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Drexler Christoph: Konflikte im schulischen und pfarrlichen Alltag als theologische Herausforderung
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Konflikte im schulischen und pfarrlichen Alltag als theologische Herausforderung
(Was kann die Theologie zu einem guten Umgang mit Konflikten beitragen?)

Autor:Drexler Christoph
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Auf dem Hintergrund des von Friedrich Glasl entwickelten Konflikteskalationsmodells wird deutlich, dass der Jesus der Evangelien Konflikte nicht nur in Kauf nimmt, sondern teilweise aktiv zu deren Eskalation beiträgt. Was können wir daraus für unseren eigenen Umgang mit Konflikten lernen?
Publiziert in:Konrad Breitsching / Wilhelm Guggenberger (Hrsg.): Der Mensch - Ebenbild Gottes. Vorträge der dritten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2002. Thaur : Druck- und Verlagshaus Thaur, 2003. - S. 247-252.
Datum:2003-09-16

Inhalt

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Dass Konflikte zu unserem - nicht nur, aber auch: schulischen und pfarrlichen - Alltag gehören, bezweifelt wohl kaum jemand. Ob man als ReligionslehrerIn von den KollegInnen die Aufgabe zugeschoben bekommt, in SchülerInnenkonflikten zu vermitteln, oder selbst mit so genannten „Disziplinproblemen" zu kämpfen hat; ob man sich in der eigenen Pfarre mit Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen auseinandersetzen muss oder „nur" über die Medien die verschiedenen innerkirchlichen Kontroversen - etwa in der Frage der Zulassungsbedingungen zur Priesterweihe - mitverfolgt: Konflikte gehören einfach dazu, mag man dies nun bedauern oder begrüßen.

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Keineswegs selbstverständlich erscheint es allerdings, sich dem Problemkomplex der Konflikte theologisch zu nähern. Soll man das Feld nicht den Fachleuten anderer, vielleicht kompetenterer Disziplinen überlassen? Gehören Konflikte nicht viel eher ins Gebiet der Psychologie, der Soziologie, der Pädagogik, der Friedenswissenschaft? Fischt die Theologie da nicht in fremden Gewässern bzw. hat sie zu so einem Thema überhaupt kompetent etwas zu sagen?

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Diesen Zuschreibungen entsprechend suchen ReligionslehrerInnen und pfarrliche AktivistInnen bei auftretenden Konflikten Rat und Hilfe wohl nur selten bei TheologInnen, sehr wohl jedoch in der einschlägigen Ratgeberliteratur zu „Mediation" und „Konfliktmanagement". Das inzwischen bereits in der siebten Auflage erschienene Buch „Konfliktmanagement : ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater" des österreichischen Konfliktforschers Friedrich Glasl (1) wird beispielsweise auch in kirchlichen Kreisen stark rezipiert (2).

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In der Tat kommt der Begriff „Konflikt" in der Einheitsübersetzung der Bibel kein einziges Mal vor; auch wurde bisher keine „Theologie des Konflikts" entwickelt. Nur weil es keine explizite Theologie des Konflikts gibt, heißt das jedoch noch lange nicht, dass die damit gemeinte „Sache" - also der Konflikt selbst - der Theologie fremd wäre. Immerhin ist die Bibel voll von - teilweise recht heftigen - Konfliktgeschichten, und von Beginn an hat die Kirche das Friedenstiften als ihre ureigenste Aufgabe angesehen - auch wenn außer Zweifel steht, dass sie dieser Pflicht nicht nur unzureichend nachgekommen ist, sondern - wie aus der Kirchengeschichte sattsam bekannt - selbst oft zum Zankapfel geworden ist. Man kann daher auch umgekehrt fragen: Kann es sich die Theologie überhaupt leisten, zu so einem wichtigen Thema zu schweigen?

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Frieden stiften als christliche Aufgabe

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Aber was kann die Theologie Nützliches zum Umgang mit Konflikten beitragen? Eine vielen wohl vertraute Argumentationsfigur sieht das Friedenstiften als primäre Aufgabe von ChristInnen. „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne [und Töchter] Gottes genannt werden.", heißt es zu Beginn der Bergpredigt (Mt 5,9). ChristInnen, so könnte man daraus schließen, müssten Konflikte grundsätzlich (ver)meiden. Wo dies nicht möglich ist, sollten ChristInnen zur Deeskalation von Konflikten beitragen, um so das Schlimmste zu verhindern - schließlich bekommen wir jeden Tag via Fernsehen das unheilvolle Außer-Kontrolle-Geraten von Konflikten ins Wohnzimmer geliefert.

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Wie gerät ein Konflikt zusehends außer Kontrolle? Friedrich Glasl beschreibt ausführlich die Eskalationsdynamik von Konflikten als Weg, der in den Abgrund führt. Die Positionen der Konfliktparteien beginnen sich zu verhärten (Stufe 1); Polemik und Misstrauen mischen sich in die Debatte (Stufe 2), bis sich die Überzeugung durchsetzt: Worte helfen uns nicht mehr weiter, da müssen Taten bzw. vollendete Tatsachen her (Stufe 3)! Die Konfliktparteien machen sich stereotype Bilder von ihrer Gegenpartei und beginnen sich um ihr eigenes Image und um mögliche Koalitionen zu sorgen (Stufe 4); bald wird sogar ein Gesichtsverlust des Gegner in Kauf genommen (Stufe 5) und den eigenen Forderungen durch Drohstrategien Nachdruck verliehen (Stufe 6). Begrenzte Vernichtungsschläge sollen das von der Gegenpartei ausgehende Gefahrenpotential in den Griff bekommen (Stufe 7); durch gezielte Zersplitterung soll der Gegenpartei nachhaltig Schaden zugefügt werden (Stufe 8), bis man sich am Ende lieber gemeinsam mit der Gegenpartei in den Abgrund stürzt, als nachzugeben (Stufe 9). (3)

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Um diese Eskalationsdynamik darzustellen, verwendet Glasl das anschauliche Bild einer absteigenden neunstufigen Treppe. Dadurch soll versinnbildlicht werden, dass Konflikte - ohne viel Zutun - von sich aus zur Eskalation neigen, während eine Deeskalation - wie das Aufwärts-Steigen auf einer Treppe - besonderer Anstrengung und Mühe bedarf. Die Abwärts-Bewegung des Eskalationsprozesses ist laut Glasl zutiefst im Wesen des Menschen verankert und kann nur durch „Bewusstsein und Moralität der Konfliktparteien" (4), durch ein entschlossenes Schwimmen gegen den Strom (5), durch den Einsatz von „Energie …, die nicht aus dem Konfliktprozess selbst stammt" (6), gestoppt werden.

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Dieses Konflikthandlungsmodell besitzt für viele Menschen - nicht nur für ChristInnen - hohe Plausibilität. Trotzdem halte ich diesen Ansatzpunkt aus drei Gründen für einseitig: (1) Konflikte werden in diesem Modell überwiegend als Gefahr wahrgenommen; die in Konflikten ebenso verborgen liegenden Chancen können dadurch allzu leicht übersehen werden. (2) Christliches Konflikthandeln gerät zur moralisch-ethischen Forderung und kann somit leicht zur Überforderung werden. (3) Die beschriebene Argumentationsfigur steht in einem krassen Gegensatz zum Konflikthandeln Jesu. Dem letzteren - im engeren Sinn theologischen - Einwand möchte ich im Folgenden noch genauer nachgehen.

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Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten Israels

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Im Matthäus-Evangelium bildet das Element des Konflikts nach dem Urteil kompetenter ExegetInnen einen zentralen Bestandteil im ‚Bauplan' der Jesusgeschichte. (7) Erzählt wird dabei ein eskalierender Konflikt, der für Jesus tödlich endet. Dabei fällt auf, dass Jesus keinesfalls nur als passives „Opfer" dieser Konflikteskalation dargestellt wird, sondern dass er an mehreren Stellen sehr aktiv zu dieser Eskalation beiträgt. So spricht er beispielsweise in der Bergpredigt en passant den Pharisäern und Schriftgelehrten mehr oder weniger die Möglichkeit ab, ins Himmelreich zu kommen, diffamiert sie also öffentlich: „Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." (Mt 5,20) Im Glaslschen System kommt das - je nachdem, wie groß man die damit verbundene Blamage der Pharisäer einschätzt - immerhin einer Eskalation auf Stufe 2 (Polemik) oder 5 (Gesichtsverlust) gleich. Andere Beispiele ließen sich ergänzen; am deutlichsten wird Jesu eskalationsförderndes Konflikthandeln wohl bei der so genannten „Tempelaustreibung" (Mt 21,12-17). Zwei Kapitel später scheut Jesus sich nicht, Schriftgelehrte und Pharisäer pauschal u. a. als „Heuchler" (Mt 23,13.15.23.25.27.29), „blinde Narren" (Mt 23,17), „Nattern" und „Schlangenbrut" (Mt 23,33) zu bezeichnen. Auch wenn die Historizität der Tempelaktion sowie der Rede in Mt 23 unter ExegetInnen heiß umstritten ist, bleibt doch die Tatsache, dass ein im Bewusstsein der Kirche als Heilige Schrift anerkanntes Evangelium Jesus ein solches Handeln zutraut.

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Was aber bedeutet dieser biblische Befund? Müsste man daraus schließen, dass - ganz im Gegensatz zu gängigen Vorstellungen von der Versöhnungsaufgabe der ChristInnen -Unnachgiebigkeit und Kompromisslosigkeit die Aufgabe von ChristInnen wäre? Gibt das nicht jenen FundamentalistInnen Recht, die wacker und ohne Zögern, oft genug jedoch auch rücksichtslos für die „Wahrheit des Evangeliums" Partei ergreifen?

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Eine solche Sichtweise übersieht freilich den fundamentalen Unterschied zwischen Jesus und uns. Während wir davon ausgehen, dass Jesus in seiner Verkündigung des Reiches Gottes zwar mit eigenen menschlichen Schwächen und mit Versuchungen zu kämpfen hatte, dabei jedoch der Sünde widerstand, müssen wir bei uns selbst damit rechnen, dass sich in unser engagiertes Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung durchaus auch fragwürdige Motive einmischen: Vor Neid, Missgunst, Machtgelüsten und ähnlichen Regungen sind nach christlicher Überzeugung auch die bewundernswertesten KämpferInnen für das Gute nicht gefeit. Wo Konflikte auftreten, zeigen sich nicht nur die edlen Seiten des Menschen, sondern auch die dunkelsten, auch wenn sie sich manchmal wie der Wolf im Schafpelz verstecken und - im Bild gesprochen - oft sogar dem Wolf selbst verborgen bleiben. Die vielen Eifersuchtsdramen, von denen die Zeitungen voll sind, wären undenkbar ohne die enge Verquickung von Zuneigung, ja Liebe, und selbstsüchtigem Egoismus.

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Konflikthandeln als „Unterscheidung der Geister" im Vertrauen auf den Versöhnung stiftenden Gott

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Was also können wir dann von der Theologie lernen, um Konflikte besser verstehen und angemessener mit ihnen umgehen zu können?

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Zuallererst kann Jesu unerschrockenes und offensives Konflikthandeln Mut machen, Konflikte nicht zu vermeiden, sondern zu akzeptieren, dass ein christliches Engagement ohne Konflikte nicht zu haben ist. Wer Konflikte grundsätzlich meidet, begräbt damit ein gutes Stück Lebensenergie und umgeht nicht nur Auseinandersetzung und Streit, sondern auch einen konsequenten Einsatz für das „Reich Gottes". Dabei fällt jedoch auch auf, dass Jesus, bei aller Schonungslosigkeit, keine Aktionen setzt, die darauf abzielen, seine Gegner zu vernichten (Stufe 7-9 im Eskalationsmodell Glasls).

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Freilich ist das nur die eine Seite. Martin Luther hat die conditio humana auf die sprechende Kurzformel: „simul iustus et peccator" gebracht: Zugleich Gerechte als auch SünderInnen sind wir, fähig zu echter Hingabe und lustvollem Miteinander, aber auch zu Hass und Gewalt. Als ChristInnen können wir Konfliktprozesse, in die wir verwickelt sind, daher auch nutzen, um sowohl unsere edelsten als auch unsere beschämendsten Seiten kennen zu lernen. Die Wut, die sich in mir aufbäumt und nach Ausdruck verlangt: Ist sie eine Form heiligen Zorns, oder meldet sich das trotzige kleine Kind in mir, das sich weigert, erwachsen zu werden? Die Hand, die ich meiner/m KonfliktpartnerIn entgegenstrecke: Will ich nur beweisen, dass ich der/dem anderen moralisch überlegen bin, oder ist es ein ehrlich gemeintes Friedensangebot? Wurde ich wirklich ungerecht behandelt, oder versuche ich mich zum Opfer zu stilisieren, um mir einen Imagevorteil daraus zu verschaffen? Nie sonst liegt der/die Heilige und der/die SünderIn in uns so nahe beieinander wie in Konflikten, daher bieten Konflikte die Chance, sich selbst besser kennen zu lernen, in traditioneller christlicher Sprache gesprochen: sich in der „Unterscheidung der Geister" zu üben.

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Nicht zuletzt können ChristInnen in ihrem Konflikthandeln darauf vertrauen, dass der eigentliche „Konfliktlöser" Gott selbst ist, von dem wir bekennen, dass er uns in der menschlichen Gestalt Jesu Christi am Kreuz durch sein Blut versöhnt hat. Will man diese Formel nicht individualistisch missverstehen, dann bekennen wir in diesem Satz Gott auch als das Fundament jeder gelingenden Gemeinschaft (8). Diese Zusage dispensiert uns nicht von eigenen Bemühungen um ein faires Konflikthandeln - und dazu kann die Konfliktratgeber-Literatur viele wertvolle Anregungen bieten. Im Gegenteil: Der Glaube, dass Gott selbst uns unser Miteinander schenkt, schenkt Freiheit und ermöglicht, sich mutig auch auf ‚heiße' emotionsgeladene Konflikte einzulassen.

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Anmerkungen:  

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 1.Vgl. Friedrich Glasl: Konfliktmanagement : ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. 7., erg. und überarb. Aufl. Bern : Haupt ; Stuttgart : Verl. Freies Geistesleben, 2002 (Organisationsentwicklung in der Praxis ; 2).

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2.„Eine Kollegin von mir meinte sogar, das genannte Buch wäre „das fünfte Evangelium der Pastoraltheologen".

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3.Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Glasl, Konfliktmanagement, 215-286.

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4.Glasl, Konfliktmanagement, 282.

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5.Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, 215.282.

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6.Glasl, Konfliktmanagement, 282.

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7.Vgl. Marlis Gielen: Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes im Spiegel der matthäischen Jesusgeschichte. Bodenheim : Philo, 1998 (Bonner biblische Beiträge ; 115), S. 15f.

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8.Vgl. Matthias Scharer ; Bernd Jochen Hilberath: Kommunikative Theologie : eine Grundlegung. Mainz : Matthias-Grünewald-Verl., 2002 (Kommunikative Theologie ; 1).

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