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Schwager Raymund: Theologie und Geschichtswissenschaft
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Theologie und Geschichtswissenschaft
(Das soziale Band)

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Vortrag am Institut für Europäische Geschichte in Mainz (31.1.1994)
Datum:2001-10-17

Inhalt

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Die Theologie hat in der Neuzeit die Methode der Geschichtswissenschaften übernommen, ja in einer komplexen Wechselwirkung sogar selber zum Entstehen dieser Methode beigetragen. Dies geschah zunächst im Bereich der biblischen Exegese, später auch auf dem Feld der dogmatischen Theologie. Der Wechsel zur historisch-kritischen Exegese und zur kritischen Dogmengeschichtsschreibung brachte schwere inhaltliche Erschütterungen mit sich, die bis heute nicht voll ausgestanden sind. Die dramatische Geschichte der modernen Theologie ist in einem starken Maß durch diesen Methodenwechsel bestimmt.

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1) Geschichtsschreibung als Wissenschaft?

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In neuester Zeit wird der einseitige Rückgriff auf die historische Methode in der Theologie kritisiert; in Abhebung dazu werden strukturalistische, semiotische, tiefen- und religionspsychologische Zugänge empfohlen und gepflegt, und in manchen Kreisen wird die fundamentalistische Lektüre begrüßt. Diese erneute Gewichtsverlagerung hängt u.a. damit zusammen, daß in den Geschichtswissenschaften selber die neuzeitlichen Methoden fraglich geworden sind. Glaubte man zunächst, über den historisch-kritischen Weg der Wahrheit näher zu kommen, so hat die Kritik inzwischen längst auf die historisch-kritische Methode zurückgewirkt und zu vielen Varianten geführt. Von manchen wird sie heute als eine Art Selbstzweck betrieben, ohne daß nach ihrer wissenschaftlichen Berechtigung und ihrer menschlichen und gesellschaftlichen Bedeutung im einzelnen gefragt wird. Andere stellen diese Methode in den Dienst eines bestimmten Anliegens (z.B. feministische Geschichtsschreibung). Wieder andere, die den negativen Folgen der Dauerkritik entgehen wollen, tendieren dazu, die Geschichtsschreibung eher als Kunst denn als Wissenschaft zu verstehen.

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Joachim Fest bemerkte in seiner Rede zur Verleihung des Goethe-Preises an Golo Mann:

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"Alle bedeutenden Historiker, von Gibbon über Mommsen und Burckhardt bis hin zu dem französischen Sozialhistoriker Marc Bloch, haben die Geschichtsschreibung als Kunst betrachtet, undenkbar ohne einen 'Anteil Poesie', und im Grunde der Literatur näher als der Wissenschaft..." (1)

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Bezüglich Golo Mann fährt Joachim Fest weiter:

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"Golo Mann hat diese Linie noch weiter ausgezogen. Im Widerspruch gegen eine moderne Auffassung, wonach die Geschichte eine Wissenschaft im strengen Sinn sei wie Medizin oder Physik auch, nur unfertiger, doch zum Fertigen drängend, hat er deren Wissenschaftscharakter rundheraus bestritten. Denn die Geschichte habe mit dem Einmaligen zu tun, die Wissenschaft mit dem Prinzip der Wiederholung, jene suche und finde im Ähnlichen das immer Neue, diese das Gesetz." (2)

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Der Gegensatz zwischen dem Einmaligen und dem Wiederholbaren, auf den schon Aristoteles hingewiesen hat (3), ist meines Erachtens kein entscheidender Grund gegen die geschichtliche Methode als Wissenschaft. Einerseits gibt es nämlich im menschlichen Verhalten, vor allem im kollektiven, mit dem sich die Geschichtsschreibung neben dem einzelnen auch beschäftigt, viel Wiederholbares (4); anderseits spielen in den Naturwissenschaften einmalige Ereignisse oder sogenannte 'Singularitäten' eine immer größere Rolle ('big bang', Beginn des Lebens, einmaliger Weg der Evolution (5), Explosion der Arten im Kambrium(6), etc.). (7)

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Ein anderer Grund gegen die Geschichte als Wissenschaft gewinnt jedoch heute eine wachsende Bedeutung. Soll die Geschichte mehr als ein Zählen im Sinne der Statistik oder ein positivistisches Sammeln von zusammenhangslosen Fakten sein, stellt sich notwendigerweise die Frage, von welchem umfassenden Deutungsrahmen her die Zusammenhänge gewonnen und begründet werden können. Das postmoderne Denken, dessen Wurzeln schon ins letzte Jahrhundert zurückreichen (Nietzsche), stellt heute alle universalen Denkmodelle radikal in Frage und trifft damit auch die Geschichtswissenschaft. Sollte es keinen universal gültigen Denkhorizont geben, dann können auch keine Interpretationen geschichtlicher Abläufe eine universale Gültigkeit beanspruchen.(8) Das postmoderne Denken scheint folglich nahezulegen, daß es mit der Geschichtsschreibung als Wissenschaft zu Ende ist und daß sie höchstens noch als Statistik für isolierte Fakten oder als Kunst zur subjektiven Ausschmückung von Nischen in unserer universalen technisierten Gesellschaft eine Rolle spielen kann. (9)

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Ein weiterer Strang des modernen Denkens zeigt, daß die Problematik sich uns noch radikaler stellt. Wie L. Niethammer durch seine Studie "Posthistoire" (10) deutlich macht, gibt es zahlreiche Autoren, die nicht nur das Ende der Geschichtswissenschaft, sondern das Ende der Geschichte überhaupt kommen sehen.(11) Danach ist die Zeit der großen geistigen Auseinandersetzungen - und damit auch der Geschichte - endgültig vorbei. Die menschliche Gesellschaft habe sich in einen gigantischen Apparat oder in eine 'Megamaschine' (12) verwandelt, die unabhängig von den Menschen nach ganz eigenen Gesetzen funktioniere. Die Menschen seien darin nur noch so etwas wie "posthistorische Tiere der Spezies homo sapiens" (13). Nach manchen Autoren tendiert die Megamaschine eindeutig zur Selbstvernichtung. (14) Andere vertreten im Sinn einer dritten kopernikanischen Wende die Ansicht, daß die Technik schon längst auf den Menschen als Subjekt zurückwirke und ihn selber zum veränderbaren Gegenstand der Technologie mache. Zur Meisterung der Probleme sei deshalb nicht mehr die Gesellschaft dem Menschen, sondern der Mensch dem anonymen technologischen Prozeß anzupassen. (15)

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2) Kritik an der Säkularisierungsthese

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Die Aufklärung, mit der auch die historisch-kritische Forschung entstanden ist, rückte den Menschen als freies und autonomes Subjekt ins Zentrum. (16) Sie ging von der Annahme aus, daß der Mensch der entscheidende Täter der Geschichte sei und daß er die Welt verbessern könne.(17) Da die Übel durch die neue Sicht und Praxis aber nicht abgeschafft, sondern zum Teil eher noch verstärkt wurden, mußte sich die alte Problematik in neuer Schärfe stellen. O.Marquard hat einen Aspekt davon klar gesehen, wenn er zeigt, daß die aufklärerische Geschichtsphilosophie ständig auf die Suche nach neuen 'Schuldigen' ging: "Wo der außerweltliche Sündenbock verlorengeht, muß ersatzweise ein innerweltlicher und dort, wo die Natur dafür als ungeeignet gilt, ein menschlicher Sündenbock gefunden werden." (18) An der Suche nach Sündenböcken hat sich nicht nur die Geschichtsphilosophie, sondern auch die Geschichtswissenschaft beteiligt, die nur zu leicht ins Fahrwasser von Nationalismen oder Ideologien geriet und dabei die jeweils anderen Völker oder Klassen als schuldige angeschwärzt hat. Wenn aber (andere) Menschen immer wieder die 'Bösen' sind, dann könnte es fast als innerlich konsequent erscheinen, daß der durch die Aufklärung ausgelöste Prozeß heute dahin tendiert, den Menschen selber als unbefriedigend zu empfinden, um ihm zum veränder- und zum verbesserbaren Gegenstand der Technik zu machen.

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Dieses beunruhigende Faktum kann aber auch ganz anderes gelesen werden und wird dann zur Frage, ob nicht in den Grundannahmen der Aufklärung schon immer etwas falsch war. (19) Diese Vermutung wird dadurch bestärkt, daß die mit der Aufklärung gegebene einseitige Säkularisierungsthese, wonach die Religionen in einem schrittweisen, aber unweigerlichen Prozeß aus der öffentlichen Gesellschaft verschwinden werden, heute in eine tiefe Krise geraten ist, ja sich in ihrer radikalen Form als falsch erweist.(20) An der Säkularisierungsthese ist zwar richtig, daß die moderne Gesellschaft sich sehr ausdifferenziert hat und daß heute einzelne Bereiche nach einem je eigenen Code, in dem die Religion keine Rolle mehr spielt, funktionieren (vgl.Luhmann). Diese Differenzierung muß aber keineswegs die Religion aus der ganzen Gesellschaft verdrängen, was sich schon deshalb vermuten läßt, weil die zentralste Differenzierung aus dem religiösen Bereich selber entsprungen ist. Der entscheidender Anstoß und eine bleibende Triebkraft für die Differenzierung gingen nämlich vom jahrhundertelangen Konflikt zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter (später zwischen Staat und Kirche) aus. Diese Auseinandersetzung, die bei aller vordergründigen Machtpolitik auf tieferer Ebene durch die biblische Botschaft und die augustinische Lehre von den zwei 'civitates' inspiriert war, führte zwar zu einer schrittweisen Säkularisierung des Staates und zur Eindämmung unmittelbar politischer Ansprüche der Kirchen. Da sich in diesem Prozeß aber der Staat zugleich von der Gesamtgesellschaft ausdifferenziert hat, ist mit seiner Säkularisierung eine Säkularisierung der gesamten Gesellschaft keineswegs notwendigerweise gegeben, wie vor allem das Beispiel der USA und die Problematik der 'civil religion' nahelegen. (21) Wenn aber die Religion nicht nur zu früheren Gesellschaften gehörte, sondern auch heute eine Rolle spielt, dann bedeutet dies, daß die Geschichte nicht ohne eine systematische Berücksichtigung des religiösen Faktors geschrieben werden kann. Es drängt sich folglich die Frage auf, ob nicht die heutige Krise der Geschichtswissenschaft wesentlich darin gründet, daß die globale (und irrige) Säkularisierungsthese weitgehend rezipiert und die wichtige Rolle der Religionen in den menschlichen Gesellschaften verkannt wurde. (22) Dadurch gingen nämlich jene großen hermeneutischen Muster verloren, die alle Weltreligionen zur Interpretation der Wirklichkeit entworfen haben. Der Verlust der religiösen Deutungsmöglichkeiten wurde im aufklärerischen Europa zwar zunächst durch verschiedene Formen des Fortschrittsglaubens ersetzt. Da dieser Glaube heute aber seinerseits in Krise geraten ist, beginnt sich zu zeigen, daß die Verdrängung der Religionen aus der wissenschaftlichen Methodik auch einen Verlust von Deutungsmöglichkeiten mit sich brachte. Die Krise der modernen Geschichtswissenschaft (und auch der anderen Human- und Gesellschaftswissenschaften) wäre demnach eine Konsequenz aus der krisenhaften Beziehung dieser Wissenschaften zur Religion und zur Theologie.

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Aus theologischer Sicht kann diese Hypothese allerdings nur glaubwürdig vertreten werden, wenn sie zugleich mit einer klaren Selbstkritik verbunden ist. Die Verdrängung der Religion geschah ja nicht zufällig, denn im Namen Gottes wurden auch im sogenannten christlichen Europa nur zu oft bittere und selbstzerstörerische Konflikte ausgefochten. Eine der Wurzeln für die antireligiöse Tendenz der europäischen Aufklärung war die traumatische Erfahrung mit den Religionskriegen. So urteilt W.Kasper:

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"Um des Überlebens der Gesellschaft willen mußte man sich unter Absehen von der Religion auf eine neue, alles verbindende und für alle verbindliche Basis besinnen. Um des Friedens willen mußte man die Religion zur Privatsache erklären und als neue Basis des Zusammenlebens die alle Menschen verbindende Vernunft bzw. die vernünftig erkannte Naturordnung anerkennen, von der man der Meinung war, daß sie gelte, 'etsi Deus non daretur' (H.Grotius). Gott war damit gesellschaftlich funktionslos geworden." (23)

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Bei diesem Urteil sollte nur das Wort 'gesellschaftlich' durch das Wort 'staatlich' ersetzt werden. Die Vielfalt der Konfessionen und der daraus entstehende Streit, aber auch das zentrale Anliegen der Freiheit machten es tatsächlich notwendig, daß der Staat religiös neutral wurde und sich nur noch um das irdische Wohl seiner Bürger und Bürgerinnen kümmerte.

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Mit der Trennung von Kirche und Staat waren allerdings längst nicht alle Probleme gelöst. Es stellte sich nur um so drängender das Problem nach der Einheit des Staates, wie vor allem H.-G.Stobbe klar gesehen hat:

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"Die als Frucht der Konfessioskriege entstandene religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, die in positiver Hinsicht die Bekenntnis- und Religionsfreiheit des Bürgers garantiert, hat ihre negative Kehrseit im Fehlen einer gemeinsamen inhaltlichen Klammer, wie sie die mittelalterlichen Staaten in Gestalt des einen christlichen Glaubens besaßen. Ein solches ideelles Vakuum läßt sich erfahrungsgemäß nicht lange aufrechterhalten, und so setzt denn auch das Bedürfnis, den Staat nicht bloß als äußerlichen Zweckverband, sondern auch als innere Einheit verstehen zu können, einen neuen, säkularen Mythos von einzigartiger integrativer Kraft aus sich heraus: die Idee der Nation."(24)

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Der neue Mythos führte zu ebenso harten Konflikten und Kriegen wie früher die Religion, und der Nationalismus war auch keineswegs religionslos, sondern nahm fast überall neue religiöse oder quasireligiöse Züge an. Er war folglich - vom christlichen Glauben aus gesehen - nicht säkular, sondern eher häretisch. (25)

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3) Problematik der Demokratie

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Seit man sich der kontraproduktiven Folgen oder der 'Dialektik der Aufklärung' (26) - im Zusammenhang mit den Weltkriegen - voll bewußt geworden ist, gibt es eine starke Tendenz, in der Demokratie jenen universal gültigen Wert zu sehen, auf den die Geschichte zulaufen soll und auf den hin alle früheren geschichtlichen Ereignisse zu deuten sind. Dabei bleibt allerdings die weiter oben erwähnte Frage virulent, wie sich universale Werte angesichts der postmodernen Beliebigkeit und der Tendenz zur 'Megamaschine' rechtfertigen lassen. Ferner ist der Zusammenhalt der Menschen innerhalb der modernen Staaten und Demokratien alles andere als problemlos. Im Rückblick auf das Verschwinden des sowjetischen Imperiums, das für die westlichen Demokratien lange als einigender Feind gewirkt hat, schrieb Ulrich Beck 1992 in "Die Zeit":

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"In allen bisherigen Demokratien gibt es zwei Arten von Autorität: Die eine geht vom Volke, die andere geht vom Feinde aus. Feindbilder integrieren. Feindbilder ermächtigen. Feindbilder haben höchste Konfliktpriorität. Sie erlauben es, alle anderen gesellschaftlichen Gegensätze zu überspielen, zusammenzuzwingen. Feindbilder stellen sozusagen eine alternative Energiequelle für den mit der Entfaltung der Moderne knapp werdenden Rohstoff Konsens dar." (27)

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Was U. Beck eher allgemein feststellt, hat M. Jeismann vor kurzem an einem konkreten Beispiel aufgezeigt. In seiner ausführlichen Studie "Das Vaterland der Feinde" kommt er zum Ergebnis, daß Deutschland und Frankreich zwischen 1792 und 1918 durch wechselseitige Verfeindung ihre Identität gewonnen haben.(28) Noch aufschlußreicher sind die Arbeiten von Léon Poliakov. In seinem Standardwerk zum Antisemitismus (29) hat er zunächst gezeigt, wie die Juden immer wieder für die jeweiligen Gesellschaften die wichtige Rolle eines Sündenbocks gespielt haben. In einem späteren zweibändigen Werk mit dem Titel "La causalité diabolique" (30) nahm er dann ausdrücklich eine gewisse Selbstkorrektur vor und wies nach, daß nicht nur die Juden, sondern auch andere Gruppen die Rolle des Feindes übernehmen konnten. Vor allem zeigte er auf, daß bei den großen europäischen Revolutionen - der englischen, französischen und russischen - Feindbilder eine entscheidende Bedeutung hatten. In allen drei Fällen wurde die Aktionseinheit unter den Revolutionären nur durch Verschwörungstheorien und künstliche Feindbilder möglich. (31)

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Die gleiche Einsicht drängt sich von der griechischen Erfahrung her auf. Christian Meier zeigt in seinem Werk "Die Entstehung des Politischen bei den Griechen" (32), daß sich die tiefste Einsicht ins Politische und in die Demokratie nicht bei Aristoteles, wie meist angenommen wird, sondern bei Aischylos findet. In den "Eumeniden" zeigt der Tragiker, wie das gewalttätige System der Blutrache durch eine neue Rechts- bzw. Polis-Ordnung überwunden wird. Aus den gewalttätigen Erinnyen, den Rachegöttinnen, werden die sanften und segensreichen Eumeniden. Dieser fundamentale Wandel und der damit gegebene Schritt zur freien Bürgerschaft geschah aber, wie Meier zusammenfaßt, nur durch eine Verlagerung der Gewalt:

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"Freundschaft (philia) nach Innen, einmütige Feindschaft nach Außen. An die Stelle der Wechselseitigkeit des Mordens soll die Wechselseitigkeit des Freudengebens treten. Feindschaft soll nicht mehr nach Innen, dafür geschlossen nach Außen sein: eine neue Polis-bezogene Scheidung von Freund und Feind soll stattfinden, eine Verlagerung der Freund-Feind-Konstellation. Darin soll die Polis ihre Einheit gewinnen."(33)

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Vielfältige Arbeiten, deren Zahl sich leicht vergrößern ließe, und Erfahrungen aus ganz unterschiedlichen Gesellschaften und Epochen stützen folglich die Annahme, daß das menschliche Zusammenleben in Demokratien alles andere als problemlos ist. Der gute Wille der Bürger und Bürgerinnen oder ein kommunikativer Prozeß, wie J. Habermas ihn annimmt, genügen nicht. Menschliche Gemeinschaften finden sich immer wieder gegen Feinde zusammen.

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4) Zwei Weisen menschlicher Gesellschaft ('civitates')

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Die vielfältigen Probleme, die im Bereich der Geschichtswissenschaft, der Religion und der modernen Gesellschaft kurz angesprochen wurden, werden in ihrer wechselseitigen Verknüpfung meistens wenig bedacht. Es gibt wohl nur die Arbeiten von R.Girard (34), die zwischen den erwähnten Fragen einen begrifflich klar reflektierten Zusammenhang herstellen. Danach gründen alle menschlichen Gesellschaften ursprünglich im Sündenbockmechanismus, durch den die unbewältigten Probleme im eigenen Bereich auf zufällige Opfer oder Feinde abgeschoben wurden. Dieser Mechanismus war ursprünglich weit mehr als ein psycho-sozialer Prozeß. Da kollektive Gefahren und Erregungen die intensivsten Leidenschaften und die tiefsten Sehnsüchte nach Rettung wecken, wurde der Mechanismus des Abschiebens in einfachen archaischen Gesellschaften von stärksten kollektiven Projektionen überlagert. Auf das Opfer oder die Feinde, gegen die sich die jeweiligen Gruppen zusammenschlossen, wurden alle negativen Vorstellungen polarisiert. Die Ausgestossenen erschienen der zusammengerotteten Gruppe als höchste Bedrohung und folglich als Inkarnation alles Bösen. Da durch diese Polarisierung aber auf eine für die erregten Beteiligten unerklärliche Weise der Friede sich einstellte, erschien die übermenschlich böse Gestalt zugleich als ein wunderbarer Segensbringer. Die geheimnisvolle Macht erwies sich folglich als verflucht und segensbringend zugleich, mit anderen Worten: sie war sakral. Aus dieser kollektiven Projektion sind die Mythen entstanden, in denen die gewalttätige Ausstoßung von Opfern auf verschleierte Weise als Gründungsgeschehen der eigenen Welt nacherzählt wird. So entstanden auch die rituellen Opfer, in denen der Prozeß der kollektiven Tötung - streng kontrolliert durch den sakralen Schauer - nachvollzogen wird, um seine ursprünglich positive Wirkung immer wieder zu erfahren. Nach Girard waren folglich die archaischen Religionen keineswegs beliebig oder überflüßig: sie begründeten und stabilisierten - dank des verdeckten und hintergründigen Sündenbockmechanismus - die Gesellschaften.

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Dies ist aber nur die eine Seite. Girard findet in der Geschichte ebenso einen klaren Impuls zur Überwindung der Opfer und der Gewaltmechanismen. Dieser Impuls zeigt sich vor allem in den großen Religionen, in denen die mythischen Heroen und Göttergestalten zu universalen Gottesvorstellungen transformiert und die Tabu-Vorschriften und Opferriten zu universaleren Ethiken geläutert wurden. Im langen Ringen zwischen den gegensätzlichen Kräften kam es einerseits zu wesentlichen Fortschritten (z.B. Achsenzeit), aber anderseits auch zu dramatischen Rückfällen. Sehr vieles in der Welt der Religionen blieb deshalb zweideutig. Nur in der jüdisch-christlichen Glaubensgeschichte führte - so Girard - der offenbarende Impuls am Ende eines langen Transformationsprozesses zu einer vollen Konfrontation mit den Mächten der Projektion und der Gewalt. Dabei wurde der gesellschaftliche und sakrale Mechanismus, der die ganze bisherige Geschichte untergründig mitgeprägt hatte, an einer Stelle voll aufgedeckt und wenigstens auf grundsätzlicher Ebene überwunden, nämlich im Kreuz und in der Auferweckung Christi. In der eucharistischen Erinnerungsfeier bleibt dieses Geschehen - als totale Umkehr des Sündenbockmechanismus - zeichenhaft in der Geschichte gegenwärtig.

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Die Geschichtsdeutung Girards, die zunächst ganz der aufklärerischen Gesellschafts- und Religionskritik verpflichtet ist, stößt auf diese Weise zu einer Sicht der biblischen Texte vor, die sich ihren Grundlinien nach mit dem Glauben der Kirche und der christlichen Theologie deckt. Sie stimmt auch ganz mit der Feststellung überein, die wir weiter oben gemacht haben, daß die Frage der Religion untrennbar zur geschichtlichen und gesellschaftlichen Problematik gehört. Girard liefert ferner zwei klare Kriterien, um innerhalb der äußerst komplexen und vielfältigen geschichtlichen Phänomene zu unterscheiden. Er fragt präzise nach der Art, wie Menschen sich zusammenfinden, Frieden schaffen, Gesellschaften ermöglichen und so die Geschichte in Gang setzen. Eine durchgehende und dominierende Struktur sieht er im Sündenbockmechanismus oder in dem, was Poliakov die 'causalité diabolique' nennt. Als Gegenkraft wirkt nach ihm jene Gemeinschaftsbildung in der Geschichte, die ohne Sündenbock auskommt und die aus einer wahren Versöhnung entspringt. Da diese Art des Zusammenfindens aber - gemäß dem Zeugnis aller vergangenen Epochen und vor allem der Bibel - die ethischen Möglichkeiten des Menschen übersteigt und deshalb bisher nur Tendenz blieb und nie zur dominierenden Struktur wurde, schreibt Girard sie dem verborgenen Wirken des göttlichen Geistes zu, der sich als Heiliger Geist von der Welt des Sakralen eindeutig abhebt. Zusammenfinden gegen Feinde oder Gemeinschaft durch Versöhnung, projektive Sakralität oder empfangene Heiligkeit, dies sind die großen gegensätzlichen Mächte in der Geschichte.

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Die skizzierte Sicht hat große Ähnlichkeiten mit der Lehre des Augustinus von den zwei 'civitates', die gemäß dem Kirchenvater die ganze Geschichte der Menschheit durchwirken. Die 'civitas dei' entspringt der Gottesliebe und die 'civitas terrena seu diaboli' der Selbstliebe. Augustinus ordnet die 'civitas dei' der Kirche und die 'civitas terrena' dem irdischen Staat zu, ohne jedoch die beiden Größen jeweils miteinander zu identifizieren. Sowohl Kirche wie Staat sind für ihn 'vermischte' Wirklichkeiten, in denen sich die beiden 'civitates' - wenn auch auf je andere Weise - durchdringen.(35) Für Girard sind Kirche und Staat ebenfalls 'Mischgrößen'(36), die von den zwei gegensätzlichen Urszenen (Sündenbockmechanismus - Tod/Auferweckung Christi) her zu entschlüsseln sind. Seine Sicht hat aber gegenüber dem Kirchenvater den Vorteil, daß sie durch den Sündenbockmechanismus erklären kann, wie Menschen, die durch Leidenschaft und Selbstliebe bestimmt werden, sich dennoch zu Gesellschaften zusammenfinden. Im Unterschied zu Augustinus, der vor allem von spirituellen Prinzipien spricht, gibt Girard auch konkrete Kriterien an, wie die beiden 'civitates' in der Geschichte unterschieden werden können (Vereinigung gegen 'Feind' - Vereinigung durch Versöhnung; Sakralität als projektive Gewalt - Heiligkeit als vergebende Liebe). Girard liefert so einen präzisen und universalen Deutungsrahmen zur Interpretation der ganzen Geschichte. Dieser Rahmen bietet sich in gleicher Weise für die historisch-kritische Forschung wie für die Theologie an. (37)

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5) Ethik und Politik

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Um Mißverständnisse zu vermeiden, ist klar hervorzuheben, daß auch für Girard die Ethik und der Wille zur Verständigung keineswegs bedeutungslos sind. Alle Hochreligionen haben Ethiken entwickelt, deren Grundprinzip sich auf die eine oder andere Weise in der goldenen Regel (38) äußert, gemäß der man andere so behandeln soll, wie manwünscht, daß sie einem gegenüber handeln.(39) Diese Regel fordert folglich eine einseitige Vorleistung, was jedoch in der politischen Praxis nur äußerst schwer zu erreichen ist. Die moderne Diskursethik ist deshalb bescheidener geworden und schränkt ein: "Die Gültigkeit moralischer Gebote ist an die Bedingung geknüpft, daß diese als Grundlage einer allgemeinen Praxis generell befolgt werden." (40) Da auch diese Bedingung praktisch kaum je erfüllt ist oder höchstens bei jenen Normen, die durch das Justizsystem erzwungen werden, droht die Ethik in der realen politischen Welt ein bloßer Traum zu bleiben. (41) Obwohl diese Tradition als Ideal - und auch vielfach in individuellen Lebensgeschichten - ihre Bedeutung hat, kann sie doch das Funktionieren der menschlichen Gesellschaften nicht wirklich erklären, und sie muß ausdrücklich mit dem "agnostisch-änigmatischen Charakter des gesellschaftlichen Bandes" (42) rechnen. All dies zeigt, daß die ethische Tradition in der Menschheit keine selbständige, sondern eine untergeordnete Größe ist, die sich langfristig von religiösen Überzeugungen nährt und die nur dann den Anschein einer eigenständigen Kraft gewinnt, wenn sie sich gegen massive Fehlformen des Religiösen wenden und aus diesem Gegensatz (zum Beispiel im Antiklerikalismus) ihre Kraft ziehen kann. Die Rede vom "agnostisch-änigmatischen Charakter des gesellschaftlichen Bandes" innerhalb der aufklärerischen politischen Theorien dürfte eine verschleiernde Formulierung sein, die einerseits auf die untergründige Wirksamkeit des Sündenbockmechanismus hinweist und anderseits jene säkular erscheinenden ethischen Gestaltungskräfte anspricht, die sich aus dem Gegensatz zu religiösen Machtansprüchen nähren.

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6) Komplexität und Mythos

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Zur präziseren und umfassenden Analyse der Geschichte im Licht der Sündenbocktheorie ist auf ein weiteres Element ausdrücklich zu achten. Das Sakrale, das ursprünglich eruptiv durch die im Sündenbockmechanismus sich ereignende Polarisierung und Projektion geschaffen wurde, erfuhr im Laufe der Geschichte große Transformationen. Erschien es zunächst als eine ganz irrationale und zwielichtige Macht, so diente es später zur Verklärung und Legitimierung irdischer Reiche und politischer Machtansprüche. Unter der Einwirkung der Hochreligionen und vor allem der jüdisch-christlichen Tradition mit ihrer Kritik an den Götzen und am religiösen Anspruch der Politik transformiert es sich nochmals und nahm schließlich die Gestalt 'undurchschaubarer Komplexität' an, wie vor allem die Forschergruppe um J.P.Dupuy (43) aufzuzeigen versucht. Diese Gruppe greift die girardsche Theorie der Nachahmung und des Sakralen (ohne deren christliche Komponente) zur Deutung der modernen Gesellschaft auf. (44) Danach hat die undurchschaubare Komplexität für den Zusammenhalt der modernen Gesellschaften eine analoge Funktion wie das Sakrale in den vorstaatlichen Gemeinschaften. Weil dort die Wirkweise des Sündenbockmechanismus - wegen der leidenschaftlichen Erregung - nicht durchschaut wurde, erschien das Ergebnis der eigenen Projektionen allen Beteiligten als eine wunderbare und vorgegebene Wirklichkeit. Einen ähnlichen Doppelcharakter hat die moderne Gesellschaft. Wegen ihrer hohen und undurchschaubaren Komplexität erscheint sie allen einzelnen als vorgegeben, obwohl sie doch durch die Interaktion aller Glieder geschaffen wird, deren Wirken sich auf seltsame Weise (vgl. 'unsichtbare Hand') zu einem - wenn auch problematischen - lebbaren Ganzen fügt. Wie früher das Sakrale den Sündenbockmechanismus überlagerte und im Alltag das Stammesleben stabilisierte, so überlagert heute die Komplexität der modernen Welt sowohl die kommunikativen Prozesse wie auch die gemeinsame Polarisierung auf Feinde, verschleiert die Opfer und stabilisiert dadurch die Gesellschaft. Dabei tendiert auch diese moderne Komplexität, obwohl sie ausdrücklich weiß, daß sie sich selber schafft, zur Mythisierung.(45) N.Bolz meint z.B.: "Seit die Medienenvironments aus sich selbst emergieren, gibt es Geschichte im spezifischen Sinn nicht mehr. Die neuen Medien ermöglichen einen unmittelbaren Zugriff auf alle gespeicherten Vergangenheiten. Diesen von den elektromagnetischen Wellen gebildeten Raum strikter Gleichzeitigkeit hat McLuhan global village genannt. Das ist die Wiederkehr mythischer Instantaneität und Simultanität unter High-Tech-Bedingungen; in diesem Sinne muß man wohl auch Leslie Fiedlers Verheißung eines tribal life among machines verstehen." (46) Noch ausdrücklicher ist das Urteil von L.Lapham im Vorwort zur Neuausgabe (1994) von McLuhan's 'Understandig Media': "The postmodern imagination is a product of the mass media, but as a means of perception it is more accurately described as pre-Christian. The vocabulary is neccesarily primitive, reducing argument to gossip and history to the telling of fairy tales... As McLuhan noticed thirty years ago, the accelerated technologies of the electronic future carry us backward into the firelight flickering in the caves of a neolithic past. Among people who worship the objects of their own invention (...) and accept the blessing of an icon as proof of divinity (...), ritual becomes a form of applied knowledge." (47)

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Die Rückkehr zu archaischen Formen der Religiosität zeigt sich heute nicht bloß in der Welt der Medien, sondern auch im Denken. War noch vor zwei oder drei Jahrzehnten die Entmythologisierung Mode, so ist inzwischen der Mythos wieder sehr respektabel geworden. In einer Reaktion auf das "Lob des Polytheismus" von O.Marquard (48) urteilt J.Taubes aber scharfsinnig: "Ob wir im Verständnis von Mythos an Walter F. Otto und Karl Kerényi, die bedeutenden Exponenten der Mythologie-Forschung der letzten Generation, anknüpfen oder ob wir uns an Mircea Eliade und Claude Lévi-Strauss, die bedeutendsten konträr zueinander stehenden Exponenten der Mythologie-Forschung unserer Generation, halten, allen gemeinsam ist, daß sie Mythos mythisch erklären, keinen archimedischen Punkt außerhalb der mythischen Geisteslage anvisieren, also einen 'Mythos der Mythologie' produzieren." (49) Dieser Mythos innerhalb der modernen Mythologie-Forschung zeigt wohl besonders deutlich, wie stark das moderne, nachchristliche Denken in eine vorchristliche Welt zurückkehrt. Taubes plädiert deshalb gegen die Philosophie der Mythologie für eine "aufgeklärte Philosophie der Offenbarung" (50). Der einzige aber, der einerseits eine streng rationale Deutung des Mythos vorgelegt hat und der anderseits zugleich verständlich machen konnte, weshalb mythische Erzählungen in der menschlichen Geschichte ein so große Rolle gespielt haben (und noch spielen), ist R.Girard. Nach ihm sind Mythen, wie bereits kurz angedeutet, Berichte, in denen einerseits auf verschleiernde Weise das gewalttätige Gründungsgeschehen einer Gesellschaft (Sündenbockmechanismus) nacherzählt wird und die anderseits Zeugnis geben von der urmenschlichen Hoffnung auf eine gute Ordnung, die aus dem Chaos entsteht. Diese rationale Deutung, die gerade auch dem irrationalen und dem überrationalen Charakter der Mythen gerecht wird, zeigt von einer neuen Seite, wie bedeutungsvoll das Denken Girards für eine wissenschaftliche Deutung der Geschichte sein kann.

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7) Geschichtswissenschaft und Theologie

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Die Analysen zum Sündenbockmechanismus und zur Komplexität greifen von einer neuen Seite das auf, was wir eingangs unter dem Stichwort 'Megamaschine' angesprochen haben. Sie zeigen, daß die modernen Gesellschaften - analog zu den archaischen - über weite Strecken durch Mechanismen regiert werden, wobei diese Mechanismen auch heute zu einem schönen Teil durch die assoziativ-mythische 'virtual reality' (51) der Medien überdeckt werden. Da diese Mechanismen die auftauchenden Problem aber - trotz der 'unsichtbaren Hand' - keineswegs automatisch lösen und da gerade die moderne Gesellschaft auch die Möglichkeit der Selbstvernichtung geschaffen hat, bleibt die Frage der Entscheidung undVerantwortung dennoch bestehen. Biblisch gesehen wird die Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit in den apokalyptischen Texten angesprochen. Gerade diese Texte finden heute wieder eine spontane Resonanz und Verständlichkeit.(52) Das Bild der 'Megamaschine' genügt folglich in keiner Weise, um die heutige Welt zu beschreiben. Wegen ihrer Komplexität kann die moderne Gesellschaft zwar tatsächlich als eine solche Maschine erscheinen. Auf tieferer Ebene wird sie aber von zwei gegenläufigen Prinzipien bestimmt, die in zwei 'Urszenen' zur Darstellung kommen (einerseits: Sündenbockmechanismus mit rituellem Opfer (53); anderseits: Kreuz/Ostern mit eucharistischer Erinnerung (54)). Von vielen individuellen Entscheidungen zwischen diesen beiden 'Urszenen' dürfte in einem großen Maß abhängen, ob unsere Welt eine echte Zukunft hat oder der Selbstvernichtung entgegengeht. Die angebliche 'Megamaschine' wird untergründig von einer dramatischen Entscheidungssituation bestimmt. (55) Trotz der modernen Rede vom Ende der Geschichte kennt unsere Welt weiterhin eine echte Auseinandersetzung und damit auch eine echte Geschichte.

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Für die Geschichtswissenschaften hat dies unmittelbare Folgen. Wenn diese sich nicht mit dem positivistischen Aufzählen von Fakten in einzelnen Bereichen oder mit subjektiven Beschreibungen von einzelnen Nischen der technischen Welt begnügen wollen, dann müssen sie sich notwendigerweise um einen universalen Deutungsrahmen bemühen. (56) Da die moderne Dauerkritik aber alle (metaphysischen, religiösen, humanistischen, evolutionären, etc.) Interpretationsmuster als allgemein anerkannte aufgelöst hat, bleibt als entscheidende und durchgehende Fragestellung nur noch: Wie ist das gesellschaftliche Band möglich? Damit rückt die Problematik des Zusammenschließens gegen Feinde (Sündenbockmechanismus) und der Überwindung dieser mechanistischen Tendenz ins Zentrum der Betrachtung. Diese Frage ist unmittelbar verbunden mit der weiteren: Zu welchen sakralen oder mythologischen Vorstellungen führen die projektiven Selbstorganisationsprozesse unter Menschen? Gerade diese beiden Probleme sind heute aber auch ein entscheidender Ausgangspunkt für die christliche Theologie. Es drängt sich deshalb die Folgerung auf: Geschichtswissenschaft und Theologie haben eine gemeinsame universale Fragestellung.(57)

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Die Geschichtswissenschaft hat nachzuzeichnen, wie Aktionseinheiten unter den Menschen zustandegekommen sind und welche sakralen Vorstellungen in diesen Prozessen entworfen wurden. Auf diese Weise kann sie auch einen echten Zusammenhang zwischen einzelnen geschichtlichen Ereignissen finden. Dabei muß sie, wenn sie den Weg der Siegreichen nicht ideologisch verschleiern will, vor allem auf die Ausgestoßenen und die Opfer achten, um deren Schicksal zu würdigen, ihre Rollen in der Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren (58) und um so aufzuzeigen, daß die vergangene Geschichte nicht mechanisch abgelaufen ist, sondern ihre offenen Möglichkeiten hatte.

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Auch die Theologie fragt zentral nach der wahren Einheit unter den Menschen. Wo diese ohne Feinde gelingt, dort darf sie mit Recht von einem Handeln Gottes in der Geschichte sprechen. So kann wieder ein echter Zusammenhang zwischen der biblischen Rede von Handeln Gottes und geschichtlichen und heutigen Erfahrungen hergestellt werden. Die Theologie hat sich aber ebenso um die Opfer zu kümmern. Sie will diese aber nicht nur vor dem Vergessen bewahren, sondern stellt die Frage, wie ihnen trotz des vorläufigen negativen Urteils, das sie in der Geschichte erfahren mußten, gerechtigkeit widerfahren kann und wie alle, die auf die eine oder andere Weise unter die Räder der Geschichte geraten sind, durch die Auferstehung aus dem Tode gerettet werden können.(59)

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Aus dieser umfassenden Sicht mit ihrer inneren polaren Spannung läßt sich schließlich auch eine Hypothese für die Zukunft entwerfen, durch die die skizzierte Sicht - mindestens später - teilweise verifiziert oder falsifiziert werden kann. Da die vielen Völker und die Menschheit durch die wirtschaftlich-technischen Mittel immer mehr zusammenwachsen und da das Konfliktpotential unter ihnen sehr groß ist, dürften die gegenwärtige Tendenz zum Pluralismus und zur Aufsplitterung von Staaten nicht von Dauer sein. Die Probleme werden so anwachsen, daß sie in absehbarer Zukunft - spätestens in einigen Jahrzehnten - wohl nur durch eine starke Weltautorität einigermaßen gemeistert werden können. Eine solche Autorität wird aber unweigerlich die Tendenz zur milden oder massiven Diktatur und zur sakralen Selbstverklärung haben. Dieser Tendenz werden die großen Religionen und vor allem die christlichen Kirchen entgegentreten müssen. Ein neue Form des Kampfes zwischen 'Kaiser und Papst' ist folglich zu erwarten. Die katholische Kirche hat sich bereits auf dem letzten Konzil in diese Richtung orientiert und sich instinktiv vorbereitet, um die neue Auseinandersetzung vielleicht besser als frühere zu bestehen. Sie hat sich einerseits als "Sakrament, d.h. als Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" definiert und sich so als "unzerstörbare Keimzelle der Einheit" und des universalen Friedens gedeutet (Lumen gentium Nr.1.9.13). Anderseits hat sie ausdrücklich die Autonomie des politischen Bereiches anerkannt, die Religionsfreiheit als Recht jeder menschlichen Person gelehrt, das Positive in den anderen Religionen deutlich hervorgehoben und den totalen Krieg vorbehaltslos verurteilt. Sie will folglich heute und in Zukunft keineswegs mit der politischen Macht auf jener Ebene, die der Politik unmittelbar eigen ist, in Konkurrenz treten. Dennoch versteht sie sich als das wahre von Gott gesetzte Zeichen der Einheit aller Menschen und muß damit notwendigerweise in Konflikt treten mit einer universalen politischen Autorität, sobald diese sich selber - wenn auch nur indirekt - absolut setzt. Wie die zu erwartende Auseinandersetzung zwischen einer kommenden Weltregierung und einer zur Universalität tendierenden Kirche verlaufen wird, kann von unserer Hypothese her im einzelnen allerdings nicht vorausgesagt werden. Der Verlauf des Konfliktes wird in einem starken Maß davon abhängen, welches Verhältnis die christlichen Kirchen zueinander und zu den anderen Weltreligionen finden und ob sie den Streit um die menschliche Freiheit und um die Heiligkeit Gottes gegen eine sich selber sakralisierende Weltmacht entschieden mit gewaltfreien Mitteln führen werden (60). Daß es aber zu dieser Auseinandersetzung kommen wird und daß dabei rein ethische und humanistische Kräfte keine entscheidende Rolle spielen werden, legt die hier skizzierte Sicht zum Verhältnis zwischen Theologie und Geschichtswissenschaft nahe.

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Anmerkungen:

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1. J.Fest, Wege zur Geschichte. Über Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt und Golo Mann. Zürich 1992, 129f. - vgl. auch: "Good - imaginative - history is akin to retrospective poetry." Ch.Hill, The English Bible and the Seventeenth-Century Revolution. London 1993, 438.

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2. Ebd. 130.

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3. "Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit." Poetik 9 (1451a).

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4. "Das bedeutet, daß die klassische Auffassung des Historismus vom Gegenstand der Historie als einer unwiederholbaren Folge von einmaligen Ereignissen ... sich als grundsätzlich berechtigt erweist, so allerdings, daß das Auftreten von regelmäßigen Strukturen unterschiedlicher Allgemeinheitsstufe an derartigen Ereignisfolgen in den Gegenstandsbereich der Historie miteinzubeziehen ist. Der Erklärungswert solcher Strukturen wird mit Recht betont." W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. Frankfurt a.M. 1973, 63.

48
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5. "Theory, of course, is relevant to explaining the pathway... But the actual pathway is strongly underdetermined by our general theory of life's evolution... Webs and chains of historical events are so intricate, so imbued with random and chaotic elements, so unrepeatable in encompassing such a multitude of unique (and uniquely interacting) objects, that standard models of simple prediction and replication do not apply... History includes too much chaos, or extremely sensitive dependence on minute and unmeasurable differences in initial conditions, leading to massively divergent outcomes based on tiny and unknowable disparities in starting points. S.J. Gould, The Evolution of Life on the Earth. In: Scientific America, Oct. 1994, 63-69, hier 63.

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6. "The subsequent main pulse, starting about 530 million years ago, constitutes the famous cambrian explosion, during which all but one modern phylum of animal life made a first appearance in the fossil record. (Geologists had previously allowed up to 40 million years for this event, but an elegant study, published in 1993 clearly restricts this period of phyletic flowering to a mere five million years.)" ebd. 67.

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7. Zur grundsätzlichen Rolle des Einmaligen in der Physik: "Nun hat sich nämlich in der Physik das wesentlich Einmalige (für das in den physikalischen Naturgesetzen niemals ein Platz vorhanden war) an einer unerwarteten Stelle manifestiert. Diese Stelle ist die Beobachtungs selbst, die deshalb einmalig (wenn Sie wollen, ein 'Schöpfungsakt') ist, weil es unmöglich ist, den Einfluss des Beobachters durch determinierbare Korrekturen zu eliminieren. Der so entstandene Typus des nicht weiter auf Aussagen über Einzelfälle reduzierbaren statistischen Gesetzes, der zwischen dem Diskontinuum der Einzelfälle und dem erst in einer grösseren statistischen Gesamtheit (annähernd) realisierten Kontinuum vermittelt, kann als 'statistische Korrespondenz' bezeichnet werden." Brief von W.Pauli an C.G.Jung (24.11.1950). In: Wolfgang Pauli und C.G.Jung. Ein Briefwechsel 1932-1958. Hg. von C.A. Meier. Berlin u.a. 1992, 58.

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8. Zur ausführlicheren Begründung für die Notwendigkeit eines universalen Deutungsrahmens vgl. W. Pannenberg, Hermeneutik und Universalgeschichte. In: drs., Grundfragen systematischer Theologie, Göttingen 1967, 91-122; drs., Über historische und theologische Hermeneutik. ebd. 123-158; zur Ähnlichkeit und zum radikalen Unterschied zwischen Hume und Pannenberg bezüglich der historischen Methode, vgl. N. Murphy, Theology in the Age of Scientific Reasoning. Ithaca 1990, 12-50.

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9. Eine ähnliche Problematik stellt sich allen Humanwissenschaften. Bezüglich der Literaturwissenschaft vertritt z.B. George Steiner, eine führende Gestalt in der vergleichenden Literaturwissenschaft, die Position, daß der bisherige Anspruch auf wissenschaftliche Deutung literarischer Werke beliebig und inhaltslos geworden ist. Steiner versucht deshalb von der Kunst her wieder zu etwas Absolutem und Allgemeingültigen vorzustoßen (Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt?, München 1990).

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10. L. Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Reinbek 1989.

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11. Niethammer geht vor allem auf folgende Autoren ein: Henry Adams, Günther Anders, Jean Baudrillard, Norman Brown, Peter Brückner, Hans Freyer, Arnold Gehlen, Bertrand de Jouvenel, Ernst Jünger, Alexandre Kojève, Hendrik de Man, Carl Schmitt, Oswald Spengler; - vgl. F. Fukuyama, Das Ende der Geschichte: wo stehen wir heute? München 1992.

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12. Ebd. 40-49. - "In der technisch-sachlichen Selbstregulierung des politischen Systems wird Entscheidungsbedarf nur noch simuliert. An der Horizontlinie dieser Entwicklung hebt sich Politik in Rhetorik auf; sie wird dann nur noch als rein rituelle Form konserviert werden. Es ist deshalb ganz konsequent, wenn Hans Blumenberg das Paradoxon einer immer ohnmächtiger werdenden Macht durch bloße 'Wortpolitik' entparadoxiert sieht: Die nüchterne Abschätzung der Folgelasten einer im eigentlichen Sinne eingreifenden Politik mündet ins Lob des ewigen Gesprächs, d.h. der endlosen Diskussion. Viel Lärm um nichts wäre also eine durchaus positive Formel für eine solche Wortpolitik als ob." N. Bolz, Die Welt als Chaos und als Simulation, München 1992, 109.

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13. Niethammer, Posthistoire (s.Anm. 11) 79f (Kojève).

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14. Ebd. 49-66.

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15. D.B. Linke, Die dritte kopernikanische Wende. Transplantationsmedizin und personale Identität. In: Ethica (Innsbruck) 1 (1993) 53-64.

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16. Im Gegensatz zur philosophischen Idee vom autonomen Subjekt zeichnete die Kunst und vor allem die große Dichtung schon immer ein ganz anderes Bild vom Menschen: "If Shakespeare's theatre is 'a theatre of envy', Calderón's is a theater of jealousy. In Calderón jealousy is not just a particular existential condition among many, one sin among others; it is at the root of sin, a cipher and a symptom of human sinfulness or fallen condition." C. Bandera, The sacred game. The Role of the Sacred in the Genesis of Modern Literary Fiction. Pennsylvania 1994, 221.

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17. Während die biblische und die christliche Geschichtsschreibung durch die 'göttliche Vorsehung' einen inneren Zusammenhang zwischen den einzelnen historischen Ereignissen herzustellen suchte, haben im Zeitalter der Aufklärung vor allem D.Hume und Voltaire diese Sicht bekämpft. Voltaire hat sie lächerlich gemacht, und Hume hat versucht, die Geschichte nur durch die Gesetze der menschlichen Natur ('laws of human nature') zu erklären.

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18. O. Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Frankfurt a.M. 1973, 77.

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19. Daß menschliches Handeln leicht kontraproduktiv ist, d.h. auf längere Sicht genau das Gegenteil von dem bewirkt, was es mit bester Absicht ursprünglich wollte, hat die Dichtung schon zu Beginn der Aufklärung gezeigt: "Cervantes tells us that human desire may transform even the most beautiful and noble into an alienating trap, an object of destructive idolatry. It has been said of Shakespeare that in Othello he conveys 'one of the essential moral experiences, the painful discovery that human impulses for good can by a mysterious process turn into something evil and destructive' (Brower, Hero and Saint, New York 1971, 28). It could be said equally well of Cervantes, at least from the Quijote on." Bandera, Game (s.Anm. 17) 197f.

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20. O. Kallscheuer, Gottes Wort und Volkes Stimme. Glaube, Macht, Politik. Frankfurt a.M. 1994, 112-148; W. Palaver, Politik und Religion bei Thomas Hobbes. Eine Kritik aus der Sicht der Theorie R. Girards (IThS 33). Innsbruck 1991, 338-347.

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21. Kallscheuer, Gottes Wort (s.Anm. 21) 112-148.

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22. Wie trügerisch eine 'wissenschaftliche' Sicht sein kann, die nur auf die äußeren Ereignisse schaut und die religiösen Kräfte verkennt, hat u.a. Ch. Dawson deutlich gemacht: "(To) a contemporary 'scientific' historian the rise of the world empires in the Near East from the 8Th to the 6th centuries B.C. would have seemed the only historical reality. He could not have imagined that 2000 years later all this drama of world history would only be remembered in so far as it affected the spiritual fortunes of one of the smallest and least materially civilzed of the subject peoples. And in the same way, what contemporary observer could have imagined that the execution of an obscure Jewish religious leader in the first century of the Roman Empire would affect the life and thought of millions who never heard the names of the great statemens and generals of the age?" (The Dynamics of World History. New York 1956, 257).

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23. W. Kasper, Der Gott Jesu Christi. Mainz 1982, 21. 

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24. H.-G. Stobbe, Ökumene und Frieden. Überlegungen zu einer notwendigen Beziehung. In: Una Sancta 37 (1982) 202-215, hier 209.

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25. Auch John Milbank hat in seiner fundamentalen Studie "Theology and Social Theory: Beyond Secular Reason" (Oxford 1993) gezeigt, daß alle Sozialtheorien innerhalb der aufklärerischen Tradition nur deshalb als säkular erscheinen konnten, weil deren hintergründige Theologien verglichen mit der christlichen häretisch waren.

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26. M. Horkheimer, Th.W. Adorno. Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M. 1971.

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27. U. Beck, Der feindlose Staat. In: Die Zeit (23.Okt.1992) 65. - Daß Gegner wesentlich zu einer politischen Größe gehören, ist auch die These eines Altmeisters des politischen Denkens in Deutschland, Carl Schmitt, der allerdings wegen seiner Kompromittierung zur Zeit des Nationalsozialismus lange Zeit kaum zitiert werden konnte. Heute hat sich diesbezüglich die Situation deutlich geändert, wie etwa ein Artikel von J. Habermas zeigt: "<Unser aller Avancierriese>: Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der Bundesrepublik". In: Die Zeit, 3. Dez. 1993, Politisches Buch 17.

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28. M. Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918. Stuttgart 1992.

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29. L. Poliakov, Geschichte des Antisemitismus (8 Bde). Übersetzt von P.Pfisterer. Bde. 1-6: Worms 1977-1987; Bde. 7 u.8: Frankfurt a.M. 1988.

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30. L. Poliakov, La causalité diabolique. Bd.1: Essai sur l'origine des persécutions. Paris 1980; Bd.2: Du joug mongol à la victoire de Lénine. Paris 1985. - Poliakov, der sich über die Vielschichtigkeit geschichtlicher Zusammenhänge sehr bewußt ist, macht sich ausdrücklich Gedanken über den Begriff der Kausalität in der Geschichte. Er wagt es, von einer geschichtlichen Kausalität zu sprechen, und er nennt sie, wie der Titel seines Werkes zeigt, eine 'diabolische'. Diese Kausalität ist nichts anderes als das Zusammenrotten oder Zusammenwirken von vielen dank eines Feindbildes, und diese Kausalität entspricht weitgehend dem Sündenbockmechanismus bei R.Girard.

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31. H. Arendt sucht diese Sicht dadurch zu relativieren, daß sie den Unterschied zwischen der amerikanischen und der französischen Revolution betont. Die letztere habe versucht, den neuen Staat durch Gewalt aufzubauen, während die erstere in einer kommunikativen Macht gründe (Vita activa oder vom tätigen Leben. München 71992, 223). - Gewiß gibt es deutliche Unterschiede zwischen beiden Revolutionen. Arendt übersieht aber, daß bei der amerikanischen die Gewalt nur diffuser war (England als Feind - dauernder Kleinkrieg gegen Indianer und untereinander - Krieg gegen Mexiko). Vor allem aber kommt Arendt selber nicht daran vorbei, mit Jefferson von der Sklaverei als dem "ursprünglichen Verbrechen ..., auf dem das Gefüge der amerikanischen Gesellschaft beruhte", zu sprechen. (Über die Revolution, München 31986, 89f.145). Aus dieser Einsicht zieht sie jedoch keine weiteren Konsequenzen.

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32. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1980.

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33. Ebd. 208; - vgl. auch: "Athens Außenpolitik und Kriegführung haben entscheidend zum Ausgleich innerhalb der Bürgerschaft beigetragen, auch ohne eine Aufwertung des Areopags. Diese Bedingung der Stabilität der radikalsten griechischen Demokratie ist dann der so viel enger angelegten politischen Theorie des Aristoteles entgangen (so daß dessen Aussagen über die extreme Demokratie sich gerade an derjenigen Polis nicht bewähren, von der sie abgeleitet sind - zum Nachteil seiner ganzen Theorie)." ebd. 220.

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34. R. Girard, Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses. Übersetzt v. A.Berz. Freiburg i.Br. 1983; drs., Das Heilige und die Gewalt. Übersetzt v. E.Mainberger-Ruh. Zürich 1987; drs., Der Sündenbock. Übersetzt v. Mainberger-Ruh. Zürich 1988; drs., Hiob - ein Weg aus der Gewalt. Übersetzt v. Mainberger-Ruh. Zürich 1990.

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35. Die Kirchengeschichte zeigt nur zu deutlich, daß auch die christlichen Staaten, ja sogar die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sich in einem beachtlichen Maß immer wieder in Absetzung gegen andere - gegen Feinde - zusammengefunden haben (Kreuzzüge gegen Islam; Gegensatz zwischen Ost- und Westkirche; Gegensatz zwischen römischer Kirche und reformatorischen Kirchen etc).

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36. Vgl. R. Schwager, Biblische Texte als 'Mischtexte'. In: KatBl 119 (1994) 698-703.

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37. Dies hat Folgen für alle Human- und Gesellschaftswissenschaften; vgl. F. Lagarde, René Girard ou la christianisation des sciences humaines (Sociocriticism: Literature, Society and History 7). New York u.a. 1994.

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38. Im Neuen Testament findet sich die 'goldene Regel' in folgender Form: "Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen" (Lk 6,31; vgl. Mt 7,12).

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39. Manche verstehen die goldene Regel nur im Sinne der Wechselseitigkeit oder der Vergeltung: behandle andere, wie sie dich behandeln. G.S. Kavka bemerkt mit Recht, daß wir es in diesem Fall aber nicht mehr mit einer 'goldenen', sondern höchstens noch mit einer 'kupfernen' Regel zu haben (Hobbesian Moral and Political Theorie. Princeton 1986, 347).

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40. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt a.M. 1991, 136.

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41. Wie machtlos der gute Wille im politischen Bereich meistens ist, illustriert die Studie "Aussichten auf den Bürgerkrieg" von M. Enzensberger (Frankfurt a.M. 1993), in der angesichts der unlösbaren Probleme in der heutigen Welt ("dreißig bis vierzig offene Bürgerkriege, die derzeit auf der ganzen Welt geführt werden" [ebd. 12]) dafür plädiert wird, auf ethische 'Allmachtsvorstellungen' endgültig zu verzichten und den Bereich der menschlichen Verantwortung (und Ethik) radikal auf die eigene Umgebung zu reduzieren und den Rest der Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen. Kann aber eine Ethik und eine Verantwortung, so muß man dagegen fragen, noch eine echte Ethik und Verantwortung sein, wenn sie einen Großteil der Menschheit grundsätzlich ausspart? Müssten sich die reicheren Länder nicht noch entschiedener, als sie es schon tun, gegen die fremden 'Massen', die an ihrem Wohlstand teilhaben wollen, abschirmen und sie zu bedrohlichen Feinden stempeln? Würden so die Fremden nicht zur alles dominierenden Attrappe, durch die der bedrohte Konsens im eigenen Inneren immer wieder erneuert würde?

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42. C. Theobald, Die neuzeitliche Philosophie der Freiheit und ihre Auswirkungen auf die Christologie. In: Bulletin Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie 4 (1993) 163-177, hier 166.

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43. J.P. Dupuy ist Leiter der Forschungsgruppe C.R.E.A an der École Polytechnique in Paris und zugleich Professor an der Stanford University in Kalifornien.

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44. J.-P. Dupuy et P. Dumouchel, L'enfer des choses. Paris 1979; J.-P. Dupuy, Ordres et désordres. Enquête sur un nouveau paradigme. Paris 1982; drs., La Panique, Paris 1991; drs., Le sacrifice et l'envie. Le libéralisme aux prises avec la justice soziale. Paris 1992.

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45. Die Werbung, der populäre Film und die 'virtual reality' zeigen, wie stark heute schon die Tendenz zur ausdrücklichen Mythologisierung ist. Solche Tendenzen können - bei gegebenen Bedingungen - leicht ins Politische umschlagen und Diktaturen legitimieren.

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46. N. Bolz, Die Welt als Chaos (s.Anm. 13) 103.

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47. M. McLuhan, Understandig Media. The Extension of Man. Introduction by L.H. Lapham. Cambridge 1994, XIX-XXI; vgl. auch: Weltuntergang, Weltübergang. Science-fiction zwischen Religion und Neomythos. Hg. von L. Hauser u.a., Altenberge 1989.

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48. In: Philosophie und Mythos. Hg.von H. Poser, Berlin 1979, 40-58.

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49. J. Taubes, Zur Konjunktur des Polytheismus. In: Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Hg. von K.H. Bohrer. Frankfurt a.M. 1983, 457-470, hier 459f. - Das Mythische im modernen Denken zeigt sich auch bei Horkheimer und Adorno, die die Dialektik der Aufklärung vor allem mittels der mythischen Gestalt des Odysseus analysieren.

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50. Ebd. 465.

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51. Vgl. N. Negroponte, Being digital. New York 1995; H. Rheingold, The Virtual Community. New York 1995.

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52. Religiös-fundamentalistische Bücher, die sich ganz der apokalyptischen Thematik widmen, werden heute in Millionenauflagen verkauft; vgl. H. Lindsey, C.C. Carlson. Alter Planet Erde, wohin? Im Vorfeld des Dritten Weltkrieges. Asslar 191991.

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53. Diese Urszene ist sowohl ein Zeichen für den Fall des Menschen und des Selbstgerichts, in das er sich verliert, als auch eine Antizipation kommender besserer Ordnung.

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54. Diese Urszene beinhaltet eine kritische Klärung der vagen und problematischen Erwartung im Mythos, und sie ist zugleich ein Antizipation der erhofften Vollendung der ganzen Menschheit.

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55. "Hier erst wird die ganze theodramatische Dämonie der nachchristlichen Situation offenbar: jene weltgeschichtliche Säkularisation, die sich epochal gleichzeitig mit dem Auftreten Christi durchzusetzen begann und in einer immer vollkommeneren Beherrschung der Natur durch den von ihr befreiten Menschen kundgab, ist kein neutral als 'Fortschritt' und 'Entwicklung' beurteilbares Phänomen, sondern wird in ihrer letzten Sinnhaftigkeit umgriffen und in Dienst genommen von der theodramatischen Weltentscheidung." H.U.von Balthasar, Theodramatik, Bd.III: Die Handlung, Einsiedeln 1980, 412.

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56. Wie wichtig universale Deutungsrahmen für die Geschichtsschreibung in der Vergangenheit waren, zeigt auch Hayden White auf. Durch die Analyse der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kommt er zur These, daß "die Unterscheidung zwischen eigentlicher Historie und Geschichtsphilosophie" ein "vorkritisches Klischee" ist und "daß die für das 19. Jahrhundert bedeutsamen Formen von Historiographie metahistorisch den in derselben Zeitspanne entwickelten Geschichtsphilosophien entsprechen" (Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Aus dem Amerikanischen übersetzt von P. Kohlhaas. Frankfurt a.M. 1991, 554.556).

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57. Diese These steht in großer Nähe zu Pannenberg, der "im Thema der Ganzheit der Geschichte eine streng gemeinsame Bezugsebene theologischer und historischer Arbeit" sieht (Über historische und theologische Hermeneutik. In: drs., Grundfragen [s.Anm. 9] 140). In der Durchführung ist die girardsche These aber konkreter. Pannenberg argumentiert, daß die Ganzheit der Geschichte, die erst am Ende gegeben ist (Auferweckung der Toten), in der Auferweckung Christi antizipiert worden ist. Diese Sicht kann aber der durchschnittlichen historischen Arbeit kaum klärende Kriterien liefern, denn die Auferweckung Jesu ist ein ganz singuläres Ereignis.

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58. Unter dem Einfluß von W. Benjamin sagt Taubes kritisch zur üblichen Geschichtsschreibung: "Da die Herrscher aller Zeiten die rechtmäßigen Erben all derer sind, die jemals gesiegt haben, liest sich die Chronik der Geschichte wie eine Apologie der Mächte aller Epochen. Die im Triumphzug der Zeiten mitgeschleppte Beute setzt sich selbst als Erbe oder Überlieferung des Menschen ein. Geschichte wird vom Urteil des Siegers her geschrieben, und das stumme Leiden der Besiegten findet nur, wenn überhaupt, in den Fußnoten der Annalen der Geschichtsschreibung seinen Platz." J. Taubes, Martin Buber und die Geschichtsphilosophie. In: drs, Abendländische Eschatologie. München 1991, 211-23O, hier 213.

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59. Die hier kurz skizzierte Sicht trifft sich in vielem mit den geschichtsphilosophischen Thesen von W. Benjamin. Gegen einen Historismus, der immer nur die Geschichte der Sieger geschrieben hat, stellt er den historischen Materialismus, der als Aufgabe habe, die Barbarei unter der Kultur zu entdecken und die Geschichte gegen den Strich zu bürsten. Der historische Materialismus könne es dann ohne weiteres mit jeder anderen Sicht aufnehmen, wenn er "die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und häßlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen." (Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Mit einem Nachwort von H. Marcuse. Frankfurt a.M. 1965,78). - Daß der Hinweis auf die Theologie bei Benjamin ernst zu nehmen ist, bestätigt auch G. Scholem: "Es ist (aber) sicher, daß Benjamin in seiner Korrespondenz mit Adornos und Horkeimer mit Bezug auf die Thesen, die er ihnen im Mai einschicken wollte, wozu es jedoch nicht kam, gerade die Kontinuität dieser Arbeit mit seinen früheren für das Institut gemachten betonte. Das war ebenso wahr wie das Faktum der hier unternommenen weitreichenden und waghalsigen Neuansätze, mit denen der historische Materialismus unter den Schutz der Theologie gestellt werden sollte." Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt a.M. 1975, 275f; vgl. H. Peukert, Wissenschaftstheorie - Handlungstheorie - Fundamentale Theologie. Düsseldorf 1976.

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60. Sollte dies nicht der Fall sein, dann würde der Konflikt wieder total verworren werden und alle klaren Konturen verlieren.

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