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"Zeitgeschichtliche Forschung ist so viel mehr als Nationalsozialismus" – Universität Innsbruck
Sauermann, Verena

"Zeitgeschichtliche Forschung ist so viel mehr als Nationalsozialismus"

Dr. Verena Sauermann im Gespräch

Text: Felicitas Gütter-Graf und Matthias Melter

Verena Sauermann fand ihren Weg ans Zeitgeschichte-Institut in den Jahren 2009/10 als studentische Mitarbeiterin und avancierte nach dem Abschluss des Diplomstudiums zur Projektmitarbeiterin. Mittlerweile ist sie bei den Ötztaler Museen und dem DAM (Dokumentationsarchiv Migration Tirol) tätig. Wir trafen die promovierte Historikerin Anfang 2024 zum Online-Interview.

«Es ist klein, aber fein» 

So beschreibt Verena Sauermann das Institut für Zeitgeschichte in Innsbruck, an dem sie zwischen 2012 und 2015 als Projektmitarbeiterin tätig war. Das Projekt trug den Titel „Hall in Bewegung“ und wurde unter der Leitung des damaligen Institutsleiters Dirk Rupnow durchgeführt. Es beschäftigte sich mit der Migrationsgeschichte von Hall in Tirol und beleuchtete ein vielfach ausgeblendetes, aber die Stadt prägendes Kapitel ihrer jüngeren Vergangenheit. Es stellte einerseits eine thematische Bereicherung für das Institut dar, andererseits eröffnete die bislang unerforschte lokale Migrationsgeschichte den alteingesessenen Einheimischen neue Betrachtungsperspektiven – die Wissen(schaft)skommunikation in die Lokalbevölkerung war von Beginn an ein essenzieller Bestandteil des Projekts. Verena Sauermann erzählt, dass ein besonderes Augenmerk auf die „Gastarbeiter“, hauptsächlich aus der Türkei und Jugoslawien stammend, gelegt wurde, die seit den 1960er-Jahren nach Hall kamen. Dabei rückte vor allem deren Einfluss auf die Stadtentwicklung in den Fokus.

Für die Historikerin markierte dieses Projekt den Anfang ihres beruflichen Werdegangs, im Zuge dessen sie auch ihr Dissertationsthema fand und bearbeitete. Sie erzählt, dass sie zuvor als studentische Mitarbeiterin bei Dirk Rupnow tätig gewesen war und mit Projektbeginn nahtlos als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem von ihm geleiteten Projekt angestellt wurde. Mit der Aufbereitung der Ergebnisse der drei Jahre andauernden Forschungen wurde die Haller Migrationsgeschichte für „Hinz und Kunz“ zugänglich gemacht, so Sauermann, was sie an diesem Projekt sehr wertschätze – denn oft gibt es nach Abschluss von Forschungsprojekten zwar kurze Aufmerksamkeit, jedoch keine tiefergehende und weitgreifende Auseinandersetzung damit. Diese erfolgte in diesem Fall beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Schulklassen, die sie als sehr gewinnbringend empfand. Überrascht von der Offenheit der Stadt Hall gegenüber diesem Projekt, konnte Zeitgeschichte für alle öffentlich zugänglich gemacht werden und sprach somit nicht nur eine bestimmte Klientel an.

Möglichst viele Menschen zu erreichen, wäre das Ziel

Und dieses Ziel wurde im „Hall in Bewegung“-Projekt von Beginn an verfolgt. Mehr als in anderen Forschungszusammenhängen wurden nämlich jene Personen, um die es dabei ging – sowohl die Zeitzeug:innen selbst als auch die schlicht örtlich davon berührten Haller Einwohner:innen – auf vielfältige Art einbezogen: Ehemalige „Gastarbeiter“ berichteten von ihren Erfahrungen und waren in die Interaktion von „Wissenschaftsbetrieb“ und „Öffentlichkeit“ eingebunden. Schüler:innen aus drei Schulen in Hall und Rum waren an den Recherchearbeiten und der Aufbereitung der Ergebnisse beteiligt. Kooperationspartner waren darüber hinaus das Gemeindemuseum Absam, das Stadtarchiv Hall und das Stadtmuseum Hall. Es gab organsierte Events mit der Möglichkeit zu Dialog und Reflexion, Stadtführungen und eine temporäre Ausstellung mitten in der Haller Altstadt. Das Hineinwirken in die lokale und regionale Umgebung wurde offensiv angepackt und erfolgte in bemerkenswertem – und für den universitären Wissenschaftsbetrieb nicht selbstverständlichen – Ausmaß.

Dabei ging es – wie oft in jenen Bereichen der Zeitgeschichte, die sich mit Themen beschäftigen, die noch lebende Zeitzeug:innen betreffen – auch darum, für (tendenziell) marginalisierte Teile der Bevölkerung da zu sein und ihre Geschichte zu erzählen. Eine (bisher) unbekannte Geschichte, die noch nicht (ausreichend) im regionalen Gedächtnis verankert war. Darüber hinaus war es allerdings ebenso möglich, auch den Wissenschaftsbetrieb im engeren Sinn mit Publikationen der Ergebnisse in wissenschaftlichen Journals zu bedienen. Von einem Paradebeispiel wissenschaftlicher Forschung zu sprechen, ist also sicher nicht übertrieben, denn es gelang auf der einen Seite universitäre Ansprüchen zu erfüllen, auf der anderen die Third Mission erfolgreich wahrnehmen.

Etwas, das Verena Sauermann besonders positiv in Erinnerung hat, ist die interdisziplinäre Arbeit in diesem Zusammenhang. Je nach Thematik ist diese in zeitgeschichtlichen Forschungen mehr oder weniger ausgeprägt. In ihrem Projekt stellte sie jedoch eine zentrale Säule dar: Sie, ihre Projektkollegin Veronika Settele und Projektleiter Dirk Rupnow als Vetreter:innen der universitären Wissenschaft arbeiteten eng mit Expert:innen anderer Bereiche zusammen: mit Migrationsforscher:innen, Expert:innen für die Umsetzung und Aufbereitung, also Vermittlung, der Forschungsinhalte sowie Kunstschaffenden. Gerade durch die Einbeziehung und Verschmelzung unterschiedlicher Expertisen und damit auch Perspektiven, können neue Wege beschritten und Einsichten eröffnet werden. Damit werde Geschichte für alle Interessierten zugänglich und verständlich, ist Sauermann überzeugt, und weist zugleich darauf hin, wie anspruchsvoll die Vermittlung komplexer historischer Zusammenhänge sein kann – insbesondere, wolle man ein breites Publikum erreichen.

In diesem Bereich hat unsere Interviewpartnerin mittlerweile viel Erfahrung: Nach Projektende am Institut für Zeitgeschichte verschlug es sie an das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Ötztaler Museen und im DAM. An dieser wichtigen Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit hat sie die Möglichkeit, nicht nur zu forschen und Wissensvermittlung aktiv zu betreiben und auch zu gestalten, sondern auch durch intensive(re)n Kontakt mit den „Empfänger:innen“ der Inhalte, also den Besucher:innen, unmittelbares Feedback von ihnen zu erhalten.

Über Wachstum und Engagement am Institut für Zeitgeschichte

Das Institut für Zeitgeschichte dient aber nicht nur als Plattform für umfangreiche historische Forschung, sondern auch als Ort für persönliche und berufliche Entwicklung. Verena Sauermann erinnert sich an die „traditionellen“ wissenschaftlichen bzw. universitären Aufgabenbereiche, die sie am Institut kennenlernte und die Teil des Arbeitsalltags waren: öffentliche Vorträge, Lehre, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Publikationen, die Mitarbeit an Ausstellungen, aber auch mediale Präsenz unterschiedlicher Art. Gerade mit diesen Tätigkeiten, der – eigenen wie auch von Kolleg:innen – Organisation von Workshops und Vorträgen sowie der Teilnahme an öffentlichen Diskussionen und Veranstaltungen, fühlte sie sich am Institut in guter Gesellschaft und denkt gerne daran zurück. Verena Sauermann beschreibt entsprechend ihre Instituts-Zeit als ständige Lernreise, die sie als Gelegenheit wahrnahm, sich kontinuierlich neuen Herausforderungen zu stellen und aus ihnen zu lernen. Jeder Tag brachte neue Fragen und Perspektiven mit sich, die sowohl das persönliche Wachstum als auch die berufliche Entwicklung förderten.

Was die nächsten Jahre dem Zeitgeschichte-Institut bringen werden, darauf ist die Historikerin schon gespannt. Sie sieht insbesondere in der lokalen und regionalen Geschichte, Geschlechtergeschichte und Migrationsgeschichte weiterhin erstarkende Forschungsbereiche und freut sich auf zukünftige Projektergebnisse des Instituts, die sicher mitunter auch Kooperationen mit der engagierten Wissenschaftlerin und Wissensvermittlerin hervorbringen werden.

Wir bedanken uns recht herzlich für das aufschlussreiche Interview mit Verena Sauermann.

 

Interviewbild_
© Felicitas Gütter-Graf/Matthias Melter, Interviewbild mit Verena Sauermann


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