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Reitan Claus: Ordnung schaffen ohne Waffen
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Ordnung schaffen ohne Waffen
(Über "Theologie treiben in Zeiten des Krieges")

Autor:Reitan Claus
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Vortrag am Fakultätstag 2002: Theologie treiben in Zeiten des Krieges
Datum:2002-03-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Drei Vorbemerkungen zum Geben und Nehmen zwischen Menschen.

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1.) Was Menschen Menschen im Einzel- oder Notfall zu geben bereit sind, ist großartig, ja überwältigend.

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Den Blick darauf zu lenken stimmt dankbar und hoffnungsfroh. Übermenschliche Leistungen geläuterter oder bedrängter Einzelner und von Gemeinschaften lassen etwas über uns Hinausgehendes erkennen, denn die Festigkeit und Unbeirrbarkeit mancher Gerechter lässt, gemessen an der Erfahrung eigenen Kleinmuts und erlebter Verzagtheit nur den Schluss zu, dass eben die Gerechten einen Halt gefunden haben, der zwingend im Geistigen und nahezu zwangsläufig in der Transzendenz liegt. Wer selbst nicht zum Vorbild taugt, kann sich so zumindest eines nehmen.

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2.) Dass Menschen mit Menschen zurechtkommen ist eine zivilisatorische und kulturelle Leistung.

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Diese Perspektive erlaubt immerhin noch ein Leben zwischen Pragmatismus und Ironie. Dieses Leben ist nicht zwangsläufig wertlos oder ohne Basis und Orientierung an Werten, was ein Christ und andere, die in den Kategorien von Gott und Schöpfung denken, ohnedies keinem Leben bescheinigen würden. Aber in seiner selbstgewählten Endlichkeit ist eine Lebensführung der heiteren Gelassenheit vielleicht etwas banal. Voller Ereignisse, aber ohne Erlebnisse. Und der steten Bedrohung ausgesetzt, in Zynismus abzugleiten, denn dessen aus sich über den Tag hinausgehend erwachsende Projektion führt zur Prognose, längerfristig seien wir alle tot. Und wenn wir schon eines Tages tot sein müssen, was man sich ja nicht ausgesucht habe, dann wolle man zuvor, kurz- und mittelfristig sozusagen, zumindest gelebt haben. Eine nicht-transzendierte Lebensführung ist nicht zwangsläufig amoralisch oder gar unethisch. Und einer Diesseits- und Selbstbezogenheit fehlt zwar nicht der andere, der Mitmensch, keineswegs, aber es fehlt ein begründungsfreies, vom Zwang zur Legitimation befreites Absolutum. Und damit ist Relativität nicht nur möglich sondern sogar zulässig. Und damit landet man auf der Piste der Beliebigkeit.

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3.) Doch was Menschen Menschen an Grausamkeit, Unterdrückung, Vernichtung antun, bleibt unfassbar und inakzeptabel. Dem haben wir uns zu stellen. Das ist unser Thema. Da haben wir anzusetzen. Dieser dritte Punkt ist der wichtigste, drängendste. Diesen zu lösen, also Ordnung zu schaffen ohne Waffen, lässt für den zweiten Mittel und Methoden zur Differenzierung entstehen und erlaubt dann eine Lebensführung wie unter erstens skizziert. Und die ist ja wohl das Ziel aller Überlegungen und Bemühungen.

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Das heißt, dreierlei zu betrachten:

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  1. die Grundtatsache der Ambivalenz des Menschen, also auch der Aggressivität, des Bösen, des Gewaltbereiten und Gewalttätigen in uns,
  2. die Bedingungen, unter denen es sich seinen Weg bahnt (wobei noch zu unterscheiden wäre, ob aus Vorsatz, aus Fahrlässigkeit oder aus einer Notlage heraus),
  3. die enormen Wirkungsmöglichkeiten und das heisst wohl auch Vernichtungsmittel, die heute zur Verfügung stehen.
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Krieg ist ein Wort für einen Vorgang in vielen Abstufungen und mit vielen Gesichtern, wobei wir den sogenannten täglichen Kleinkrieg, den Papierkrieg und den Krieg der Geschlechter der thematischen Ordnung halber außer Betracht lassen. Die widerwärtigsten Kleinkrieger, nämlich die Folterknechte, die Kinderschänder und die Drogenhändler, die Menschenhändler und die Flüchtlings-Schlepper, müssen wir zwar erwähnen, halten sie für Kriminelle. Wir überlassen sie dem Zugriff der gerechtigkeit und behandeln sie thematisch nur indirekt und insoweit, als es sich um krasse Fehler in der Selbst- und in der Fremdsteuerung handelt. Welche Erscheinungsformen des Kriegs sind für unser Thema gemeint?

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Der Krieg in uns, der widerstreitenden Gefühle, der in der Person hausenden Feindbilder

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Der Krieg zwischen uns, also zwischen Zweien, seien es Personen oder Personengruppen, die einander konkurrierend und feindlich gegenüberstehen.

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Und der Krieg, in dem wir drinnenstecken, der aber gar nicht der unsere ist. Den wir uns gar nicht ausgesucht haben. Also der ererbte oder aufgezwungene, den wir aus Not oder in Verteidigung führen.

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Und dann der wegen seiner Massenwirkung und Geschichtsmächtigkeit Übelste von allen, der von anderen angeschaffte Handlanger- und der Stellvertreterkrieg. Für diese Erscheinungsform gilt, was Paul Valéry treffend formulierte: „Der Krieg ist ein Massaker von Menschen, die sich nicht kennen, zum Nutzen von Leuten, die sich kennen, aber nicht massakrieren."

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Krieg ist, um es mit Peter Michael Lingens auszudrücken, jedenfalls moralische Entfesselung. Dass es dazu stündlich, täglich, ja dauernd kommt, ist eine Schande für die Menschen, ist ein Stachel im Fleisch, eine Belastung für das Gemüt, eine Qual für den das Diesseits betrachtenden Geist, der nicht verstehen kann, was er sehen muß. Um es vorweg zu nehmen: Die innere Revolte gegen das, was man als Schattenseiten der Natur des Menschen und das Schweigen Gottes bezeichnen kann, setzt lediglich Gedanken und Gefühle frei, die nichts zu bewegen sondern nur zu zeigen vermögen, welcher Quelle sie entsprungen sind: Der Wut der Verzweiflung über die Schmerzen, die sich Menschen zufügen. Warum der Einzelne grundsätzlich auch ohne Not bereit ist, aus eigenem Antrieb auf den Anderen loszugehen, wird immer wieder mit Überraschung beobachtet. Dazu zählt eine Erfahrung von Eibl-Eibesfeldt bei den Eipos. Er besuchte diese Volksgruppe auf Neuguinea in den 70er Jahren. Und einigen von ihnen wurde angeboten, erstmals in einem Flugzeug mitzufliegen, um die Landschaft von oben zu sehen. Die Eipos willigten ein und schlugen vor, die Türen des Flugzeuges auszuhängen, damit sie den - ihnen persönlich unbekannten - Bewohnern des Nachbartales mitgenommene Steine auf den Kopf werfen können.

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Wollen wir beim Thema, Ordnung schaffen ohne Waffen - Theologie treiben in Zeiten des Krieges, bleiben, müssen wir uns auf diese Fragen mit kurzen Antworten zufrieden geben, Antworten, wie sie Eibl-Eibesfeldt, Lawrence Kohlberg und andere Natur- sowie Sozialwissenschafter anbieten. Kurz gefaßt: In seiner biologisch-organischen Struktur und seiner oftmals unbewussten, reflexhaften Verhaltenssteuerung ist der Mensch offenbar darauf angelegt, unmittelbare Gefahren für sich, sein Überleben und sein Territorium zu erkennen und gegebenenfalls mit den krassesten Mitteln abzuwehren. Diese Abwehr leistet er mit jenen und für jene, mit denen seine eigene Existenz in unmittelbarem Zusammenhang steht, also mit der Familie, der Gruppe, Sippe, Nation und Staat.

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Im Missbrauch dieser Disposition, also im Mangel an überlegter und fundierter, auf die Folgen bedachter Verhaltenssteuerung liegt das Übel, liegt die Wurzel des Krieges, den wir heute zu behandeln haben, also jenen Krieg, in den die Menschen geführt werden und den sie als in Wahrheit missbrauchte Handlanger für andere in deren Macht- und Gewinnstreben führen. Um es noch einmal mit Eibl-Eibesfeldt auszudrücken, den ich teils mit Erschrecken und teils mit Erleichterung zitiere: „Wir müssen uns zunächst einmal mit dem Gedanken vertraut machen, dass Individuen mit steinzeitlicher Emotionalität heute in politischen Führungspositionen das Geschick von Supermächten und damit unter Umständen das von Abermillionen Menschen bestimmen."

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Da fehlt nur noch der Hinweis auf die Lenker der Konzerne. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr liegt in dem Versuch, via falsch verstandener Erfahrungswerte und Bildungsgüter die steinzeitliche Emotionalität rational zu verbrämen und zur Sozialtechnik und zur Staatskunst zu stilisieren.

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Wer hat noch nicht vom Recht des Stärkeren gehört? Und den Abhandlungen, die zu einem Vorrecht des Stärkeren führen?

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Der Krieg ist eben nicht der Vater aller Dinge (Heraklit), obwohl er landläufig dafür gehalten wurde. Und wer kennt nicht die via Lateinunterricht oder Wahrhaftigkeitskunde oftmals unkritisch weitergebene politische Leitlinie des römischen Reiches: si vis pacem, para bellum. Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Das kann nur jemand sagen, für den sich Frieden von pax, und pax wiederum von paco (zum Frieden bringen, unterjochen, urbar machen) und pactum (Vertrag) ableitet. Regeln zu vereinbaren ist ja schon ein Fortschritt, aber Verträge sollte man offensichtlich, gar wenn man Territorien gewinnen und Menschen unterjochen will, eben aus einer Position der Stärke heraus führen. Da lob ich mir den chinesischen General Sunzi („Die grösste Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne Kampf zu brechen") und den Fürsten Bismarck („Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg an sich immer als ein Übel, das die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muss.").

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Von welchen Kriegen sprechen wir heute?

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  • Von den unblutigen, wirtschaftlichen, die Menschen ihrer Lebenschancen berauben.
  • Von den blutigen, die Menschen um ihr Leben bringen.
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Christopher Flavin, Präsident des Worldwatch-Institutes, brachte die Sache zum Jahresauftakt auf den Punkt. Er meinte: „Die Tatsache, dass 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, weist auf ein Ausmaß von Armut hin, das mit unserem Bild des 21. Jahrhunderts nicht zu vereinbaren ist."

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Die Umweltausgaben der Vereinten Nationen betragen 100 Millionen Dollar jährlich, die Militär-Ausgaben weltweit hingegen zwei Milliarden Dollar täglich. Die weltweite Wirtschaftsleistung stieg in den neunziger Jahren um 30 Prozent, die internationale Auslandshilfe ging jedoch um ein Fünftel auf 53 Milliarden Dollar jährlich zurück.

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Wer, so ist zu fragen, nutzt hier die Früchte der Arbeit? Wo bleibt das ganze Geld? Und wo die gerechtigkeit?

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Der legendäre deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl liess sich nie die Sozialschmarotzer-Debatte aufdrängen. Der sprach, wenn überhaupt, von diesem Thema in einem Atemzug mit Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug. Interpol schätzt den Schaden durch Wirtschaftskriminalität europaweit auf 400 Milliarden Euro.

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Antworten auf diese Fragen nach der gerechtigkeit würden auf dem weiten, allerdings unzureichend beackerten Feld der Individual- und der Wirtschafts-Ethik wachsen, wobei das Saatgut, nicht zuletzt der Theologie sei es gedankt, ja schon in Säcken bereit stünde. Was nun die blutigen Kriege anbetrifft, so ist uns das 20. Jahrhundert mit seinen Weltkriegen und seiner Massenvernichtung so gut ins Gedächtnis gebrannt, dass es der Aufzählung der zu Tode gekommenen wohl nicht bedarf. Aber von welcher Charakteristik der Kriege sprechen wir, wenn wir meinen, in Zeiten des Krieges zu leben? Die Phänomenologie der Kriege, welche das 21. Jahrhundert prägten, ehe es so richtig begonnen hatte, hat sich dermaßen gewandelt, dass wir das Kriegerische daran gar nicht mehr zu erkennen vermögen.

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Andersrum ausgedrückt: Der Dieb ist heute nicht mehr an den unter dem Mantel verborgenen gestohlenen Früchten erkenn- und überführbar. Der von der Haager Landkriegsordnung vorgesehene Warnschuss, der vor Erstürmung einer Stadt abzugeben ist, fehlt. Zuerst zum unblutigen Krieg, der, schlimm genug, andere Menschen um ihre Lebenschancen bringt. Die Vorgänge wirken wie Krieg, nur heißt die Sache gar nicht so.

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Dieser Krieg wird nicht mit Waffen sondern mit Abkommen und Bilanzen geführt, und er wird nicht auf Schlachtfeldern sondern auf Märkten ausgetragen.

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Und die Opfer sind gar nicht zählbar, weil sie wegdefiniert wurden. Wenn Unternehmen und Konzerne ihren für die Bilanzlegung maßgeblichen Ort in Steueroasen verlegen, vermeiden sie eine Steuerleistung an jenen Staat, in dem sie ihre produktiven Anlagen haben. Diesem Staat fehlt dann dieses Geld, wofür auch immer, aber nehmen wir als Beispiel Bildung und Soziales. Das ist bitter, aber es lässt keine Opfer-Statistik zu.

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Oder: Westafrikanische Länder haben Ende des vorigen Jahrhunderts, um Devisen zu verdienen, Soja als Tierfutter nach Europa exportiert. Damit fehlt Grünland für die eigene Ernährung. Hunger-Opfer waren die Folge. Die Wurst der Reichen ist eben das Brot der Armen, wie Chrustschow schon früher sagte. Aber die Zusammenhänge sind schwer erkennbar, denn welcher europäische oder amerikanische Fleischesser nimmt denn zur Kenntnis, dass er Afrikas Brot aufisst? Er, der Konsument, will billiges Fleisch. Dazu kommt: Mancher Preis ist eine Lüge. Ganz eindrucksvoll lässt sich das an einem Lederfußball zeigen, der früher nicht einmal 100 Schilling und heute etwa 7,50 Euro kostet. Dieser niedrige Preis ist nur anbietbar, wenn jeder, der an der Herstellung dieses Fußballes beteiligt war, ordentlich über den Tisch gezogen wurde. Glauben Sie, dass eines der 18 oder 36 Lederstücke weniger als zwei oder einen Schilling kosten kann? Glauben Sie, dass mit 60 Schilling das Nähen dieses Balles von Hand bezahlt ist? Alles Lüge. Nicht gelogen ist hingegen der bei Welthandels-Konferenzen stets zu hörende Hinweis der Vertreter asiatischer Länder, insbesondere Indiens und der Philippinen, wenn zumindest die Kinder Arbeit haben, dann könnte sich eine Familie nähren. Zynisch aber ehrlich.

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Ebenfalls zynisch aber sachlich liest sich angesichts des Elends an Flüchtlingen eine einleitende Passage im Fischer-Weltalmanach: Flüchtlingszahlen unter 10.000 werden nicht angeführt. Wie gesagt, so wird ein Problem wegdefiniert. Dennoch: Inzwischen werden auch die Vertreter des Kapitalismus, der Betriebswirtschaft und der Konzerne von Kritik und Selbstkritik erfasst. So meinte etwa der Direktor des Internationalen Währungsfonds, der Deutsche Horst Köhler, beim dieses Jahr in New York abgehaltenen Weltwirtschaftsforum des Club von Davos: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Die Gesellschaft in den reichen Ländern ist zu egoistisch, um Vorteile aufzugeben." Wie wahr. Und ebenso wahr ist, was Lori Wallach, die Direktorin der Organisation Global Trade Watch aus Washington, zeitgleich vor dem Weltsozialforum in Porto Alegre sagte. Sie verwies auf die WTO-Verträge und meinte, sie seien bloß eine Sammlung von Regeln. Sie warf das Paket auf den Boden und rief: Und sie funktionieren nicht. Die WTO-Regeln, so Wallach, seien nur eine Version, wie die Welt geregelt sein könne. Nur zur Klarstellung: Aus historischer Erfahrung heraus ist klar, es ist der beste Weg, eine Gesellschaft über Eigentum zu strukturieren und über Wettbewerb zu organisieren. Doch Eigentum verlangt nach Sozialpflichtigkeit, Wettbewerb nach Regeln. Die katholische Soziallehre hat maßgeblich zur Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft beigetragen. Zu fragen ist nur, wo bleibt denn jetzt der Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Prinzipien, nachdem sich die Anwendungsmöglichkeiten von Eigentum und Wettbewerb so enorm erweitert, sprich globalisiert haben?

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Damit zum Blutvergießen, zu den Kriegen, die uns dermaßen in neuer Gestalt entgegentreten, dass wir den Krieg daran kaum zu erkennen vermögen.

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Die Gemetzel im zerfallenden Jugoslawien und in Ruanda sind noch in Erinnerung. Das war Krieg im übel-klassischen Sinne. Ebenso das Massensterben in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Die Massenvernichtung durch NS-Konzentrationslager, durch Stalins Lager und Umsiedlungen, durch Rache und Vertreibungen, durch planmäßige Ausrottung wie etwa im Kamobscha eines Pol Pot, durch Buschkriege und Befreiungskämpfe, der mit Waffengewalt geführten Beutefeldzüge um Diamanten- und Goldminen. Und nicht zu vergessen die gräßlichen Verschleppungen, Folterungen und Tötungen durch militaristisch-diktatorische Regime. Und jetzt? Und heute?

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Niemand von uns würde die Ereignisse des 11. September 2001 in New York als Brandstiftung mit Todesfolgen bezeichnen. Niemand würde dem Nahen Osten bescheinigen, eine friedliche Region zu sein, in der bei Zwischenfällen an Busstationen Tote zu beklagen sind. Ganz im Gegenteil. Das ist Terror. Das ist Krieg. Und der hat eine neue Erscheinungsform.

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Er wird nicht erklärt. Er wird nicht oder nur teils mit Militär geführt.

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Und der Angreifer will, das markiert den wesentlichen Unterschied, nicht sein eigenes Leben - wie üblich - schonen, sondern opfern. Gezielt. Absichtlich.

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Und die Brisanz entsteht, wie der in Zürich und in Berlin lebende Publizist Roger de Weck richtig analysierte, durch die Vermenung von Fanatismus und Technik: „Immer weniger Leute können mit immer weniger Mitteln immer mehr Schaden anrichten." Der, das wäre zu ergänzen, in seiner Wirkung durch massenmediale Vermittlung zunimmt und Gesamt-Wirklichkeits-konstituierend wird - mit dem, nebenbei sei es angemerkt, Ergebnis der Nachrichten-Verweigerung in Haushalten, denn niemand, auch nicht jener, der sich als Hüter seines Bruders versteht, lässt sich zumuten, seine Mitverantwortung für das Weltgeschehen steige im Ausmaß dessen nachrichten-technischer Übermittelbarkeit.

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Der Punkt in unseren Zeiten des Krieges ist: Der Mensch ist die Waffe. Erst durch die globale Mixtur der Zutaten

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  • wirtschaftliche Benachteiligung
  • politische Unterdrückung
  • religiöse Verbrämung ökonomischer und politischer Ursachen
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entsteht ein Gemisch, das jene Kriege schafft, denen wir uns heute zu stellen haben.

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Erst vor wenigen Wochen, als der 11. September schon einige Monate zurücklag, konnte US-Außenminister Colin Powell vor dem Weltwirtschaftsforum sagen: „Der Terrorismus blüht in Regionen der Verzweiflung, in denen Menschen keine Hoffnung haben. Wir müssen auch Armut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bekämpfen." Fred Bergstein, Leiter des US-Institutes für internationale Wirtschaft, hat es Präsident Bush bereits vor einem Jahr in das Stammbuch geschrieben: Die neuen Kriege sind nicht militärisch sondern wirtschaftlich. Es wurde zum geflügelten Wort, angesichts des neuen Krieges von einem der Kulturen und Religionen zu sprechen. Ein leicht dahingesagtes Wort, das schwer wiegt. Und zwei grobe Missverständnisse zur - unzutreffenden - Wirklichkeitsbeschreibung macht. Erstens geht der Terror von arabischen Ländern nicht deswegen aus, weil sie islamisch sind, sondern weil die Lebensverhältnisse, politisch und ökonomisch, ungerecht sind. Als Verursacher gelten, ebenfalls politisch und ökonomisch, die USA.

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Zweitens wird Krieg stets religiös verbrämt. Salopp, journalistisch formuliert: Niemand geht für eine Wasserleitung in den Tod. Oder um es mit Eibl-Eibesfeldt auszudrücken: „Bei der Durchsetzung der

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Großgruppenethik spielt die Berufung auf gottgesetzte Normen eine große Rolle." Das sieht übrigens auch Irans Präsident Khatami so, denn er meinte vorige Woche bei einem Dialog der Religionen in Wien, Religion und Gott seien von der Politik für Kriege missbraucht worden.

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Damit sind wir bei der Theologie in Zeiten des Krieges und ich behaupte zweierlei:

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  1. Wo es die Theologie nicht gibt, wo also Religion und Kirche nicht aus sich selbst heraus auf die Höhe der Zeit gebracht werden (Islam, Judentum), einer in dieser Hinsicht fortschrittlosen Gesellschaft also, fehlt sie bitter.
  2. Wo es die Theologie gibt, wo sie Religion und Kirche einigermaßen auf die Höhe der Zeit gebracht hat (Christentum), also in fortschrittlichen Gesellschaften, hat sie sich erschöpft.
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Man kann sich dazu wahrscheinlich nicht äußern, ohne einer Religion oder ihren Gläubigen wegen und/oder mit grober Vereinfachung Unrecht zu tun. Keine der monotheistischen Religionen ist in sich so einheitlich, dass sie in einer Einschätzung eine faire Beurteilung erführe. Ich bleibe bei meiner Linie, wonach die einzige zulässige Verallgemeinerung lautet, Verallgemeinerungen sind unzulässig, bleibe aber auch bei meinen Thesen. Die werden auch nicht widerlegt durch den bekannten Umstand, dass der Islam Gesellschaften mit einer kulturellen und zivilisatorischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Hochblüte hervorgebracht hat. Bezeichnenderweise (u.a.) in Spanien zu Beginn des zweiten Jahrtausends - und vor allem unter Bedingungen religiöser Toleranz, die übrigens nur funktionierten, weil es eine nach Religionsgruppen aufgeteilte Wirtschaft gab.

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Worin besteht der Fortschritt, der hilft, Ordnung zu schaffen ohne Waffen?

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  • In der Trennung von privat und öffentlich, von religiös und politisch, von Staat und Kirche. Ihr diesbezügliches Tagebuch hat die Christenheit mit Blut geschrieben, mit fremdem und mit eigenem. Aber die Lektion wirkt. Der Einzelne hat Würde als Person und ist nicht nur Bestandteil einer Gemeinschaft. Und mit dem Einzelnen sind nicht nur Männer sondern auch Frauen gemeint. Der Einzelne hat zwar innerhalb der Gemeinschaft, derer er für das Überleben bedarf, wenig Wahlfreiheit sondern eher die Pflicht, eine arbeitsteilige Aufgabe zu übernehmen, aber die Gemeinschaft hat kein Recht, vom Einzelnen eine Haltung oder ein Verhalten in einer Sache einzufordern, deren Betreiben für das Überleben der Gemeinschaft ohnedies nicht von Bedeutung ist.
  • Als nächstes bedarf es der Begründungspflichtigkeit und Schriftlichkeit von Regeln, ebenso ihrer Überprüfbarkeit und Änderungsmöglichkeit. Dazu kommen Verrechtlichung der Beziehung zwischen einzelnen sowie der Gemeinschaft und dem Einzelnen sowie staatliche Gewaltenteilung, schließlich das demokratische Prinzip des Wechsels der Machtträger und des Mehrheitsprinzips als Organisations- und nicht als Wahrheitskategorie.
  • Sie sehen, wo wir landen: Bei der Erklärung der Menschenrechte, bei der Demokratie, bei der EU-Charta, bei den Verfassungen aufgeklärter, demokratischer Staaten, bei liberalen, pluralistischen Gesellschaften, bei Regeln, bei Verträgen, bei herrschaftsfreien Lebensbedingungen, bei der Balance aus Freiheit und Verantwortung
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Dort, wo man nicht so weit ist, hätte die jeweilige Theologie einiges zu leisten. Theologen, die schon so weit sind, könnten behilflich sein, ganz ohne Waffen Ordnung zu schaffen, indem sie dazu beitragen, jenen Krieg der Kulturen und Religionen zu vermeiden, der tatsächlich im Gange ist. Nämlich jenem

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  • zwischen aufgeklärten, multi-kulturellen Zivilisationen und vormodernen, religiösen Fanatismus,
  • zwischen Primat des Individuums oder jenem der Masse,
  • zwischen einem Leben in Zeit (Westen) und Raum (Islam),
  • zwischen Religionen (Weltanschauungen) mit einem pazifistischen oder einem militanten Kerngehalt.
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In diesen Spannungsfeldern liegt ein Sprengsatz. Er ist zu entschärfen. Dazu bedarf es des Gespräches. Anknüpfungspunkte und Themen gäbe es, zumindest aus der Sicht des Laien, wohl auch für Theologen genug. Denn gemessen daran, was man für Fortschritt halten darf, und gemessen an der Notwendigkeit des Gespräches zwischen den monotheistischen Religion - welches Klarheit über die Positionen voraussetzt - muss man eben einige Erfahrungen und Haltungen an- und aussprechen.

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Wenn die drei monotheistischen Religionen jeweils von einem Gott sprechen, dann meinen offensichtlich denselben, auch wenn er sich ihnen gegenüber offenbar so unterschiedlich geäußert hat, dass über die Auslegung seines Wortes ziemliche Auffassungsunterschiede entstehen konnten.

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Verschiedene Menschheitstraditionen kennen die Goldene Regel, was bedeutet, dass unterschiedliche Menschen zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten zu gleichen Einsichten gelangen.

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Die vier Grundnormen (nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, nicht Unzucht treiben) finden sich, so der Theologe Küng, in den meisten Religionen dieser Welt. Wenn es den Religionen vorrangig darum ginge, den Menschen zum rechten Verhalten zu bewegen, dann kann man angesichts des gleichen Ziels gegenseitige Missionierung umgehend einstellen.

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Das überlieferte jeweilige Schrifttum ist vor dem historischen Hintergrund seiner Entstehung zu sehen und nicht buchstabengetreu auf eine anders gelagerte Wirklichkeit zu übertragen. Mythen sind Mythen und Naturwissenschaft ist Naturwissenschaft - und an der Schnittstelle sollten Gerechte und Berufene arbeiten.

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Der Blick auf die christlichen Gesellschaften kann deren und andere Geistliche schon erschrecken, denn die Säkularisierung ist der Preis für die Modernisierung, wie Paul Zulehner die bestimmende These der religionssoziologischen Debatte beschreibt. Die Säkularisierung als Entkirchlichung öffentlichen und privaten Lebens hat, so Zulehner, damit zu tun, dass die Moderne in Europa gegen eine religiös-kirchliche Vormoderne antrat und dort auf Widerstand traf.

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Aber daraus liesse sich ja lernen: Da die Geschichte ein offenes Verfahren ist kann sie (bzw. die Gegenwarts-Bewältigungnur und Zukunfts-Gestaltung) nur einer offenen Gesellschaft gelingen. Wer aber Religion geradezu zwingend als geschlossenes System versteht und betreibt, muss sich zurücknehmen, muss daher Totalitarität ablehnen und die Dualität von Staat und Kirche bejahen. So viel an Dialektik sollte überall verfügbar sein. Wenn nicht, kommt es zu Folgen, von denen wir im doppelten Sinn wirklich genug haben.

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Damit zu uns, wo sich die Theologie erschöpft zu haben scheint. Was gegenwärtig als Schwäche erscheinen mag, ist Resultat starker, historischer Leistungen.

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Unsere Gesellschaft ist in einem guten Sinne säkularisiert. Von der Krankenkasse über Hilfsorganisationen aller Art, von der Entschädigungspflicht bei Enteignungen bis zur Steuerpflicht des Einzelnen, vom Wahlrecht bis zur Förderung von Minderheiten sowie Sorgfalts-, Sorge- und Unterhaltspflichten - die Grundpfeiler christlicher Sozialethik (Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit) haben sich durchgesetzt, sind Gesetz. Das ist eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Denn auch die im Dezember 2000 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte „Charta der Grundrechte der Europäischen Union" kann man als positiv-rechtliche, auf Gottes-Rekurs verzichtende und auf Bürgerrechte abstellende Verdichtung der 1963 gegebenen Enzyklika „Pacem in terris" von Johannes XXIII. betrachten.

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Und man läge, der Textvergleich macht sicher, richtig.

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Pacem In Terris betont Personalität und Würde des Menschen, Unversehrtheit des Leibes, das Recht auf Leben und Lebensunterhalt, die moralischen und kulturellen Rechte, das Recht auf Arbeit, auf Aus- und Einwanderung, bekräftigt die gleichen Recht von Mann und Frau. Und unter den 172 Absätzen finden sich natürlich auch jene, wonacht die Streitigkeiten unter den Völkern nicht mit Waffengewalt sondern mit Verhandlungen und Verträgen beizulegen sind.

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Ähnlich, weniger umfangreich, weniger fundiert, weniger weit gefaßt, die Charta über die Grundrechte der Europäischen Union. Auch sie betont Würde und Freiheit des Menschen, das Recht auf Leben, Unversehrtheit, Arbeit, Versammlung, politische Willensbildung etc.

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Dennoch ergibt sich, von außen betrachtet, für unsere hiesige Gegenwart ein bemerkenswerter Befund:

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Der Erfolg der Theologie, konkret des Christentums, der Kirche und ihrer anbahnenden Versöhnung mit Aufklärung und Moderne, sind Ursache ihrer gegenwärtigen Krise:

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  • Die neuen Bewegungen, vor allem die Friedens- und die Umweltbewegung, kommen inhaltlich und organisatorisch ohne Kirchlichkeit und Theologie aus, selbst wenn sie sich ihrer Prinzipien (Gewaltfreiheit) und Formen (Märsche) bedienen und in vor-säkularisierten, vormodernen Gesellschaften klar als religiöse Erneuerungsbewegungen interpretiert worden wären.
  • Die neuen Antworten auf die alten eschatologischen Fragen werden weniger von Kirche und Theologie erwartet, sondern von anderen Quellen der Spiritualität, obwohl mit der Größe und Schwere eines Unglücks der Ruf nach Gott und der Bedarf an Geistlichen sehr stark werden (wie die Katastrophen von Galtür und Kaprun in jüngerer Zeit zeigten).
  • Die letzten Bastionen insbesondere hinsichtlich der Sexualmoral gelten als unhaltbar.
  • Die Theologie muss darum kämpfen, ihrer Stimme in einer von ihr zentral zu betreibenden Sache (gerechtigkeit) in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft noch Gehör zu verschaffen.
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Ein Jammer: Ausgerechnet in Zeiten des Krieges scheint die Theologie unter Druck und in die Defensive zu geraten.

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Ob es sich um eine dialektische Wechselwirkung handelt, vermag ich nicht abzuhandeln. Ich möchte nur noch den Befund etwas erläutern und um den Versuch von Schlussfolgerungen erweitern.

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Zu den neuen Bewegungen:

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Die Friedensbewegung, wie sie in Europa und in den USA in den siebziger und auch noch achtziger Jahren breite Aktivität und Wirksamkeit entfaltete, verdankt sich in ihrem Selbstverständnis weniger einer Gottes- als vielmehr einer Kriegs- und Aufrüstungserfahrung. Den Friedensnobelpreis 1997 erhielt die Internet-basierte Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen.

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Die Umweltbewegung, die Partei der Grünen, Organisationen wie Greenpeace und WWF sind ein wichtiges ökologisches Korrektiv geworden, ohne Franz von Assisi im Wappen zu führen.

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Eine Umfrage der Edelman PR Group unter 800 Meinungsführern in USA, GB, F und D zeigte, dass NGO's in den USA großes, in Europa größeres Vertrauen genießen als Regierung und Wirtschaft. In Zahlen: In Frankreich vertrauen 65 % den NGOs, 56 % der Wirtschaft, 33 % den Medien und 29 % der Regierung. Ähnlich in Deutschland: 44 % vertrauen in NGOs, 40 % in Medien, 28 % der Wirtschaft, 27 % der Regierung.

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Zur Kirche:

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Ein nach wie vor hoher Anteil der Österreicher glaubt an Gott, aber weniger als die Hälfte von ihnen geht regelmäßig in die Kirche. Es sei, so Zulehner bezugnehmend auf die europäische Wertestudie, eine Respiritualisierung festzustellen, allerdings seien die „Religionskomponisten" die jeweils stärkste Gruppe in den Bevölkerungen. Und im Institutionen-Vertrauen liegt die Kirche - je nach Umfrage, für Österreich Lifestyle-Studie - hinter dem Bildungswesen, der Polizei, den Gerichten, Ämtern und Parlamenten.

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Im einzelnen:

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Auf die Frage nach dem Vertrauen in die Institutionen antworten 62 % mit Polizei (Spitzenwert), gefolgt von Gerichtswesen, Bundespräsident, Ämter/Behörden, Bundesheer, Parlament, Regierung und Gewerkschaft; an 9. Stelle folgt die Kirche (28 %), dann folgen Massenmedien und Parteien.

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Auf die Frage, welche Einrichtung in Österreich über die größte Macht verfüge, antworten wiederum 62 % mit Polizei, gefolgt von Gerichtswesen, Bundespräsient, Ämter/Behörden, Bundesheer, Parlament, Regierung und Gewerkschaft, an 9. Stelle wiederum, mit dem gleichen Prozentsatz (28%) die Kriche, dann folgen Massenmedien (wie zuvor 21 %) und Parteien (15 %).

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(Quelle: IFES/Fessel *Gfk Institut, 1997)

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Zur Sexualmoral:

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Der Heilige Vater wird wohl unbestritten als moralisches Weltgewissen verstanden, aber in der Wahrnehmung der meisten Laien sind dessen Aussagen zur Sexualmoral dominierend. Aussagen also, die sich in den Augen der Postmaterialisten auf ein Gebiet beziehen, welches der Autonomie der Person zugeordnet wird. Die Ablehnung von Verhütungsmitteln und die Haltung gegenüber geschiedenen Wiederverheirateten gilt, gelinge gesagt, den meisten Zeitgenossen nicht mehr als zeitgemäß. Zur Position der Theologie:

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Theologie und Kirche sind gleichzusetzen und müssen, das zeigen alle Umfragen, um Vertrauen in sie als Institution werben, also:

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sich den neuen Fragen stellen, was sie tun (siehe etwa Aussagen zur Sterbehilfe oder die Stellungnahme der Theologischen Fakultäten zur Stammzellforschung);

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sich neue Wege an die Öffentlichkeit bahnen, also mit jenen kooperieren, die ihnen die Herrschaft über die Alltags-Liturgie und die verbreiteten Bilder aus der Hand genommen haben, nämlich den Massenmedien; dazu - nebenbei, aber der Hauptsache - dienlich zwei Anmerkungen: Niklas Luhmann verdanken wir die Einsicht, dass die binären Codierungen unserer gesellschaftlichen Subsysteme nicht mehr zusammenpassen (o - 1 heißt in der Politik Machtgewinn oder Machtverlust? In der Wirtschaft: bringt es Geld, kostet es Geld? In der Wissenschaft: Ist es wahr oder nicht, ist veri- bzw. falsifizierbar oder nicht? Im Journalismus: Ist eine G'schicht oder nicht?);

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sich dort einklinken, wo moralisch-ethisch fundiertes Handeln in einer globalisierten Welt mit internet-basierter Kommunikationstechnologie stattfindet (siehe etwa aktuell die via www verbreiteten Aufrufe gegen die drohende Steinigung von Safya Husseini Tungar-Tudu in Nigeria). Der Fairneß und Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass das erwähnte Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre an der dortigen katholischen Universität abgehalten wurde und mit einem Aufruf lateinamerikanischer Bischöfe begann, die klar und deutlich Mißstände kritisierten und gerechtigkeit einforderten.

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Sich im Gespräch der Religionen engagieren. In der Erklärung „Nostra aetate", aus dem 2. Vatikanischen Konzil erwachsen und von Paul VI. im Oktober 1965 abgegeben, bietet dafür eine taugliche Grundlage und Anknüpfungspunkte.

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Zusammenfassend:

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Wir befinden uns in Zeiten des Krieges. Wahrscheinlich befanden wir uns immer in Zeiten des Krieges. Und in allen hat Religion eine Rolle gespielt. Für heute gilt: Die Länder der Welt sind zusammengerückt. Die Kriege haben politische, wirtschaftliche, ethnische oder religiöse Ursachen. Eine der indirekten Folgen ist Migration, verstärkt durch Bevölkerungswachstum. Da die Konflikte nicht beigelegt sind, bleibt weitere Kriegsgefahr.

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Da Massenmedien im nachrichtlichen Teil vor allem das Regel- und Normwidrige bringen und unsere Wirklichkeitswahrnehmung stark massenmedial bestimmt ist, leben wir unter dem Eindruck ständiger Gewalt. Da die Darstellung von Agression und Gewalt offenbar unterhalt, liefert nach dem Nachrichtenwesen auch die Unterhaltungsindustrie die entsprechende Stoffe. Und im Internet sind bereits Spiele herunterladbar, mit denen sich Bin Laden virtuell jagen und lynchen lässt.

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Die Kriege haben neue Gesichter. Den Terror, die Selbstmordkommandos, Putschversuche, Feldzüge gegen Abtrünnige, Übergriffe und lokale Scharmützel zwischen religiösen Gruppen. Plünderungs- und Straßenfeldzüge arbeits- und aussichtsloser Jugendlicher und Minderheiten, Massenelend in Slums und rund um die Müllhalden von Agglomerationen insbesondere in asiatischen Ländern.

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Frieden wollen heißt Ordnung schaffen. Soll sie halten, ohne Waffen. Also mit Worten. Das bedeutet nicht, einem Agressor die Faust zu streicheln, sondern inkludiert sehr wohl, ihm mit angemessenen Mitteln die Waffe aus der Hand zu nehmen. Dies und das weitere durch Vermittlung, Mediation. Durch Vereinbarung über Gesprächsregeln. Durch Herstellung von fairen Lebenschancen und gerechten Lebens- und Wirtschaftsbedingungen.

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Ordnung heißt, geregelte Beziehungen zwischen den Menschen. Das bedeutet, Verständnis voneinander und füreinander zu schaffen. Mit Breite und Tiefe der Kommunikation steigt die Wahrscheinlichkeit der Feststellung übereinstimmender Werte oder zumindest einer Sittlichkeit jenseits gemeinsamer Wertvorstellungen, wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer hoffte und wie es Kommunitaristen, allen voran Amitai Etzioni vertraten. Wir müssen mehr voneinander wissen, wenn plötzlich jemand neben uns lebt, von dessen Denken und Fühlen wir nichts verstehen. Und in einer globalisierten Welt bedeutet „neben uns" auch der Kontinent neben uns. Der Terror hat den Rest der Welt wieder in die US-Wohnzimmer zurückgebombt, denn via TV konnte die US-Bürger kaum mehr etwas davon erfahren, weil die großen Networks die Anzahl der Korrespondenten sowie Anzahl und Länge der Auslandsbeiträge in den neunziger Jahren - mit dem Ende der Bipolarität - auf nahezu ein Drittel verringerten.

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Theologie heißt, Gott denken. Sich zu fragen, ob man das, was man gerade mit oder gegenüber einem anderen macht, auch täte, wenn es Gott wäre. Und ob man das, was man gerade tut, täte, wäre es das Letzte, was man tut.

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Gott denken, heißt Gott definieren, heißt Gottes Wort eine Stimme geben. Diese Stimme sollten nur jene haben, die sonst nichts an Verfügungsmitteln haben, also jene Theologie, die bewußt auf weltliche Macht und auf Zweckbestimmung des Menschen unter kurzfristigen und direkten Nützlichkeitserwägungen verzichtet und dem Missbrauch des Wortes Gottes daher umso glaubwürdiger entgegentreten kann.

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Es muss gelingen, in jeder einzelnen Persönlichkeit eine Festigkeit und Selbstsicherheit zu stiften, die es ihr erlaubt, den Anders-Artigen, den Anders-Denken und Anders-Gläubigen nicht als Widerlegung der eigenen Person, als Verneinung des eigenen Lebens zu empfinden. Sondern als Alternative zum Eigenen, die es zu prüfen gilt, um daraus bereichert oder gefestigt hervorzugehen.

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Globalisierung ist nämlich auch eine Chance für die Religionen und für den Frieden. Denn wer nach dem diesjährigen Friedensgebet, zum der Heilige Vater nach Assisi einlud, im Namen Gottes tötet, der lügt, sündigt, tut Unrecht.

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In dem Ausmaß, in dem es auf dieser Welt keinen gerechten und keinen sehnsuchtsfreien Zustand im Leben geben kann, ist dies alles in allem eine spannende, wichtige und wohl auch endlose Aufgabe für die Theologie.

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In dem Ausmaß, in dem es sich um eine Theologie handelt, die im Einzelnen die Schöpfung Gottes erkennt, kann und muss sie bei sich selbst beginnen und beim Nächsten fortsetzen, Ordnung zu schaffen ohne Waffen.

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Claus Reitan ist Chefredakteur der Tiroler Tageszeitung

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