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Niewiadomski Jozef: "Vom Blick in das Fenster des lieben Gottes"
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"Vom Blick in das Fenster des lieben Gottes"
(Ansprache des Dekans bei der Promotions- und Sponsionsfeier)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:am 20. November 2004 im Kongresshaus in Innsbruck
Datum:2004-11-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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“Wer dem lieben Gott ins Fenster geschaut hat, langweilt sich nicht. Er ist glücklich!” - so hat es vor Jahren Milan Kundera auf den Begriff gebracht. Und er hat seinem Roman den bezeichnenden Titel “Die Langsamkeit” gegeben. Gestern Abend präsentierte der Tiroler Künstler Hans Dragosic seine Installation im Gang der Theologischen Fakultät. Die Installation abschreitend liest der Betrachter immer wieder das Wort: “Zeit”. Zeit..Zeit...Zeit... für ... Zeit ... den letzten... Zeit... Zeit... Atemzug.

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Sehr geehrter Herr Rektor, sehr geehrte Eltern, Freunde und Verwandte unserer Kandidatinnen und Kandidaten, liebe Absolventinnen und Absolventen unserer Katholisch-Theologischen Fakultät, mit der Abschaffung des Blicks ins Fenster des lieben Gottes, mit der Einschränkung von Lebensperspektiven auf reine Diesseitigkeit hat unsere Kultur dieses Leben zur letzten Gelegenheit verwandelt: zur letzten Gelegenheit, etwas zu leisten oder auch etwas zu erleben. Der Leistungs- und der Erlebnisstress prägen unseren Alltag und wir alle sind gar nicht so unglücklich darüber. Diesseitsgeschäftigkeit beansprucht uns und unser Vorstellungs-vermögen total. Wir verstummen höchstens vor den Grenzen dieser unserer Welt: dort, wo Gewalteruptionen alles aber gar alles zu zerstören drohen, dort, wo weder Leistung noch Erlebnis möglich sind: bei der Konfrontation mit den Sterbenden - da zeigen wir uns betroffen und ratlos.

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Die Logik der reinen Diesseitsgeschäftigkeit diktiert die Aufteilung von Funktionen und Zuständigkeitsbereichen. Und Sie, die Absolventinnen und Absolventen der Universität, sollen auch wichtige Aufgaben übernehmen: bei der Regelung solcher gesellschaftlicher Teilbereiche. Markt und Gesundheitswesen, Organsisationsentwicklung und therapeutische Kultur gerade angesichts von Missbrauch und Kommunikationsstörungen, Friedenspolitik und kulturelles Erbe, Sexualität von Mann und Frau... Aufgaben gibt es mehr als genug.

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Vertieft man sich in ihre Dissertationen und Diplomarbeiten - liebe Absolventinnen und Absolventen - so findet man sich auf der Agora unserer Alltagskultur: auf dem Marktplatz, wo der Mensch von heute seine Ängste und Sorgen, seine Probleme und Pläne präsentiert und nach einer fachkundigen Lösung sucht. Psychologen, Therapeuten, Manager, Ökonomen, Techniker und Freizeitanimateure, Ärzte, Pflegepersonal und Sterbebegleiter bieten ihre Leistung dar... und auch die Theologen. Scheinbar wollen diese auch “ihren Senf” zu all den alltagsrelevanten Problemen dazugeben, sind demnach für alles und nichts zuständig - unprofessionelle Psychologen und Hobbymanager. In dieser ihrer Funktion werden sie höflich angelächelt. Die Anpöbelung und das Niederbrennen von Kirchen und Moscheen stellen noch die Ausnahmen und nicht die Regel in unserer Kultur dar. Sie werden zwar angelächelt, ganz heimisch fühlen sich die Theologinnen und Theologen auf der Agora der kulturellen Diesseitsgeschäftigkeit jedoch trotzdem nicht. Viele erliegen der Versuchung, ihre theologische Identität ganz zu verleugnen, oder aber sie geben sich zufrieden mit der rituellen Beschwörung in den sprichwörtlichen Grenzsituationen reiner Diesseitigkeit: Seelsorge am Sterbebett als Luxus einer Events Society, Ritenanbieterinnen und Ritenanbieter in den von niemandem sonst besetzten gesellschaftlichen Nischen.

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Liebe ehemalige Studierende, mit Ihren Dissertationen und Diplomarbeiten verorten sie sich alle an den zentralen Kreuzungen unserer Alltagsautobahnen: so etwa in der Problematik der Werbung (Herr Georg Schärmer), der Arbeitsproblematik (Herr Matthias Walter), der Friedensforschung (Herr Komlan Semenou), der religiösen Konflikte (Herr Roman Payr), der Frauenfrage (Herr Alhonko Kuanvih), der Emanzipation der Homosexuellen (Frau Johanna Manucredo), des sexuellen Missbrauchs (Herr Wolfgang Kollmann), des therapeutischen Handelns (Frau Maria Klingler), des kommunikativen Handelns (Frau Monika Saleem), des kulturellen Erbes (Herr Heinrich Kofler, auf seine Art auch Herr James Ackah), der religiösen Erfahrung (Frau Hildegard Anegg), des Managements, der Organisations- und Instiutionsreform - wenn auch im kirchlichen Kontext (Herr Bernhard Franz und Herr Ludwig Klotz, auf ihre Art auch Frau Johanna Fabian), der Grenzen des Alterns, der Krankheit und des Sterbens (Frau Silvia Brida, Frau Regine Hofer und Frau Stefanie Kast, Herr Igor Lukenda und Herr Wolfgang Meixner).

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Sie alle sind also up to date, Zeitgenossen im besten Sinn des Wortes, weil Sie das machen, was alle anderen auch machen..., oder auch machen können und auch machen werden. In einer auf das Diesseits ausgerichteten Kultur sind Sie auf dem Marktplatz ersetzbar. Wenn Sie einen unersetzbaren Wert für den Menschen von heute haben, dann nur, wenn Sie sich als Anwältinnen und Anwälte eines anderen Blicks begreifen und nicht als Angestellte eines Konzerns. Mit Milan Kundera gesprochen: Sie bleiben unersetzbar, weil Sie sich durch ihr Studium eine theoretische Kompetenz erworben haben und diese lautet: Wir haben gelernt, “in das Fenster des lieben Gottes zu blicken”, dieses Leben nicht bloß aus der Perspektive der reinen Diesseitigkeit zu betrachten, sondern aus der Perspektive der Erlösung. Seien Sie stolz auf diese Ihre Kompetenz. Unsere Welt schätzt sie momentan nicht besonders hoch, doch ringt dieselbe Welt inzwischen um “den Luxus” der Zeit für den letzten Atemzug. Eine Kultur, die dieses Leben als letzte Gelegenheit betrachtet, braucht notwendiger denn je die Perspektive des “offenen Himmels”, sie braucht sie selbst in der Wissenschaft. Spätestens jetzt werden einige den Kopf schütteln und das Gespenst des Fundamentalismus an die Wand malen. Zwischen Fundamenten und Fundamentalismus gibt es große Zusammenhänge: Eine Kultur, die die Fundamente verliert oder nicht tief genug setzt, verfällt unweigerlich der “fundamentalistischen Versuchung”.

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Wir alle sollten freilich nicht vergessen, dass es da noch eine winzige Unterscheidung gibt: zwischen Wissenschaft und Leben, zwischen Theologie und Glauben. “Theologie zu betreiben”: dieses Geschäft ist mit der Produktion und der Lektüre von Speisekarten vergleichbar. “Glaube”: das ist eine üppige Mahlzeit, die man genießt; ein Mahl mit den feinsten Speisen, den erlesensten und besten Weinen. Auch in diesem Kontext soll eines beachtet werden: Die Speisekartenproduktion und die Speisekartenlektüre ohne die dazugehörige Mahlzeit, das ist der programmierte Selbstmord. Theologie ohne den Glauben, das ist die Produktion von Aggression und Zerstörung. Als Dekan unserer Theologischen Fakultät wünsche ich uns allen, dass wir Anwältinnen und Anwälte der Perspektive des offenen Himmels bleiben, nicht bloß durch die Theologie, sondern auch durch unseren Glauben. Dass wir also nicht nur die Speisekarten vorlesen, sondern auch miteinander essen und trinken. Wir wollen Anwältinnen des offenen Himmels bleiben, nicht nur am Sterbebett - freilich auch dort -; wir wollen Anwältinnen und Anwälte des offenen Himmels schon bei der kulturellen Gestaltung unserer Arbeits- und Konsumverhältnisse sein, unserer sexuellen Beziehungen, ja unseres ganzen alltäglichen Lebens. Erst dann gilt das, was Milan Kundera auf den Begriff brachte: “Wer dem lieben Gott ins Fenster geschaut hat, langweit sich nicht. Er ist glücklich!” Bleiben Sie glückliche Menschen - liebe Absolventinnen und Absolventen!

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