- Leseraum
| Der Verweis auf Intuitionen als Argument in der OntologieAutor: | Kanzian Christian |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | METAPHYSICA. International Journal for Ontology & Metaphysics
Vol 4, No 1 April 2003 |
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Datum: | 2003-03-27 |
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Inhalt1
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In folgendem Beitrag möchte ich untersuchen, inwiefern der Verweis auf Intuitionen bzw. der Vorwurf der „Gegenintuitivität" (engl.: counter-intuitivity) als Argument in der ontologischen Diskussion verwendet werden kann. Mein Hintergrund ist die Feststellung, dass derartige Verweise bzw. Vorwürfe faktisch zur Begründung bzw. zur Zurückweisung von Thesen angeführt werden. Dies geschieht aber meist ohne jede Rechtfertigung und bringt (somit) die ontologische Debatte nicht weiter.
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Bei meiner Untersuchung gehe ich in drei Schritten vor. Zuerst (Abschnitt 1.) versuche ich eine Bestimmung von „Ontologie" sowie von „Intuition" und zeige anhand zweier Beispiele, wie und zu welchem Zweck in der ontologischen Diskussion auf Intuitionen verwiesen wird. Danach (Abschnitt 2.) gehe ich der Frage nach, was man überhaupt meinen kann, wenn man von „ontologisch relevanten Intuitionen" spricht. In der Folge (Abschnitt 3.) analysiere ich den Verweis auf Intuitionen als ontologisches Argument. Der Verweis auf Intuitionen ist unter genauer zu bestimmenden Rücksicht als Argument brauchbar. Allerdings auch dann, sprich unter Beachtung dieser Rücksicht, nur unter der Voraussetzung eines bestimmten Verständnisses von Ontologie. Ein Verweis auf Intuitionen kann demnach, wenn überhaupt, dann nur relative Bedeutung für die Begründung einer Position haben, bzw. es kann der Vorwurf der Gegenintuitivität, wenn überhaupt, dann nur sehr eingeschränkt gegen eine Theorie bzw. gegen einzelne Thesen in ihrem Kontext in Anschlag gebracht werden.
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In vorliegendem Artikel beschränke ich mich auf eine Detailanalyse des Arguments der Intuitivität bzw. Gegenintuitivität in der aktuellen Ontologie „analytischer" Provenienz. Ich erhebe somit nicht den Anspruch einer allgemeinen Theorie von Intuitionen und ihrer argumentativen Relevanz.(2) Außer Acht bleibt die Frage, ob es in anderen philosophischen bzw. außerphilosophischen Kontexten nicht alternative Bestimmungen von „Intuition" geben, ob Intuitionen in diesen anderen Kontexten nicht andere argumentative Funktionen haben könnten.
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Obwohl es heute zum Glück müßig ist, „Ontologie" und das dazugehörige Attribut „ontologisch" näher zu erklären, mag es den Fortgang meiner Überlegungen erleichtern, wenn ich kurz erläutere, was genau ich hier unter diesen Begriffen verstehe. „Ontologie" verwende ich als Bezeichnung jener philosophischen Disziplin, der es um die Grundelemente der Wirklichkeit geht, sowie um die Frage, wie sich diese zueinander verhalten. (Wobei ich „Wirklichkeit" ohne irgendwelche Einschränkungen, etwa auf Aktuales, Konkretes etc. gebrauche.) Analysiert man diese Grundelemente und ihr Zueinander, untersucht man die Grundstrukturen der Wirklichkeit. „Ontologisch" ist ein philosophischer Gedankengang, wenn es ihm eben um diese Grundstrukturen geht. Dass es der Ontologie, um einen weiteren Aspekt aufzugreifen, um Grundstrukturen der Wirklichkeit oder Grundelemente in ihrem Verhältnis zueinander zu tun ist, meint, dass es nicht um eine kumulative Auflistung von Strukturen oder Elementen geht, deren Aufweis Sache anderer philosophischer Disziplinen oder anderer Wissenschaften ist. Eine ontologische Theorie kann demzufolge keine einfache Summe anderer philosophischer oder einzelwissenschaftlicher Thesen sein. „Grund"-Struktur bzw. „Grund-"Element meint vielmehr Strukturen und Elemente, welche die Welt allgemein, d.h. ohne Einschränkungen aufgrund partikulärer Interessen, und universal, d.h. ohne Ausklammerung von Gegenstandsbereichen, betreffen. Eine Struktur ist dann keine Grundstruktur in diesem Sinn, wenn sie lediglich für einzelwissenschaftliche Zusammenhänge, etwa physikalische oder biologische, relevant ist; oder wenn es Gegenstandsbereiche gibt, auf die sie keine Anwendung finden kann. (3)
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Schon weit schwieriger als eine Bestimmung von Ontologie ist es, das in den Blick zu bekommen, was man unter „Intuition" verstehen mag. Um hier überhaupt weiterkommen zu können, muss ich eine wesentliche Einschränkung des Anspruchs einer Begriffsbestimmung vornehmen. Es kann mir hier nicht um eine allgemeine Definition gehen, sondern lediglich um eine Explikation der Verwendung von „Intuition" in der von mir ins Auge gefassten Debatte der analytischen Ontologie.
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a) Intuitionen sind hier, um gleich zu Beginn ein wesentliches Charakteristikum anzuführen, Einstellungen, und zwar Einstellungen zu etwas, nämlich zu einem propositionalen Gehalt. (4) Im folgenden werde ich auch davon sprechen, dass man zu Auffassungen oder Thesen intuitiv eingestellt sein mag, und meine damit, genau gesprochen, deren propositionalen Gehalt. (Dass ganze Theorien Intuitionen entsprechen, meint dann, dass Thesen in ihrem Bereich bzw. deren Gehalt Intuitionen gemäß sind.) Intuitionen haben wir also grundsätzlich dazu, dass p, wobei p im Gedanken besteht, dass etwas so oder so ist, bzw. etwas zu etwas in dieser oder jener Beziehung steht.(5)
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b) Normalerweise bezeichnet man mit „Intuitionen" keine emotionalen Einstellungen, gleich Angst, Freude, Furcht etc., um sie gegen rationale oder willentliche abzugrenzen. Vielmehr sind Intuitionen, unabhängig davon, welche subjektiven Vermögen daran beteiligt seien, spontan. Das Attribut „spontan" verwendet man wiederum nicht, um Einstellungen als punktuelle auszuweisen und sie so in Gegensatz zu setzen zu zeitlich andauernden. „Spontan" besagt eine Abgrenzung von intuitiven Einstellungen zu reflektierten, etwa philosophischen bzw. in irgendeiner anderen Weise wissenschaftlichen Einstellungen. Intuitionen sind somit vorwissenschaftliche oder „alltägliche" Einstellungen zu propositionalen Gehalten (6). Das schließt natürlich nicht aus, dass auch Philosophen Intuitionen bzgl. philosophischen Gedanken haben können. Das meint aber, dass jene Einstellungen zu philosophischen Gedanken, die als Ergebnis philosophischer Reflexion zustande kommen, nicht zu den Intuitionen gerechnet werden. Wenn einem aufgrund der Deduktion aus vorhergehenden Prinzipien eine These plötzlich „einleuchtet", ist diese Einstellung zu dieser These dann ebenso wenig „intuitiv", wie die Evidenz einer Aussage, die sich schon allein aus der Bedeutung der darin enthaltenen Ausdrücke ergibt.
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c) Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass man, ist man „intuitiv" auf einen propositionalen Gehalt oder Inhalt bezogen, nicht neutral auf diesen Inhalt bezogen ist. Man ist entweder ablehnend oder zustimmend dazu eingestellt. In diesem Sinne spricht man davon, man nehme intuitiv p an, und meint damit, dass man spontan positiv zu p eingestellt ist. Oder man sagt, man habe die Intuition, dass p abzulehnen ist, und meint damit, man sei spontan negativ zu p eingestellt. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch neutral gegenüber einem propositionalen Gehalt eingestellt sein kann, nur, dass man dann zu diesem Gehalt keine intuitive Einstellung hat.
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d) Propositionen, auf die Intuitionen gerichtet sind, mögen sich auf Detailbereiche unserer alltäglichen Lebenswelt beziehen oder auch, um jetzt speziell ontologisch maßgebliche Kontexte anzusprechen, auf die Wirklichkeit in ihren allgemeinen oder Grundstrukturen. So mag man beispielsweise Intuitionen zu Annahmen haben, wie konkrete technische Zusammenhänge zu begreifen sind, aber auch zu Gedanken, was Dinge in ihren allgemeinsten Strukturen sind. Ich mag Intuitionen bzgl. Auffassungen haben, warum ein Auto funktioniert, aber auch bzgl. einer These, ob dieses Auto da gestern dasselbe war wie es heute ist.
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e) Schließlich sind Intuitionen Einstellungen, für die gilt, dass sie grundsätzlich offen sind für Revisionen. Ist jemand intuitiv dem Inhalt einer These p positiv eingestellt, heißt das nicht, dass er sich dauerhaft auf eine bestimmte Einstellung zu p verpflichtet. Intuitionen zu revidieren, kann man aber nach dem Gesagten auf zweifache Weise verstehen. Einmal mag eine intuitive Einstellung zu einer Proposition p ersetzt werden durch eine reflektierte Einstellung zu p. Dann ändert sich genau genommen die Intuition zu p nicht. Man hört vielmehr auf, zu p eine Intuition zu haben. Dann aber mag eine Revision auch so geschehen, dass anstelle einer positiven Intuition zu p eine negative tritt. In diesem Fall besteht eine Revision in einer Änderung der Intuition bzgl. p.
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Für den nicht-dogmatischen Charakter von Intuitionen spricht ferner ihre Kontext- oder Kulturrelativität. Obgleich faktisch die grundlegenden Einstellungen oder Intuitionen, gerade zu Auffassungen über die Grundstrukturen der Wirklichkeit, von Menschen der meisten Kulturen geteilt werden, ist es prinzipiell denkbar, dass es Kulturen gibt, in denen alternative intuitive Einstellungen bzgl. Auffassungen über Grundstrukturen der Wirklichkeit vorherrschen.
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Intuitionen sind also, unabhängig davon, welchen Vermögen sie zugeordnet sein mögen, alltägliche, d.h. vorwissenschaftliche Einstellungen zu propositionalen Gehalten, entweder bzgl. Detailbereichen oder aber zu Grundstrukturen der Wirklichkeit. Intuitionen können zustimmend oder können ablehnend sein, und sind prinzipiell offen für Revisionen und für kulturelle Varianzen.
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Bezüglich des Verhältnisses von Ontologie und Intuitionen kann man nun eine zweifache Auffassung haben. Die eine davon lässt sich anhand eines Zitats von Uwe Meixner darstellen, wenn er sagt, „.... daß „Intuitionen Intuitionen davon [sind], wie sich die Dinge in Wahrheit verhalten ..." (7). So gesehen wird Intuitionen Autorität zugebilligt, und zwar speziell ontologische, wenn man davon ausgeht, dass es der Ontologie genau um die Dinge geht, wie sie sich in Wahrheit verhalten. Stimmt eine ontologische These damit überein, wie Menschen spontan zu Grundstrukturen der Wirklichkeit eingestellt sind, ist dies wohl, wenn Meixner recht hat, ein Argument für die Wahrheit dieser These. Vertritt jemand jedoch eine These, die spontanen Einstellungen entgegensteht, bedeutete dies, dass sich, nach Meixners Diktum, ausgehend von einem Verweis auf diese Einstellungen ein Argument gegen diese These formulieren lässt. „Das ist gegen-intuitiv, und deshalb falsch" könnte man in diesem Falle gegen eine solche These vorbringen. Sprechen Intuitionen beispielsweise dafür, dass die Katze unseres Nachbarn gestern dieselbe ist wie heute, und auch morgen noch dieselbe sein wird; kommt eine ontologische Theorie aber zum gegenteiligen Ergebnis, etwa dazu, dass es gar nicht möglich ist, dass irgendein Ding gestern dasselbe ist wie heute, und auch morgen noch dasselbe sein wird, spricht das gegen diese ontologische Theorie.
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Eine ganz andere Einstellung zum Stellenwert von Intuitionen lässt sich aus einer Passage bei Derek Parfit ablesen. Parfit meint: "… Philosophers should not only interpret our beliefs; when they are false, they should change them." (8) Man möge mir hier, um den Gang meiner Überlegungen willen, zugestehen, dass Parfit mit "beliefs" jene alltäglichen Einstellungen meint, die ich oben "Intuitionen" genannt habe. Man möge mir auch zugestehen, dass man Parfits Meinung, die sich auf bewusstseinstheoretische Überlegungen bezieht, auch auf ontologische Kontexte umlegen kann. Dann aber kann man Parfits Aussage so verstehen, dass sich aus dem Verweis auf Intuitionen keineswegs ein Hinweis, schon gar kein Argument, für oder gegen die Wahrheit einer ontologischen These ableiten lässt. Intuitionen haben als solche keine Autorität, schon gar keine speziell ontologische. Intuitionen können als solche gültig bzw. ungültig sein. Kriterien aber, ob das eine oder das andere der Fall ist, liegen außerhalb des Bereichs der Intuitionen. Um also Wahrheit bzw. Falschheit von Thesen zu entscheiden, kann man nicht auf Intuitionen Bezug nehmen, sondern muss sich nach jenen Kriterien richten, nach denen auch die Gültigkeit von Intuitionen zu beurteilen ist. Bekennt man sich etwa zu einem physikalistischen Naturalismus, werden diese Kriterien jene der Physik sein. Sagt uns etwa die Physik, es sei in ihrem Sinne unwissenschaftlich, durch die Zeit mit sich identische Dinge anzunehmen, sind entsprechende Intuitionen schlicht für die Ontologie ungültig oder irrelevant; genauso wie ontologische Theorien falsch sind, die zu diesem Schluss kommen. (9)
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Nach diesem anfänglichen Versuch, „Ontologie" bzw. „Intuition" zu bestimmen, und Grundpositionen hinsichtlich der Relevanz von Intuitionen im Kontext der Ontologie zu eruieren, möchte ich jetzt einen Schritt weitergehen und mich fragen, was man genauerhin meinen kann, wenn man von „ontologisch relevanten Intuitionen" spricht. Oben - 1 d) - ist davon die Rede, dass man nicht nur hinsichtlich der Grundstrukturen der Wirklichkeit, sondern auch zu ihren Teilbereichen Intuitionen haben mag. Schon dies legt die Frage nahe, was denn nun jene alltäglichen Einstellungen sein sollen, denen in irgendeiner Weise ontologische Autorität zugebilligt werden kann. Jedwede intuitive Einstellung wird damit wohl nicht gemeint sein. Nehmen wir an, jemand hätte eine positive intuitive Einstellung dazu, dass sein Bier nach zwei Stunden im Kühlschrank nun kühl sein müsse, oder dazu, dass das Fußballspiel am Samstag interessant werden könnte. Wie soll die spontane Einstellung zu Überzeugungen bzgl. derart bestimmter Dingen unter solch besonderen Umständen Aufschluss geben über ontologische Zusammenhänge, die doch (siehe die oben gegebene Bestimmung von „ontologisch") allgemein und universal sind? - Unter alltäglichen Einstellungen mit ontologischer Autorität können wohl nur solche gemeint sein, die sich auf hinreichend allgemeine und universale Deutungen der Wirklichkeit beziehen. In Entsprechung zum oben Gesagten heißt allgemein hier: nicht von partikulären Einzelinteressen geleitet, auch nicht von wissenschaftlichen. Universal hingegen besagt, dass man damit nicht nur einen Teilbereich seiner Umwelt meint.
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Hat ein einzelner positive spontane Einstellungen zu allgemeinen und universalen Propositionen über die Konstitution etwa von Dingen, ihren Eigenschaften und Ereignissen, wird man das wohl noch nicht als hinreichend für die ontologische Autorität dieser Einstellungen auffassen können. Stellen wir uns vor, andere haben ebenfalls positive spontane Einstellungen, allerdings zu ganz anderen Auffassungen über die allgemeine und universale Konstitution etwa auch von Dingen, Eigenschaften und Ereignissen. Dieser durchaus denkbare Fall veranlasst uns, eine weitergehende Anforderung an ontologisch relevante Einstellungen oder Intuitionen zu stellen: Intuitionen eines einzelnen müssen auch geteilt werden, und zwar von einer hinreichend großen Anzahl anderer Menschen, um ontologische Autorität zu erlangen. Eine Möglichkeit, dieses Intersubjektivitäts-Kriterium für ontologische Autorität von Intuitionen näher zu bestimmen, ist, auf das faktische Funktionieren zwischenmenschlichen Zusammenlebens Bezug zu nehmen. Intuitionen, die das faktische Funktionieren zwischenmenschlichen Zusammenlebens fördern, haben ontologische Autorität; Einstellungen, die geeignet sind, ihren Träger von funktionierendem Zusammenleben auszuschließen, eben nicht. - Dies setzt voraus, dass das faktische Funktionieren unseres Zusammenlebens damit zu tun hat, dass wir positive alltägliche Einstellungen bzgl. denselben oder zumindest ähnlichen Auffassungen über die Grundstrukturen der Welt haben; bzw. dass Zusammenleben nicht funktionieren könnte, wenn dem nicht so wäre. Diese Voraussetzung ist aber m.E. durchaus plausibel. Das ergibt sich bereits aus der Schwierigkeit, das Gegenteil anzunehmen: dass nämlich unser Zusammenleben, bzw. sein Funktionieren gar nichts zu tun hätte mit gemeinsamen alltäglichen Einstellungen bzgl. der Grundstrukturen der Welt.
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Nehmen wir zur Veranschaulichung die von vielen geteilte positive Intuition bzgl. Dingen, insbesondere Personen, die sich auf die These bezieht, dass Dinge und Personen, mit denen wir es gestern zu tun hatten, auch heute noch dieselben sind, und es sie auch morgen, so es sie noch gibt, als dieselben wie heute geben wird. Ich möchte hier keine vorschnellen ontologischen Urteile über Dinge und Personen fällen. Ich behaupte nur, dass unser Zusammenleben faktisch auch deshalb funktioniert, weil die entsprechende Einstellung vielen gemeinsam ist. Hat ein einzelner z.B. positive Intuitionen bzgl. der Identität von Dingen durch die Zeit, wird ihm das helfen, mit anderen zusammenzuleben, die diese Einstellung teilen. Jemand, der nach Einstellungen leben würde, nach denen dies nicht der Fall wäre, ist schlicht und einfach nicht sozialisierbar, zumindest in einer Gemeinschaft von Menschen mit besagter Einstellung zur Identität von Dingen und Personen. Wenn jemand die Intuition hätte, „er" wäre gestern ein anderer gewesen als heute, und wird morgen wieder ein anderer sein als heute, und tatsächlich danach handelte, würde es „ihm" schwer fallen, irgendwelche Verpflichtungen, sowohl öffentlicher als auch privater Natur, einzugehen. Er könnte gar nicht verstehen, z.B. Verantwortung für seine (?) vergangenen Taten zu übernehmen, Pläne für seine (?) Zukunft zu machen. Bleiben wir aber bei jenem einfachen Fall, dass jemand tatsächlich die positive Intuition bzgl. Dingen und Personen hat, dass diese durch die Zeit mit sich identisch sind. Der Gegenstand dieser Intuition ist allgemein, insofern sich die Annahme der diachronen Selbigkeit nicht auf bestimmte Detailaspekte von Dingen und Personen beschränkt, sondern auf deren Identität oder Existenz als Dinge und Personen. Der Gegenstand dieser Intuition ist auch universal, wenn sich die Akzeptanz diachroner Identität nicht, was schwer zu verstehen wären, ausschließlich auf einen Teilbereich von Dingen oder einen Teilbereich von Personen bezöge. Und diese Intuition selbst ist insofern intersubjektiv, als sie nicht nur von mehreren geteilt wird, sondern auch das Funktionieren unseres Zusammenlebens faktisch mitbegründet. Eine solche Einstellung ist nun tatsächlich ontologisch relevant oder von ontologischer Autorität in hier anvisiertem Sinne.
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Die ontologische Relevanz von Intuitionen ergibt sich zum einen daraus, worauf sie sich beziehen, nämlich auf allgemeine und universale Auffassungen über die Wirklichkeit; zum anderen auch daraus, dass sie als solche von anderen Menschen geteilt werden, d.h. in besagtem Sinne intersubjektiv sind.
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Bei meinen diesbezüglichen Überlegungen möchte ich den Verweis auf Intuitionen zunächst einmal verteidigen (1); und zwar gegen einen m.E. vorschnellen Einwand, der dazu führen sollte, besagten Verweis überhaupt als ontologisches Argument zu negieren. In einem zweiten Schritt (2) möchte ich jedoch auch eine, wie ich meine, entscheidende Einschränkung der Gültigkeit des Verweises auf Intuitionen als ontologisches Argument vorbringen.
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(1) Der zentrale Einwand gegen den Verweis auf Intuitionen als ontologisches Argument ist, dass man dadurch einer naiven Ontologisierung von Alltagseinstellungen das Wort spräche. Ist nicht eine Ontologie, die sich auf Intuitionen beruft, eine einfache Nachzeichnung vorwissenschaftlicher Deutungen der Wirklichkeit? - Dieser Einwand ist sehr ernst, weil er den Rang jeder Ontologie, die sich argumentativ auf Intuitionen beruft, als philosophischer Disziplin in Frage stellt. Einfache Nachzeichnungen vorwissenschaftlicher Interpretationen ist tatsächlich nicht Sache des Philosophen. Will man den Verweis auf Intuitionen als ontologisches Argument in irgendeiner Weise retten, muss man diesen Einwand entkräften.
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M.E. kann man eine solche Rettung nur vornehmen, indem man eine grundsätzliche Unterscheidung einbringt bzgl. der Weise wie man in der Ontologie argumentativ auf Intuitionen Bezug nehmen kann. Einmal kann man den Verweis auf Intuitionen so verstehen, dass man tatsächlich meint, rein aus solchen alltäglichen Einstellungen eine ontologische Theorie konstruieren zu können. Dem entspräche die Meinung, man könne Intuitionen über Grundstrukturen der Wirklichkeit eins zu eins umlegen in eine Theorie über die Grundstrukturen der Wirklichkeit; etwa derart, dass man aus der intuitiven Akzeptanz der Thesen in ihrem Bereich folgerte, diese Thesen seien ontologisch wahr. Diese Weise, Ontologie unter Verweis auf alltägliche Einstellungen zu betreiben, kann man in der Tat als naiv bezeichnen. Naiv wäre beispielsweise folgende konkrete „Begründungsstrategie": Weil es die alltägliche Einstellung vieler Menschen gibt, dass Dinge und Personen durch die Zeit mit sich identisch sind, ist die ontologische These anzunehmen, dass Dinge und Personen durch die Zeit mit sich identisch sind. Naiv wäre es wohl auch, so vorzugehen, als ob aus dem Entgegenstehen zu Intuitionen allein bereits die Falschheit von Thesen geschlossen werden könnte: Weil es alltäglichen Einstellungen entgegensteht, ist es ontologisch falsch anzunehmen, Personen wären Summen numerisch verschiedener zeitlicher Teile, und somit durch die Zeit nicht identisch.
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Man kann den argumentativen Bezug auf Intuitionen aber auch anders verstehen als die skizzierte naive Eins-zu-eins-Abbildung von intuitiv gestützten Auffassungen und ontologischer Theorie. Eine alternative Möglichkeit ist, den Bezug auf Intuitionen anzunehmen als ein Kriterium für die Wahrheit von Thesen. Wenn eine (im Sinne der Ausführungen im 2. Abschnitt) hinreichend große Gruppe von Personen intuitiv positiv zu einer These mit dem Gehalt p eingestellt ist, spricht das für die Wahrheit von p. Den Bezug auf Intuitionen in diesem Sinne als Wahrheitskriterium anzunehmen, legt nicht darauf fest, die Entsprechung zu Intuitionen als hinreichend für die Akzeptanz einer These anzunehmen, ja nicht einmal darauf, sie als notwendig für die Annahme einzustufen. Das argumentative Gewicht eines solchen Kriteriums ist aber dennoch gegeben. Das wird besonders dann deutlich, wenn es um die Entscheidung zwischen konkurrierenden Theorien geht. Nehmen wir an, es lägen zu einer ontologischen Frage zwei einander entgegengesetzte Antwortversuche vor. Nehmen wir außerdem an, beide Antwortversuche seien in sich schlüssig, hätten denselben Erklärungswert und seien gleichermaßen einfach gebaut. Warum sollte man nicht jener den Vorzug geben, deren Thesen auch noch alltäglichen Einstellungen entsprechen? Desgleichen könnte man überlegen, ob nicht die Entsprechung zu Intuitionen ein Manko einer ontologischen Theorie relativ zu einer anderen ausgleicht. Entsprechen Thesen in ihrem Bereich alltäglichen Einstellungen, könnte das z.B. Nachteile einer Theorie wettmachen, die sie gegenüber einer anderen hinsichtlich ihrer Einfachheit hat. M.a.W. ist zu überlegen, ob nicht einer komplexen, aber intuitiv plausiblen Theorie, vor einer einfachen, aber gegenintuitiven der Vorrang zu geben ist, wenn beide denselben Erklärungswert haben. Akzeptierte man also den Verweis auf Intuitionen als ein Wahrheitskriterium für ontologische Thesen, könnte man ihn zur Entscheidung zwischen alternativen Theorien heranziehen, ohne der naiven Ansicht zu verfallen, man könne eine Ontologie allein oder rein aus besagten Einstellungen oder Intuitionen entwickeln.
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Ebensowenig wäre eine Anwendung des Verweises auf Intuitionen als ein mögliches Korrektiv ontologischer Thesen dem Vorwand der naiven Ontologisierung alltäglicher Einstellungen ausgesetzt. Wenn eine (wieder im Sinne der Ausführungen im 2. Abschnitt) hinreichend große Gruppe von Personen intuitiv negativ zu einer These mit dem Gehalt p eingestellt ist, spricht das für die Falschheit von p. Auch wenn dies weder hinreichend, schon gar nicht notwendig dafür ist, eine These abzulehnen, wird man einen solchen Verweis auf Gegenintuitivität als Anlass kritischer Nachfrage gelten lassen, der Theorie, zu deren Bereich sie gehört, eine gewisse Beweislast aufbürden können.
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Das erstere, hier als naiv bezeichnete Verständnis ontologischer Relevanz oder Autorität von Intuitionen kann dem Einwand der vorschnellen Ontologisierung von alltäglichen Einstellungen wohl nicht entkommen, letzteres schon. Ohne zu meinen, man könne den Verweis auf Intuitionen als alleinigen Bauplan zu einer Ontologie bzw. als ausreichenden Grund zur Ablehnung einer Theorie verwenden, ist es legitim, alltägliche Einstellungen als ein Wahrheitskriterium ontologischer Thesen anzunehmen. So kann der Verweis auf Intuitionen zur Entscheidung zwischen alternativen Theorien herangezogen werden. Auch spricht nichts dagegen, dem Vertreter von Theorien mit gegenintuitiven Thesen zunächst eine gewisse Beweislast zukommen zu lassen. In diesem Sinne kann man den Verweis auf Intuitionen im Kontext ontologischer Argumentation verwenden.
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(2) Wie zu Beginn dieses Abschnitts angekündigt, soll nach dem Versuch einer Verteidigung auch von prinzipiellen Grenzen des Verweises auf Intuitionen als Argument die Rede sein. Die hier vorgebrachte Verteidigung besteht ja, wie gesagt, in einer Einschränkung oder Präzisierung der argumentativen Funktion des Verweises auf Intuitionen. Die Grenzen der Anwendbarkeit als Wahrheitskriterium von Thesen bzw. als Entscheidungskriterium zwischen Theorien, sowie als Korrektiv besteht aber darin, dass diese nur sinnvoll ist vor einem bestimmten Verständnis von Ontologie. Um dies im folgenden kurz auszuführen, möchte ich exemplarisch zwei grundlegend verschiedene Weisen, Ontologie zu verstehen, darlegen (2.1) und im Hinblick auf meine Behauptung bzgl. der argumentativen Funktion von Intuitionen erörtern (2.2).
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(2.1) Dass es in der Ontologie um die Grundstrukturen der Wirklichkeit geht, steht wohl außer Streit. In diesem Sinne habe ich oben versucht, „Ontologie" zu definieren. Äußerst kontrovers ist hingegen die Frage, was man meint, wenn man von „der Wirklichkeit" spricht, die man ontologisch analysieren möchte. Was ist das eigentliche und primäre Forschungsobjekt der Ontologie? Vereinfacht gesagt und ohne den Anspruch einer vollständigen Auflistung zu erheben, finden sich in der aktuellen Debatte zwei große Richtungen von Antworten. Die eine ist, „Wirklichkeit" zu verstehen als jene Lebenswelt, in der wir Menschen mit unserer Umwelt, d.h. mit Mitmenschen, anderen Lebewesen und der unbelebten Natur, interagieren. Ontologie würde demnach aufzufassen sein als jene Disziplin, welche unsere Alltagswelt als solche in ihren Grundzügen beschreibt. Manche sprechen auch davon, dass es der Ontologie, so verstanden, um die „Makro-Welt" geht. Die Ontologie sei „folk-ontology"(10) oder, um ein gebräuchlicheres Attribut zu verwenden „deskriptiv" (11). Für die andere Konzeption von Ontologie ist charakteristisch, die Frage nach Grundstrukturen „der Wirklichkeit" zu verstehen als Frage nach ihren Basisbausteinen. Gewöhnlich sind dies Basisbausteine, die im Sinne einer Naturwissenschaft, allen voran der Physik, gedeutet werden. Es geht nicht darum, die Alltagswelt in ihren Grundzügen zu beschreiben, sondern sie zu rekonstruieren als Epiphänomen eben physikalischer Basisbausteine. Dementsprechend spricht man von solchen physikalistischen Ontologien auch von „revisionären" (12). Der Ontologie geht es somit um die „Mikro-Welt" und die Ableitung der Makro-Welt aus derselben. Die Ontologie versteht sich so als „wissenschaftliche", in dem Sinne, dass sie letztlich Fortsetzung der Naturwissenschaft ist mit modifizierten Methoden und allgemeinerer Begrifflichkeit.
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(2.2) Ich möchte mich nicht weiter in eine Charakteristik dieser Verständnisweisen von „Wirklichkeit", in der Folge von Ontologie, vertiefen. Schon gar nicht beabsichtige ich, mich hier auf eine dieser Seiten zu schlagen. Vielmehr will ich kurz auf die allgemeine Problematik einer Entscheidung für eine dieser Richtungen hinweisen. M.E. besteht sie darin, dass sich faktisch die Gestalt einer Ontologie, zumindest in ihren Grundzügen, entscheidet, wenn man sich auf eine dieser beiden Seiten schlägt. (13) So wird ein „wissenschaftlicher" Ontologe, dem es um die Grundstrukturen der physikalischen Wirklichkeit geht, auf die entsprechenden Ergebnisse der Physik angewiesen sein. Faktisch sind derartige an der Physik orientierte Ontologien, um nur ein Merkmal zu nennen, einkategorial. Das bedeutet, dass sich die gesamte Wirklichkeit in ihren Grundzügen aus einer grundlegenden Art von Entitäten erklären lässt. So nimmt man beispielsweise an, dass die Mikro-Wirklichkeit als Agglomerat von Feldern (14) bzw. von Prozessen (15) zu verstehen ist. Die gesamte Makro-Welt lasse sich aus Vorkommnissen der angenommenen einzigen Basiskategorie, seien es Felder, seien es Prozesse, rekonstruieren. Alltags- oder deskriptive Ontologien orientieren sich hingegen an der Vielfalt der alltäglichen Makro-Welt. In dieser kommen aber statische Elemente genauso vor wie dynamische. Es gibt Dinge und Eigenschaften, die den Dingen zukommen. Es gibt aber auch Ereignisse, in die Dinge involviert sind. Diese Vielfalt wird als grundlegend, d.h. nicht auflös- oder reduzierbar angesehen, und somit auch ontologisch ernst genommen. Dementsprechend gibt es faktisch keine einkategoriale deskriptive Ontologie. Für gewöhnlich orientieren sich deskriptive Ontologien an der (aristotelischen) Unterscheidung zwischen Dingen oder Individuen (klassisch: „Substanzen") und anderen Entitäten wie etwa Eigenschaften („Akzidentien"), Ereignissen etc.
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Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass viele Konflikte in der Ontologie auch als Auseinandersetzungen gedeutet werden können, die sich durch die Wahl einer dieser Seiten ergeben. Nehmen wir nur den Konflikt zwischen Ontologen, die Entitäten annehmen, die durch die Zeit mit sich identisch sind, und solchen, die das bestreiten. Will man die Dinge unserer Alltagswelt im Sinne einer „wissenschaftlichen" Ontologie zurückführen auf Felder oder Prozesse, wird klar, dass diachrone Identität in dieser Ontologie keinen Platz hat. Felder und Prozesse sind keine Entitäten, für die es Sinn hat, nach ihrer Identität durch die Zeit zu fragen. Analysiert man hingegen die Dinge unserer Alltagswelt als solche ontologisch, wird man zu einem positiven Ergebnis hinsichtlich ihrer diachronen Identität kommen. Die Dinge unserer Alltagswelt können sich ändern, d.h. sie können Eigenschaften verlieren und neue dazugewinnen. Das setzt voraus, dass sie durch die Zeit numerisch dieselben bleiben. Dementsprechend hat faktisch kein deskriptiver Ontologie „Kontinuanten", das sind durch die Zeit mir sich identische Dinge, geleugnet.
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Entscheidend für unseren Kontext ist, dass sich auch die Frage nach dem Stellenwert bzw. der Relevanz des Verweises auf alltägliche Einstellungen oder Intuitionen entscheidet mit der geschilderten ontologischen Richtungswahl. Verweise auf Intuitionen zählen im Kontext einer „deskriptiv" verstandenen Ontologie viel. Es wäre sogar abwegig, würde man in einer deskriptiven Ontologie den Verweis auf alltägliche Einstellungen nicht als ein Wahrheitskriterium einzelner Auffassungen und als ein Entscheidungskriterium zwischen konkurrierenden Theorien gelten lassen, bzw. erachtete man Gegenintuitivität nicht als Anlass, über die Korrektur einer konkreten „deskriptiven" Auffassung nachzudenken. Wohingegen es im Kontext einer revisionären oder physikalistischen Ontologie wohl befremdlich wäre, alltägliche Einstellungen als Wahrheitskriterium von Thesen anzunehmen. Das heißt natürlich nicht, dass eine revisionäre oder physikalistische Theorie nicht an manchen Stellen kontingenterweise mit Intuitionen übereinstimmen mag. Das meint aber, wie gesagt, dass man diese Übereinstimmung nicht als argumentative Stütze heranziehen kann. Desgleichen ist aber eine revisionäre oder physikalistische Theorie auch immun gegen den Vorwurf der Gegenintuitivität. Beansprucht jemand nicht, die alltägliche Wirklichkeit als solche ontologisch zu analysieren, kann man es ihm auch nicht zum Vorwurf machen, dass seine Auffassungen alltäglichen Einstellungen zuwiderlaufen. So kommen Physikalisten auch immer wieder zu dem Schluss, dass es nicht ihre Theorien sind, die abzuändern seien, wenn sie nicht mit Intuitionen übereinkommen, sondern unsere Intuitionen, sofern sie „unwissenschaftlich" sind. Z.T. wird es sogar als große Errungenschaft erachtet, alltägliche Einstellungen bezüglich unserer Lebenswelt zu revidieren. (16)
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Somit können wir zu dem Schluss kommen, dass es im Kontext von „deskriptiven" Ontologien nicht nur zulässig ist, argumentativ auf Intuitionen zu verweisen. Es ist wohl auch gefordert, sich an alltäglichen Einstellungen zu orientieren; in dem Sinne, wie es im vorhergehenden Abschnitt geschildert wurde, nämlich als ein Wahrheitskriterium einzelner Thesen und als Entscheidungskriterium zwischen konkurrierenden Theorien, sowie als ein kritisches Korrektiv. Es ist jedoch unzulässig, den Verweis auf Intuitionen im kontroversen Dialog zwischen den Entwürfen von Ontologie anzuführen. Genauso ist es unzulässig, gegen Theorien, die etwa explizit vor dem Hintergrund physikalistischer Konzepte entwickelt wurden, den Vorwurf der Gegenintuitivität als Argument zu erheben (17).
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Wenn ich in diesem Sinne den Stellenwert des Bezugs auf Intuitionen, positiv gesagt, bestimme, negativ gesprochen, einschränke, will ich das nicht tun, ohne mich gegen mögliche Missverständnisse abzugrenzen. So möchte ich abschließend nochmals betonen, dass ich mich mit diesen Überlegungen nicht gegen und auch nicht für eine Weise, mit alltäglichen Einstellungen umzugehen, aussprechen möchte. Ebensowenig kann ich beanspruchen, Gründe für oder gegen eine der genannten großen Richtungen in der Ontologie vorgebracht zu haben. Ich versuche lediglich zu zeigen, dass man sich mit der Entscheidung für die eine Richtung auf spezifische Weise auf Intuitionen stützen darf, ja muss; bzw. dass man sich, im Fall einer Wahl der alternativen Richtung, eben nicht auf dieselben berufen muss, aber das auch nicht darf.
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Wenn ich hier zu dem weiteren Ergebnis komme, dass es unzulässig ist, den „Wettkampf" zwischen den großen Richtungen mit Hilfe des Verweises auf Intuitionen zu führen, meine ich freilich nicht, dass ein solcher Streit nicht trotzdem sinnvoll ist. Ich meine nur, dass er mit anderen Mitteln, sprich mit anderen Argumenten als durch den Verweis auf (Gegen-) Intuitivität geführt werden muss. Das gleiche gilt für Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Thesen, zum Beispiel die Diskussion um die Identität durch die Zeit. Selbstverständlich kann man ontologisch streiten, wer nun recht hat: der Verfechter der diachronen Identität oder ihr Gegner. Ich meine allerdings, dass man bei diesem Streit (wie bei etlichen anderen ontologischen Disputen) nicht aus den Augen verlieren darf, ob er sich erstens nicht bereits entscheidet durch die Wahl des zugrundeliegenden Verständnisses von Ontologie; und zweitens, ob uns (deshalb) der Verweis auf Intuitionen nicht in eine Sackgasse im Disput bringt. Vorsichtiger und allgemeiner gesagt: Bevor man beginnt, ontologisch im Detail zu streiten, ist es wohl angebracht zu überlegen, ob nicht ein entscheidender Aspekt der Auseinandersetzung im unterschiedlichen Verständnis der Parteien von Ontologie besteht; und, wenn ja, dass dann der Verweis auf (Gegen-) Intuitivität in der Sache nicht weiterbringt.
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Mein Thema ist eine kurze Untersuchung des Stellenwerts des Verweises auf Intuitionen in der aktuellen analytischen Ontologie. Ich meine jedoch, dass sich die Relevanz der Frage nach dem argumentativen Stellenwert von Intuitionen nicht auf den ontologischen Bereich beschränken lässt. Das Thema betrifft auch all jene Disziplinen, in der durch den Verweis auf Intuitionen argumentiert wird, ich nenne nur die Philosophie des Geistes oder auch die Sprachphilosophie. Vielleicht wäre es aber wünschenswert, das Thema im Kontext einer allgemeinen Argumentationstheorie in der Ontologie umfassender, tiefer, besser zu verfolgen, und so einen weiteren Aspekt darzulegen, wie wichtig und relevant ontologische Forschungen auch für andere philosophische Disziplinen sein können.
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Anmerkungen:
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1. Ich danke Rafael Hüntelmann, Winfried Löffler und Edmund Runggaldier für kritische Bemerkungen, die zur inhaltlichen Verbesserung des Artikels beigetragen haben. Sarah Schuller hat sprachliche und stilistische Korrekturen durchgeführt. Verbleibende Fehler gehen selbstverständlich zu Lasten des Verfassers.
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2. Dazu empfehle ich M. DePaul, M. W. Ramsey (eds.), Rethinking Intuition: The Psychology of Intuition and Its Role in Philosophical Inquiry. Lanham (MD) 1998. Einen historischen Überblick mit weiterführender Literautr, der allerdings die Verwendung von „Intuition" in der analytischen Tradition unberücksichtigt lässt, bietet E. Ströker im Artikel „Intuition" in H. J. Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie, Bd. 1. Hamburg 1999, 661-665.
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3. Davon unberührt bleibt das Anliegen „regionaler Ontologien", etwa einer „Ontologie des Mentalen"; einer „Ontologie der Kunst" etc. Regionale Ontologien gehen Spezialthemen im Kontext der Ontologie nach. Das aber tut dem Charakter der Ontologie insgesamt als universaler Wissenschaft keinen Abbruch; ebenso wenig wie es dem Charakter z.B. der biologie als universaler Wissenschaft des Lebendigen Abbruch tut, dass man in ihrem Rahmen Spezialthemen, etwa der Eigenart von Sonnenblumen, Schnecken und dgl. nachgeht.
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4. Ich nehme an, dass es Propositionen oder propositionale Gehalte gibt. Es sind Sachverhalte, die den gedanklichen Inhalt sprachlicher Ausdrücke ausmachen. Ich meine aber, dass von dieser Annahme nicht der Erfolg meiner Überlegungen bzgl. Intuitionen abhängt. Gegner von Propositionen können z.B. meine Bestimmungen von Intuitionen in beliebige propositions-lose Definitionen übersetzen, ohne dass mein Anliegen verloren ginge.
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5. U.a. M. Nida-Rümelin verwendet (in Anlehnung an G. Bealers Artikel "Intuition and the Autonomy of Philosophy", in M. DePaul, M. W. Ramsey (eds.), Rethinking Intuition, siehe Fußnote 1) die Wendung "to intuit a proposition". Ich sehe darin eine im Englischen, nicht aber im Deutschen mögliche Verbalisierung meiner Bestimmung. Siehe dies., My Future Body, bis dato unveröffentlichtes Manuskript, S. 3. Es wird als Artikel erscheinen in: Akten des 25. Internationalen Wittgenstein Symposiums in Kirchberg am Wechsel „Persons. An Interdisciplinary Approach." Hrsg. v. C. Kanzian, J. Quitterer, E. Runggaldier, oebv-hpt, Wien 2003.
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6. Ich stütze mich dabei u.a. auf J. Lowe, der „intuitions" das Attribut „pre-theoretical" beifügt. Vgl. „Substance Causation, Persons, and Free Will", bis dato unveröffentlichtes Manuskript, S. 8. Erscheint in Fußnote 5 erwähnter Edition. Auch D. Lewis kann ich als Stütze anführen. Für Lewis sind „intuitions" „common-sense"- Einstellungen. Auch er stellt sie in Gegensatz zu philosophisch reflektierten Einstellungen. D. Lewis, On the Plurality of Worlds. Oxford 1986, an verschiedenen Stellen, u.a. 99f, 133ff.
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7. U. Meixner, Ereignis und Substanz. Paderborn 1997, 15.
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8. D. Parfit, Persons and Reasons. Oxford 1984, x.
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9. Quine ist hier noch radikaler, wenn er in bezug auf den Stellenwert alltäglicher Einstellungen im Kontext ontologischer Argumentation lapidar meint: „Unnaturalness in philosophy is all right." W.V.O Quine, Stimulus and Science. Cambridge (Mass.) 1994, 93. Vgl. die Ausführungen in C. Kanzian, Ereignisse und andere Partikularien. Paderborn 2001, 228ff.
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10. Vgl. J. Hoffmann, G. Rosenkrantz, Substance among other Categories. Cambridge 1994, 1. Einer "folk-ontology" gehe es ausdrücklich darum zu interpretieren, wie wir faktisch in der Welt sind und wie wir faktisch über die Welt denken.
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11. P. Strawson, Individuals. London 1959, 9f.
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12. Auch dieses Attribut in seinem aktuellen Gebrauch geht auf Strawson, ebd., zurück.
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13. Diese Unterscheidung zwischen zwei großen Gruppen von Ontologien ist natürlich ein sehr grobes Raster. Wegen seiner Grobheit ist es nicht dazu geeignet, konkrete inhaltliche Themen der Ontologie anzugehen. Außerdem ist festzuhalten, dass (obgleich, wie gesagt, mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe faktisch wichtige Entscheidungen bzgl. der Gestalt einer Ontologie getroffen sind) diese Gestalt selbst auch nicht allein durch Verweis auf die Zugehörigkeit zur Gruppe begründet werden kann. Es braucht zusätzliche Gründe dafür, etwa für die Annahme mehrerer Kategorien, vor dem Hintergrund einer „folk-ontology"; oder für die Akzeptanz nur einer einzigen Kategorie Entitäten, vor dem Hintergrund physikalistischer Einstellungen. Weiterhin schließt die Annahme dieses Rasters m.E. nicht aus, dass es durchaus auch Zwischenpositionen geben kann; d.h. ontologische Entwürfe, die sowohl von Grundannahmen der ersten Gruppe - manche nennen diese auch „deskriptiv" oder aristotelisch - als auch von Überzeugungen der zweiten Gruppe - „revisionären" oder physikalistischen - geprägt sind. Eine besonders markante, weil explizit als solche formulierte Zwischenposition nimmt Arda Denkel in seinem Buch Object and Property. Cambridge 1996 an. Denkel vertritt eine Zweiteilung der Wirklichkeit in eine aristotelische alltägliche Lebenswelt und eine atomistisch-tropistische Mikro-Welt.
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14. K. Campbell, Abstract Particulars. Oxford 1990, hier vor die Ausführungen in chapt. 6, in denen Campbell von Basis-Tropen, das sind physikalische Felder, spricht.
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15. U.a. J. Seibt, Towards Process Ontology. Diss. Pittsburgh 1990.
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16. Ein besonders radikales Verständnis finden wir etwa in Steve Hellers Buch The ontology of physical objects. Cambridge 1990. Für ihn folgt aus der Unvereinbarkeit seiner physikalistischen Auffassung von Dingen („physical objects") mit einer Alltagsontologie, dass es eben die „Alltagsdinge", ontologisch gesehen, nicht gibt. Vgl. dazu den Abschnitt 6. „Conventional Objects". Alle „Alltagsdinge" seien konventionelle Objekte und konventionelle Objekte existieren, ontologisch betrachtet, nicht.
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17. Ich komme damit der Auffassung von Alvin Goldman nahe, wenn er die argumentative Bedeutung von Intuitionen für den Bereich einer „folk"- oder „common-sense"- oder „descriptive metaphysics" beschränkt. Vgl. u.a. ders. Cognitive Science and Metaphysics. In: Journal of Philosophy 84 (1987), 537-544; ders., Metaphysics, Mind, and Mental Science. In: Philosophical Topics 17 (1989), 131-145. Prägnant dargestellt und diskutiert findet sich Goldmans Position in J. Pust, Against Explanationist Skepticism Regarding Philosophical Intuitions. In: Philosophical Studies 106 (2001), 227-258; hier: 232ff.
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