Erol Yıldız
Der kritische Kosmopolit
(31.05.2019)
Ein Gespräch mit Erol Yildiz vergisst man so schnell nicht wieder. Der wortgewandte und scharfsinnige Professor ist ein Querdenker und scheut sich nicht, mit seinen Thesen und Analysen anzuecken. Wissen zu schaffen und Wissenschaftler zu sein, ist für ihn nicht das Selbe, das eine oder andere Mal lässt er durchblicken, wie sehr ihn der Wissenschaftsbetrieb im deutschsprachigen Raum einengt und manchmal auch frustriert: „In der Wissenschaft wird immer alles kontrolliert und gemessen. Ideen spielen überhaupt keine Rolle. Deshalb versuche ich, Gedanken zu entwickeln, die frei sind, immer in der Hoffnung, dass sie als interessant empfunden werden.“ Wissenschaft ist für Yildiz ein kommunikativer Akt, bei dem alle Beteiligten nachdenken sollen, um gemeinsame Lösungen zu finden. Alleine funktioniert sie seiner Meinung nach nicht.
Im Zentrum steht der Mensch
Im Mittelpunkt der Forschung von Erol Yildiz stehen Menschen und ihre Geschichten. Er macht Wissenschaft zum Anfassen, die bewegt und zum Nachdenken anregt. Das letzte Forschungsprojekt des unkonventionellen Professors, „Gesichter der Migration“, wurde im Rahmen des Sparkling-Science-Programms des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung gefördert und zeigt, wie wichtig es Yildiz ist, Wissenschaft gemeinsam mit Menschen und Betroffenen zu betreiben. Für das Projekt bildete das Team um Yildiz Schülerinnen und Schüler zweier Neuer Mittelschulen in Fulpmes und dem Innsbrucker Stadtteil Pradl dazu aus, selbst sozialwissenschaftliche Frage- und Interviewtechniken zu entwickeln und damit die Mobilitätserfahrungen der eigenen Familie und ihrer unmittelbaren Lebenswelt zu erforschen. „Wir wollen mit dem Projekt ein anderes Bewusstsein erzeugen und zeigen, dass wir alle mit dem Thema Migration zu tun haben. Oft wird die Frage gestellt: ‚Wie wird man einheimisch?‘ Eigentlich sollte die Frage gestellt werden, wie man mehrheimisch wird“, erklärt Yildiz schmunzelnd. Für ihn ist nicht entscheidend, ob jemand aus dem Ausland oder dem Burgenland nach Tirol zieht. Es handelt sich in beiden Fällen um Mobilitätserfahrungen, die Menschen und Gesellschaften nachhaltig verändern.
Instrumentalisierte Identitäten
Erol Yildiz’ eigene Geschichte ist ebenfalls von Mobilitätserfahrungen geprägt. Er wächst in der Hafenmetropole Samsun am Schwarzen Meer auf. Seine Mutter kommt von der Krim, sein Vater stammt von den Pontusgriechen ab, die nach der Gründung der Türkei vor die Wahl gestellt wurden, sich zu assimilieren oder nach Griechenland deportiert zu werden. Deshalb setzt sich Yildiz schon früh mit der politischen Dimension und Instrumentalisierung von Identitätsdiskursen auseinander. Nach dem Abitur zieht es ihn im Jahr 1978 nach Köln, wo sein bester Freund bereits begonnen hat, zu studieren. Seinen Plan, Meteorologie an der Universität zu Köln zu studieren, verwirft Yildiz nach kurzer Zeit: Das Fach ist ihm zu theoretisch. Er interessiert sich mehr für die Sozialwissenschaften und beginnt schließlich sein Studium mit der Fächerkombination Pädagogik, Soziologie und psychologie. Nach dem Abschluss konzentriert sich der junge Wissenschaftler auf die kritische Migrationsforschung, plant gemeinsam mit anderen innovative Forschungsprojekte und bringt neuen Wind in die oft von Menschen mit wenig oder keiner Mobilitätserfahrung geprägte Migrationsforschung.
Pragmatische Herangehensweise
Nach seiner Zeit in der Domstadt geht Yildiz mit seiner Familie nach Kärnten, wo er sechs Jahre lang die Professur für Interkulturelle Bildung an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt innehat. Ende 2014 erhält er den Ruf an die Universität Innsbruck für den Lehr- und Forschungsbereich „Migration und Bildung“, seit März 2017 leitet er das Institut für Erziehungswissenschaft. Auch in Innsbruck verfolgt Erol Yildiz weiter seine Pläne, seine Forschungsergebnisse nicht nur mit seinen Fachkollegen, sondern vor allem mit den Bewohnerinnen und Bewohnern seiner neuen Heimat zu teilen, seine kritische und gleichzeitig pragmatische Denkart durch Projekte wie „Gesichter der Migration“ den Menschen in Tirol näherzubringen: „Die Idee ist, die Geschichte der Migration neu zu erzählen und nicht immer so zu dramatisieren. Ich bin dafür, zu entdramatisieren und alles etwas gelassener zu sehen. Man findet immer eine Lösung, wenn man will“, definiert Yildiz das Ziel seiner Forschungsprojekte.
Gegen die Spaltung
„Die Probleme, die wir heute in Europa haben, haben weniger mit Kultur und Identität als vielmehr mit ökonomischen Strukturen zu tun. Man sollte darüber nachdenken, wie man leistbare Wohnungen für alle Menschen in Europa schafft und nicht permanent über nationale Identitäten diskutieren“, erläutert Yildiz. Seiner Ansicht nach ist die Kategorie der nationalen Identität eine ideologische, die mit dem Leben der Menschen wenig zu tun hat und die dafür missbraucht wird, Gesellschaften zu spalten und Menschen gegen einander auszuspielen: „Im alltäglichen Leben denke ich nicht jeden Tag über meine Identität nach. Man versucht zu leben und in vielen Fällen zu überleben“, führt Yildiz aus. Seine Hoffnung ist, dass sich diese pragmatische Haltung durchsetzt und in Zukunft die Menschen Europas im Zentrum der Politik stehen, egal welcher Herkunft sie sind.
(Autor: Daniel Schreier)
Steckbrief
Name
Erol Yıldız
Funktion
Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaften
An der Uni seit
2014
Wohnort
Innsbruck
Herkunft
Türkei/Samsun