This is a cache of https://www.uibk.ac.at/de/brenner-archiv/publikationen/ins-bild-gerueckt/18-19/. It is a snapshot of the page at 2024-11-23T22:16:23.255+0100.
Ins Bild gerückt – Universität Innsbruck
wolff_270219_1800x1080

Credit: Brenner-Archiv

Ins Bild gerückt

Ursula A. Schneider: Vom materiellen und immateriellen Nachleben und zur Rekonstruktion von Provenienzen

 

Von Karl Felix Wolff (1879–1966) eigenhändig beschriftete Mappe „Nachrufe für K. F. Wolff“. © Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Im Januar 2015 erhielt das Forschungsinstitut Brenner-Archiv aus den Händen des Universitätsarchivars Univ.-Doz. Dr. Peter Goller einen ergänzenden Teil des Nachlasses von Karl Felix Wolff. Weder im Brenner-Archiv noch im Universitätsarchiv liegen Erwerbsakten vor. Deshalb ist es nicht einfach zu rekonstruieren, warum und wie dieser ergänzende Bestand – er ist mittlerweile geordnet und umfasst 15 Kassetten – überhaupt ins Universitätsarchiv gelangte.

Er enthält neben Werken und Korrespondenzen vor allem Dokumente zur Familie Wolff, d.h. zum Vater Johann Wolff, zur Mutter Lucilla de Busetti, zu Karl Felix‘ Brüdern Richard und Guido Wolff. Daneben gibt es Familienkorrespondenzen, Werke und Korrespondenzen des Vaters Johann Wolff, eine Art Werkverzeichnis des Bruders, des „Rosengartenmalers“ Richard Wolff (1880–1964), Sammlungen von Gedichten Karl Felix Wolffs aus den 1890er Jahren und zwei umfangreiche ungedruckte Buchmanuskripte Karl Felix‘. Die Frage ist nun: Ist es ein Zufall, dass diese (nunmehr) 15 Kassetten getrennt von den übrigen (nunmehr) 47 Kassetten, die laut Ulrike Kindl 1976 an das Brenner-Archiv gelangt sind, überliefert worden sind?

Für ein Literaturarchiv ist es von Wichtigkeit, welche Geschichte ein Bestand hat. Es geht dabei um folgende Überlegungen: Wie sehr konnte der Nachlasser/die Nachlasserin seinen/ihren Nachlass vorbereiten, d.h. ergänzen und noch wichtiger: „korrigieren“? Durch welche Hände ist der Bestand weiters gegangen und welches Interesse könnten neue BestandsbesitzerInnen verfolgt haben, etwa was Familienehre, die Privatsphäre oder das Bild vom Verstorbenen im Sinne einer Vorstellung von geistigem Heroentum betrifft? Haben sie womöglich aus moralischen Gründen Material ausgeschieden, das Aufschlüsse über politische, finanzielle, erotische Aktionen geben könnte? Haben sie künstlerische Urteile exerziert und vermeintlich Misslungenes vernichtet? Oder haben sie gar vor einer offiziellen Übergabe wertvolle Teile verkauft, verschenkt, zur Seite geschafft etc.?

Welche Geschichte könnte nun der Bestand von Karl Felix Wolff haben und erzählen?
Karl Felix Wolff starb am 25.11.1966 in Bozen. Er wurde im Grab „der befreundeten Familie Kastovski beigesetzt“ (Ulrike Kindl). Den Nachlass von Wolff – seine jüngeren Brüder, gleichfalls kinderlos, waren alle vor ihm verstorben – erbte seine ehemalige Mitarbeiterin und langjährige Freundin Irmin Steiger. Wolff hatte die Übergabe seines Nachlasses penibel vorbereitet und selbst ein genaues Inhaltsverzeichnis erstellt (das dann später zusammen mit dem Material in das Brenner-Archiv gelangte). Der Nachlass dürfte nach seinem Tod in der Druckerei Ferrari-Auer (mit der Karl Felix Wolff jahrzehntelang zusammengearbeitet hatte) in Bozen aufbewahrt worden sein – dafür sprechen ein Verzeichnis der Bibliothek von 1967 auf dem Briefpapier von Ferrari-Auer sowie Klebestreifen mit dem Firmennamen auf dem oben erwähnten Wolffschen Verzeichnis. Dass die Erbin diese Materialmenge nicht zu sich nach Innsbruck nahm, kann man ihr nicht übel nehmen. Denn die heute in 47 Archivkassetten aufbewahrten Manuskripte und die beinahe 10 Laufmeter umfassende Nachlassbibliothek müssen mindestens 25 Umzugskartons gefüllt haben. Wer das Material wirklich wertschätzt, der lagert es nicht im feuchten Keller. Und wer kann eine solche Menge schon in seiner Wohnung unterbringen?

Die Frage ist nun: Betrifft diese nicht bewiesene, doch plausible Annahme: vom Depot bei Ferrari-Auer ins Brenner-Archiv, nur den „ersten“ Teil oder den gesamten Bestand? Die inhaltliche Überprüfung des von Wolff erstellten Verzeichnisses ergibt: Darin sind die Materialien des (nennen wir ihn jetzt:) zweiten Teils nicht enthalten. Immerhin kann man diesen Teil inhaltlich charakterisieren: Sein Inhalt ist „privater“ als der andere und zudem bietet er mit zwei ungedruckten Manuskripten noch die Möglichkeit einer weiteren publizistischen Verwertung.

Karl Felix Wolffs Vorbereitung seines Nachlasses für die Nachwelt ging nämlich noch über das oben erwähnte Verzeichnis hinaus. Im offenbar ebenfalls von ihm selbst als zweite Einheit gebildeten Nachlass-Teil findet sich die hier ins Bild gerückte rote Flügelmappe, die der alte Privatgelehrte mit zittriger Hand beschriftete: „Nachrufe für K. F. Wolff“. Hinzugefügt hat er dann: „etc. Ehrungen“(eigentlich: „Ehrungegen“). Und tatsächlich: Die Erbin erfüllte den auf der Mappe gegebenen Auftrag zur Sammlung, und so sind in dieser (von Wolff selbst wohl leer hinterlassenen) Mappe tatsächlich Nachrufe zu finden. Die Befunde in ihrer Gesamtheit berechtigen zu der Annahme, dass allein dieser Teil (anders als der Hauptnachlass) von der Erbin mit nach Innsbruck genommen wurde.

Der Inhalt dieser Mappe gehört archivisch nicht zum Nachlass im eigentlichen Sinn, sondern zu einem „anreichernden Nachlass“, der dem eigentlichen, vom Nachlasser hinterlassenen Bestand etwas anderes hinzufügt. Die Mappe selbst hingegen ist dem Nachlass genuin zugehörig, denn sie stammt vom Nachlasser. Wir haben die Einheit in diesem Fall belassen wie vorgefunden und den „Lebensdokumenten“ zugeordnet, sie trägt die Signatur 246-09-07.

Schlägt man die rote Mappe auf, hat der zuoberst liegende Zeitungsausschnitt von [1973] die Exhumierung und Umbettung der sterblichen Überreste der „Brüder Wolff“ (also von Karl Felix und Richard Wolff) in ein Ehrengrab der Stadtgemeinde Bozen zum Inhalt. Etwas gruselig ist das schon, in einer eigenhändig beschrifteten Mappe von der Exhumierung des Schreibers zu lesen … Ein zweiter, unmittelbar dahinter liegender Artikel (Dolomiten, 30.1.1974) spricht von der zweiten Trauerfeier zu Ehren der Brüder Wolff, bei der das Grabmal aus Grödner Dolomit der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und an der zahlreiche Personen und VertreterInnen von Institutionen (z.B. des Landes, von Vereinigungen der LadinerInnen) teilnahmen. In diesem Artikel ist u.a. zu lesen: „Wohl hatte Karl Felix für seinen Bruder ein einfaches Grab besorgt, aber an sich selbst hatte er – wie so oft in seinem entbehrungsreichen Leben – nicht gedacht.“ Die inhaltliche Spannung, die zwischen diesem Satz und der roten Mappe liegt, ist nicht aufzulösen, doch ist es wohl nicht ganz fehlgegriffen, wenn man vermutet, dass Wolff offenbar mehr an (s)ein immaterielles Andenken als an das (s)eines Körpers gedacht hat.

Das Grab Karl Felix Wolffs und seines Bruders Richard ist auch heute noch auf dem Städtischen Friedhof Oberau Bozen zu finden (zona monumentale maggiore/große Monumentalzone, 95-bis). Beide Nachlassteile sind mittlerweile in einem großen Regal im Brenner-Archiv vereint. Für den „Steiger-Universitätsarchiv-Teil“ wurde eine neue Nachlassnummer vergeben, denn er hatte seine eigene Geschichte (Provenienzprinzip).

Warum ist aber der eine Teil ins Universitätsarchiv gelangt? Der wahrscheinlichste Grund ist trivial: Das Universitätsarchiv und das Brenner-Archiv haben lange Tür an Tür residiert und Bestände in gemeinsamen Depoträumen aufbewahrt (bis 1985) – wahrscheinlich hat jemand diese Kassetten auf die falsche Seite des Raumes geschoben … 

Die Hinweise von Ulrike Kindl stammen aus: Ulrike Kindl: Kritische Lektüre der Dolomitensagen von Karl Felix Wolff. Bd. 1. Einzelsagen. San Martin de Tor: Istitut Ladin „Micurà de Rü“ 1983, 178.

 

Links:

 

Nach oben scrollen