam anständiger. Aber die Probleme sind ebenso groß. Sie setzt erstens eine systematische, technische Trennung zwischen gelebter Sexualität und Fortpflanzung voraus, was zu großen persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen führen würde. Diese Methode geht ferner davon aus, daß man über befruchtete menschliche Eizellen beliebig verfügen kann. Nach der heutigen Lehre der Kirche sind solche Eizellen aber bereits Menschen mit einer unsterblichen Seele. Diese Methode ist folglich sachlich ebenso moralisch abzulehnen wie die Schwangerschaft auf Probe. Gewiß werden heute auch unter katholischen Moraltheologen Argumente gegen die Lehre vorgebracht, daß das wahre Menschsein bereits bei der Verschmelzung einer weiblichen Eizelle mit einer männlichen Samenzelle beginnt. Die Argumente haben auf den ersten Blick auch etwas Einleuchtendes; sie leiden aber daran, daß es kaum möglich ist, auf überzeugende Weise einen späteren Zeitpunkt anzugeben, wo das menschliche Leben beginnen könnte. Irgendein Zeitpunkt muß man aber ansetzen, wenn man die Tötung von einer ärztlicher Operation unterscheiden will. Bei Unsicherheit muß man ferner - wenn es um die Frage der Tötung geht - den sicheren Weg wählen, auch wenn man als Christ gleichzeitig Verständnis aufzubringen hat für Menschen, die in schwierigen Situationen anders entscheiden.

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Ein weiteres Problem stellt noch das Klonen, d.h. die Reproduktion eines Individuums ohne die Verschmelzung einer Samen- und einer Eizelle.  (8) Bei gewissen Tieren ist dies bereits gelungen; bei Menschen werden solche Versuche vorläufig durch alle Staaten verboten. Ob Verbote aber auf Dauer halten? Beim Klonen ist zwar nicht zu befürchten, daß zwei ganz identische Menschen entstehen, wie man nicht selten suggeriert, denn auch bei genau gleicher Erbinformation ist die Interaktion zwischen den vielen Genen je verschieden. Darüber hinaus ist die unsterbliche Seele selbstverständlich je einmalig. Das Klonen ist deshalb problematisch, weil es die radikalste Form darstellt, Sexualität und Fortpflanzung zu trennen. Gerade diese Tendenz zur Trennung hat die Kirche immer mit Sorge betrachtet, und seit Humanae vitae entschieden dagegen reagiert. (9) Bei einem systematischen Klonen wäre zudem zu befürchten, daß die Menschen immer weniger widerstandsfähig werden und damit immer stärker auf die Technik angewiesen sind. Die medizinische Technik würde so selber dafür sorgen, daß sie immer unentbehrlicher wird.

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3) Selbstmanipulation und christliche Erlösungslehre

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Der kurze Überblick über die Entwicklung im Bereich der medizinischen Technik legt die Vermutung nahe, daß sich in Zukunft Verhaltensweise stark ausbreiten werden, die von der christlichen Ethik her abzulehnen sind. Können wir damit nur klagen und über die böse Welt schimpfen? Nein, eine doppelte positive Einstellung legt sich vielmehr nahe.

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(1) Die Christen sind eingeladen, sich untereinander enger zusammenzuschließen, damit sie sich wechselseitig ermutigen und stärken, einen alternativen Weg zu gehen. Das war der Weg der Christen in den ersten drei Jahrhunderten, als sie innerhalb des römischen Reiches noch in großer Minderheit waren. Das heidnische Rom hatte damals ganz andere moralische Vorstellungen (z.B. Aussetzung der Kinder, Schauspiele mit Kämpfen auf Leben und Tod, etc.), von denen sich die Christen bewußt distanziert haben. Heute treten wir schrittweise wiederum in eine neue nicht-christliche oder nach-christliche Welt ein. Es legt sich deshalb eine ähnliche Vorgangsweise nahe wie damals.

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(2) Das entscheidende in der christlichen Botschaft ist nicht die Moral, sondern der Glaube an das Handeln Gottes mit den Menschen und an sein erlösendes Tun. Dieses Handeln setzt aber in besonderer Weise dort an, wo die Menschen versagt haben. Im Alten Testament sehen wir, wie die Menschen kaum der prophetischen Predigt gefolgt sind. Dafür kam das Unheil, das sich vor allem in der Zerstörung Jerusalems und des Tempels zeigte und das als Gericht Gottes gedeutet wurde. Gerade in der Zeit des Unheils wurde aber - dank neuer prophetischer Inspiration - auch eine ganz neue Dimension des Glaubens, die eschatologische Erwartung lebendig (neuer Bund, Ausgießung des Hl. Geistes, Auferweckung der Toten). - Ähnliches ereignete sich im Geschick Jesu. Er verkündete zunächst die Nähe der Gottesherrschaft und rief zu einem neuen Verhalten auf. Die Menschen versagten aber angesichts dieser Botschaft. Sie lehnten den unliebsamen Prediger ab, verurteilten und töteten ihn sogar. Gerade durch seinen Tod, durch die Art und Weise wie er auf das Böse, das ihm angetan wurde, reagierte, brachte er aber ein neues Heil in die Welt. Im Zusammenhang mit dem menschlichen Versagen kam es zum Erlösertod.(10) Paulus kann deshalb rückblickend sogar festhalten: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden" (Röm 5,20). Im Anschluß an dieses Wort singt die Kirche seit der Väterzeit in jeder Osternacht das Wort von der felix culpa, von der glückseligen Schuld.

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Wenn Gott in der Vergangenheit dort, wo die Menschen systematisch versagt haben, auf ganz überraschende Weise Gutes gewirkt hat, dann dürfen wir eine ähnliche Zuversicht auch für die Zukunft haben. Die Möglichkeiten der medizinischen Selbstmanipulation des Menschen werden aller Voraussicht nach zur Ausbreitung von Techniken und Verhaltensweisen führen, die vom christlichen Standpunkt aus abzulehnen sind. Dennoch haben wir die Zukunft nicht bloß schwarz zu sehen. Wir dürfen vielmehr hoffen, daß auch in dem, was die Menschen Böses tun, auf überraschende Weise Gutes entstehen kann. Das Böse wird damit nicht gut. Wohl aber zeigt sich, daß der Gang der Welt nicht bloß moralisch beurteilt werden kann. Gott knüpft immer wieder dort an, wo die Menschen tatsächlich stehen, auch wenn sie Böses tun. Er führt deshalb die Menschheit über viele Um- und Abwege zu seinem Ziel. Die Selbstmanipulation kann sich vielleicht in Zukunft einmal als ein böser Umweg entpuppen, der doch zu einem überraschenden und guten Ziel führt.

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Anmerkungen:  

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 1. "Die wissenschaftliche und technische Welt der Neuzeit ist das Ergebnis des Wagnisses des Menschen, das Erkenntnis ohne Liebe heißt. Diese Erkenntnis ist an sich weder gut noch böse. Ihr Wert hängt davon ab, in den Dienst welcher Macht sie tritt. Ihr Ideal war, frei von jeder Macht zu sein. So hat sie den Menschen schrittweise aus seinen instinktiven und traditionellen Bindungen gelöst, aber ihn nicht in die neue Bindung der Liebe geführt... Wenn aber die Erkenntnis ohne Liebe in den Dienst des Widerstandes gegen die Liebe tritt, so rückt sie an die Stelle, die in den mythischen Bildern des Christentums durch den Teufel bezeichnet ist. Die Schlange im Paradies rät dem Menschen zur Erkenntnis ohne Liebe. Der Antichrist ist die Macht in der Geschichte, welche die lieblose Erkenntnis zur Vernichtung der Liebe ins Feld führt. Sie ist freilich auch die Macht, die sich durch ihren Sieg selbst vernichtet." C.Fr. von Weizsäcker, Die Geschichte der Natur. Göttingen 71970, 126.

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2. "Die Formel, die Technik sei wertneutral, ist ungenau. Wissenschaft und Technik sind nicht wertneutral, sondern verschärfend. Sie steigern die Macht mit ihren Folgen. Sie schützen den Menschen vor Naturgewalten und bedrohen ihn durch Zerstörung seiner natürlichen Umwelt." C.F. von Weizsäcker, Die Aufgabe der Kirche in der kommenden Weltgesellschaft. In: Evang. Kommentare 11 /1970, 641.

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3. H. Lindsey u. a., Alter Planet Erde wohin? Im Vorfeld des dritten Weltkrieges. Asslar 191991.

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4. Vgl. Chapman, Amerikanische Theologie im Schatten der Bombe (s. Anm. 4) 37 - 42.

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5. Auch der griechische Einfluß war wichtig. Aber dieser allein hat nicht weiter geführt, wie vor allem die islamische Welt zeigt, die zwar den griechischen Einfluß auch aufgegriffen und hohe Kulturen geschaffen hat, in keiner Weise aber jene geistige Revolution hervorbrachte, die zu den modernen Naturwissenschaften führte.

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6. R. Dworkin, Die falsche Angst, Gott zu spielen. In: „Die Zeit", 16 Sept. 1999, 15- 17.

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7. "Glaube ist Macht, ja geradezu das Partizipieren an der Allmacht Gottes. Dem Erschreckenden an dieser Formulierung dürfen wir nicht ausweichen. Es entspricht nun einmal genau dem Spruch vom bergeversetzenden Glauben." G. Ebeling. Jesus und Glaube. In: ders., Wort und Glaube I, Tübingen: Mohr 1960, 248;

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8. Aus einer unbefruchteten Eizelle wird die eigene Erbinformation herausoperiert und dafür wird der ganze Genpool einer nicht-sexuellen Zelle eingepflanzt. Die so entstandene Eizelle wird dann in eine Gebärmutter eingepflanzt und der Teilungs- und Vermehrungsprozeß wird eingeleitet.

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9. Vgl. auch: ‚Donum vitae'. Instruktion der Glaubenskongregation über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung (22. Febr. 1987). In: Denzinger- Hünermann Nr. 4790 - 4807.

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10. Zur ausführlicheren Darlegung und Begründung: vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. Innsbruck: Tyrolia 21996.

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