Zukunft Forschung
Ausgabe 01 | 19
Interview mit Dirk Rupnow "Zum Umgang mit der Universitätsgeschichte im Jubiläumsjahr"
Das österreichische Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 bot nicht nur Anlass, Erfolge zu feiern: die Republikgründung 1918, aber auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Dezember 1948 –, sondern machte vor allem die Gefährdetheit von Demokratie sichtbar, denn wir wurden gleichzeitig an ihren Untergang erinnert: Durch die von Engelbert Dollfuß betriebene Ausschaltung des Parlaments vor jetzt mittlerweile 86 Jahren Anfang März 1933; und durch den – von den meisten bejubelten – so genannten „Anschluß“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich vor heuer 81 Jahren Mitte März 1938, auf den schließlich Verfolgung, Krieg und Völkermord folgten.
Der Blick in die 350jährige Universitätsgeschichte lässt währenddessen nicht nur deutlich werden, wie tiefgreifend sich diese Institution Universität verändert hat und wie sich die Wissenschaften in einem ständigen Wandlungsprozess befinden – im Sinne des wissenschaftlichen Fortschritts ebenso wie ihres Selbstverständnisses und Funktionierens und ihres Verhältnisses zu Gesellschaft und Politik. Auch Wissenschaft ist ständig Gefährdungen ausgesetzt, allerdings nicht nur von außen, wie es gängige Begriffe wie „mißbrauchte Wissenschaft“ nahelegen. Wissenschaftler selbst und so auch Angehörige dieser Universität haben keinesfalls immer „ihr Wissen und Können in sozialer Verantwortung eingesetzt, zum Abbau von Irrtum und Vorurteilen beigetragen und sich um eine Kultur der geistigen Freiheit und Toleranz bemüht.“ – wie wir es heute unsere AbsolventInnen geloben lassen – und obwohl sie früher auch Menschlichkeit gegen alle, Redlichkeit und gerechtigkeit gelobt haben.
So kann dies kein selbstzufriedenes Jubeljahr für die Universität sein, wie 2018 kein selbstzufriedenes Jubeljahr für die Republik war – zumal in einer Zeit, die einerseits zwar wissenschaftsgläubig ist, allerdings gleichzeitig immer wissenschaftsfeindlicher wird. Aber auch in einer Zeit, in der – durchaus global – soziale Verantwortung, geistige Freiheit und Toleranz erneut in Frage stehen und der Abbau von Irrtum und Vorurteilen keineswegs mehr selbstverständlich ist, sondern eher deren Wiederkehr betrieben wird.
Als emblematisch für die Verstrickung der Universität Innsbruck in den Nationalsozialismus und den Umgang damit nach dem Krieg kann die Gestaltung der Aula gelten: In Übererfüllung der Vorgaben gab der damalige Rektor Harold Steinacker kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland das Mosaik einer Hitler-Darstellung für die Stirnseite der Aula in Auftrag. Die Vorlage lieferte der Innsbrucker Künstler Hubert Lanzinger – unter Rückgriff auf sein Gemälde „Der Bannerträger“, das Adolf Hitler in silberner Rüstung zu Pferde zeigt, mit der Hakenkreuzfahne in der Hand. Nach Kriegsende 1945 wurde das Mosaik offenbar weitgehend abgeschlagen und zunächst durch eine neutrale Putzoberfläche übertüncht. 1947 wurde an der Stelle eine stuckumrahmte Tafel mit dem Schriftzug „in veritate libertas“ – der Wahlspruch der katholischen Studentenverbindung Austria – angebracht.
Da außer den Akten im Universitätsarchiv bis vor kurzem kein fotografisches Zeugnis des Mosaiks in situ bekannt und auch sein Verschwinden nicht nachvollziehbar dokumentiert war, beauftragte das Rektorat 2017 eine Tiefensondierung, die Reste des Mosaiks selbst und die Spuren seiner Beseitigung zutage brachte. Angesichts der Vielschichtigkeit und Ambivalenz der damit sichtbaren Vorgänge – der vorauseilende Gehorsam der universitären Amtsträger 1938, die eilfertige Distanzierung und Verdrängung 1945, die Ausblendung der eigenen Mitverantwortung und Schuld über lange Zeit und der mühsame Vorgang des Freilegens der Spuren dieser Geschichte – entstand der Entschluss, die Sondierungsbohrungen in die Vergangenheit als ein Mahnmal offen zu lassen.
Vergleichbar damit ist der Umgang mit akademischen Ehrungen, der bisher bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Universität vernachlässigt wurde und in dem sich ebenfalls der Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945 spiegelt. Die Verantwortungsträger der Universität Innsbruck haben im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Personen geehrt, die aus heutiger Sicht nicht mehr als würdig gelten können. Durch das Erlöschen einer Ehrung auf Grund des Todes des Geehrten ist eine nachträgliche Aberkennung einer Ehrung für bereits verstorbene Personen formell unmöglich. Eine Aberkennung darf aber vor allem nie eine nachträgliche Reinwaschung sein: Im Grunde muss sie damit einhergehen, dass die ursprüngliche Zuerkennung als Fehler anerkannt wird. Sie kann nicht eine spurlose Streichung sein oder der Versuch eines Spurenverwischens: Sie schließt vielmehr die fortgesetzte Verantwortung der Universität für die damalige Fehlentscheidung mit ein. Die frühere Zuerkennung bleibt als historische Tatsache bestehen, sagt weiter etwas über die Geschichte der Universität und unserer Gesellschaft aus. Sie kann durch die Aberkennung nicht nachträglich ungeschehen gemacht werden, ebenso wenig wie die Leiden der Opfer. Als problematisch erkannte frühere Ehrungen können aber andererseits auch nicht einfach unkommentiert bestehen bleiben. Dies käme einer fortgesetzten Verhöhnung der Opfer gleich. Die Universität hat sich daher dazu entschlossen, Fälle von Ehrungen, die ihr heute nicht mehr angemessen erscheinen, zu markieren und zu dokumentieren – und sich somit von ihnen zu distanzieren.
Die Universität Innsbruck und ihre Angehörigen waren auf vielfältige Art und Weise in menschenverachtende Ideologien und Praktiken verstrickt – und das nicht nur während des „Dritten Reiches“. Wenn wir etwas einsehen wollen, „schlicht und einfach, allein dem Verstand zuliebe, des Anstands wegen, sozusagen“, wie es im „Roman eines Schicksallosen“ des Holocaust-Überlebenden und späteren Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész heißt, dann müssen wir die Spuren dieser Geschichte freilegen und können sie nicht erneut übertünchen.