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Niewiadomski Jozef: Erlösung im Cyberspace
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Erlösung im Cyberspace

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Das Thema kann unterschiedlich angegangen werden. Das Spectrum der Fragen erstreckt sich auf die Analyse der Erlösungsmythen der Cyberpunk- Culture, die Untersuchung der WEB-Präsenz von religiösen Gemeinschaften und die Kritik der extremsten Hoffnungen auf eine qualitative Verbesserung menschlichen Lebens und Zusammenlebens durch die "Digitaltechnik". Gerade im letzten Kontext wird die Unverzichtbarkeit des traditionellen christlichen Glaubens und dessen ekklesialer Bindung deutlich. Weil die Kirche als Glaubensgemeinschaft diese fundamentale Heilserfahrung mit Gott in Verbindung bringt, befreit sie ihre Gläubigen von zerstörerischen Heilsutopien und macht sie uch fähig, den Cyberspace als das wahrzunehmen, was er ist: Ein leerer Kommunikationsraum, in dem sich die Ängste und Hoffnungen der Menschen, deren Taten und Untaten widerspiegeln, potenzieren und auf die Menschen - befreiend, aber auch erniedrigend - wirken. So trägt sie zur Entmythologisierung des Cyberspace im Licht! e ihres Glaubens an die Erlösung durch Gott bei. Erst auf diesem Hintegrund werden die notwendigen Optionen im theologischen Denken der Gegenwart verständlich: Being catholic versus being digital; Inkarnation versus digitale Exkarnation; Sakramentale Transformation versus religiöse Unmittelbarkeit.
Publiziert in:Bulletin ET (13) 2002, 153-168.
Datum:2003-03-13

Inhalt

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1. Narrative Annäherung: Die Cyberwelt des postmodernen "Jakobs"

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Es ist eine archaische Geschichte. Und wie dies halt bei allen archaischen Geschichten der Fall ist, erzählt sie etwas, was sich irgendwann abgespielt hat, was aber sich immer und immer wieder ereignen kann. Vor uns erscheint ein pubertierender Durchschnittsjugendlicher unserer Zeit - Jakob ist sein Name! Er hat gerade Krach mit seinem Vater und seinem älteren Bruder gehabt, fühlt sich zurückgesetzt und gedemütigt. Deswegen flieht er auch, und er flieht in sein Zimmer. Er schließt die Tür ab, loggt sich in seinen Heimcomputer ein und surft stundenlang im Internet. Dort kann er seine „profundior et universalior appetitio" (Gaudium et spes 9), seinen Appetit aufs Leben reizen und befriedigen; dort hat er auch seine "virtual community", seine wahre Gemeinschaft - man könnte fast sagen, seine Kirche - gefunden: Menschen, die ihn anscheinend verstehen und ihm auch Geborgenheit schenken. Ganz im Gegenteil zu der "wirklichen Welt" seiner Familie, seiner Schule und seiner Freunde auf der "wirklichen" Straße. Stundenlang saugt er die faszinierenden Bilder auf; Bilder vom geglückten Leben: in dem scheinbar alles, aber gar alles möglich zu sein scheint, in dem die Raumgrenzen keine Relevanz haben und auch die Zeit anscheinend keine Rolle spielt, als sei die Frage der "tota simul et perfecta possessio" (1) nur noch eine Angelegenheit der besseren Prozessoren. Schlussendlich übermannt ihn aber doch die Müdigkeit: eine jener angenehmen Grenzsituationen aus der alten, wirklichen und nicht virtuellen Welt. Er schläft ein ... und er fängt an zu träumen: Den Traum von "Heavens Gate"!Wie sehen nun seine mysteria tremenda et fascinosa aus? Welche Götter bevölkern seinen Himmel? Und wie sehen die Treppen dorthin und auch die Engel aus, die da hinauf- und hinabsteigen und ihn in diesen seinen Himmel einladen und ihm auch die Wege der Erfüllung seiner appetitio zeigen?

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Erlebt unser Jakob in seinem Traum bloß die Dramatisierung jener Erlösungsmythen, die seit der Geburt von Cyberpunk-Fiction - seit Hans Bethke, William Gibson, Bruce Sterling u.a. (2) - immer und immer wieder nach demselben Schema beschrieben, inzwischen auch verfilmt (3) und zu unzähligen Computerspielen transformiert werden? Wird er also in seinem Traum ins Irgendwann des 21. Jahrhunderts versetzt, von den zerfallenden Stadtlandschaften und ihren proletarisierten Bewohnern einerseits und den übermächtigen, längst die interplanetarische Herrschaft ausübenden Konzernen anderseits erschreckt? Kann er die Katharsis durch die Identifikation mit den gottgleichen Helden des Cyberspace, die als Befreier auftreten, erleben und mit ihnen den schwerelosen Heroismus zelebrieren? (4)

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Oder sind seine Träume bereits einen Schritt mutiger, weil auf die qualitative Veränderung des Menschen und auf post-biologische Lebensformen ausgerichtet? Wird in seinem Traum seine appetitio modernisiert, von den lästigen - allzu fleischlichen - Konnotationen befreit? Berührt ihn in seinem Traum gar der "Digitalfinger Gottes" (5) und schafft ihn zu einem neuen Menschen, dem androgynen Cyborg, so ganz nach den Maßstäben einer Donna Haraway (6)

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Die Cyberträume unseres vor seinem Computer schlafenden postmodernen Jakob verweisen ja auf die vielfältigen Lebensformen der Gegenwart, in denen sich die extremsten Utopien mit modernsten Techniken verbinden und deren Spektrum von der Cyberarbeit über die Cyberkirchen bis hin zum Cybersex reicht. Sie alle haben eigentlich nur eines gemeinsam: ihren Ort. Der Cyberspace scheint der privilegierte Ort der Gegenwart zu sein, an dem die an sich - weil vom Begriff her - ortlose Utopia geerdet und so paradox es klingen mag, zum Greifen nahe verortet wurde.

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1.1 Cyberspace: Zwischenruf zum Begriff

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Dabei ist der Begriff alles andere als eindeutig. Diese seine Unschärfe ist aber sein bester Qualitätsausweis, gerade im Kontext religiöser und religionskritischer Diskurse. Aufgrund der Beobachtung der an den Videospielautomaten hängenden Jugendlichen kam der Science-Fiction-Autor William Gibson auf die Idee, dass diese während des Spiels den Glauben an einen hinter dem Schirm existierenden Raum entwickeln: einen Raum, den die Spiele selbst projizieren. In seinem Roman "Neuromancer" nannte er 1984 einen solchen Raum: "Cyberspace". Und was sollte das sein? Im "Neuromancer" wurde er folgendermaßen beschrieben: "Eine konsensuelle Halluzination, täglich erlebt von Milliarden von Berechtigten in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe... Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen in den Nicht-Raum des Verstandes gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt." (7) John Perry Barlow übernahm den Ausdruck von Gibson für die Bezeichnung der Verknüpfung von Computertechnologie und Telekommunikation und verwandelte damit den Ort der elektronischen Kommunikation, den man auch als einen die Erde umkreisenden Wirrwarr von Hightech-Kabeln beschreiben könnte, zu einem regelrecht sakralen Raum. (8) Er beharrte ja geradezu darauf, dass der Begriff eine qualitativ neue Welt bezeichnet. Der Begriff wurde zum richtigen Platzhalter für alle möglichen Inhalte und Gehalte: zu einem utopischen Topos (einem ortlosen Ort)! Jeder Internetsurfer findet sich genauso an diesem Ort wieder, wenn er im Datenraum navigiert, wie sich auch Denker und Träumer dort wiederfinden, wenn sie über die Chancen der Grenzüberschreitung durch die Schnittstelle "Mensch-Computer" nachdenken. Die Elementarstufe solcher Erfahrungen beschrieb Howard Rheingold zu Beginn der 90er-Jahre: "Stellen wir uns ein Bildsystem vor, das uns völlig umschließt und dreidimensionale Bilder erzeugt, mit scheinbar vorhandenen Objekten, die wir anfassen und manipulieren sowie mit Händen und Fingern spüren können. Stellen wir uns weiter vor, wir würden in diese künstliche Welt eintauchen und sie aktiv durchstreifen, statt sie nur von einem festen Standpunkt aus auf einer flachen Leinwand, einem Fernsehschirm oder einem Computerdisplay, anzustarren. Denken wir uns, wir wären zugleich die Schöpfer und Konsumenten unserer künstlichen Erfahrung. Wir selbst können die Welt, die wir sehen, hören und fühlen, sie mittels einer Geste oder eines Wortes umgestalten. Das ist keine Fiktion. Die head-mounted displays (HMDs), die dreidimensionalen Computerbilder, die Eingabe- und Ausgabe-Einheiten und die Computermodelle, aus denen das VR-System besteht, ermöglicht es uns heute, in eine künstliche Welt einzutauchen...." (9) - wie in einen Traum, möchte man fast ergänzen!

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Kehren wir also zurück zu unserem schlafenden Jakob, dem postmodernen Individuum, dem der Cyberspace zu seiner Lebensumgebung und seinem Zufluchtsort wurde: einem regelrechten Topos, den er selbst in seinen Träumen nicht verlassen will oder auch nicht verlassen kann. Wem ist er denn bei seinem Ausriss aus der Gemeinschaft seines Vaters und seines Bruders bei seinen Reisen im Cyberspace begegnet?

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1.2 Cyberspace: nur ein Begegnungsraum?

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Auch wenn der Traum von der "tota simul et perfecta possessio" in der Wirklichkeit noch einige Zeit auf sich warten lässt, überbietet das WEB - als Erfahrungsraum - all das, was die Menschheit in ihrer Geschichte bisher gekannt hat. Mindestens in quantitativer Hinsicht! Aber auch dessen "metaphysische Qualität" ist bereits zur Genüge diskutiert worden: zeit- und ortlos; überall und nirgends!(10)

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Ubiquität und Synchronität charakterisieren die Lebensumgebung unseres postmodernen Jakobs. Im existentiellen Vollzug des Surfens nimmt er allerdings diese seine Heimat durchaus auf eine physische - man könnte fast sagen handgreifliche - Art und Weise wahr. Und was bedeutet dies konkret?

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Der Cyberspace begegnet unserem Jakob, er widerfährt ihm - und dies als ein Kommunikationsraum gefüllt mit Kommunikationspartnern und Modellen: den Göttern oder auch den Engeln, die ihm einen Himmel anzeigen und ihn auf die Treppe dorthin hinweisen, ihm den Weg zur Erfüllung seiner appetitio anzeigen. Die schon in der wirklichen Welt vorhandene Vielfalt wird in der virtuellen noch verstärkt; dem Pluralismus von Lebenshaltungen wird scheinbar keine Grenze gesetzt.

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So gesehen stellt der "Cyberspace" keinen Bruch zum Raum der medial strukturierten Öffentlichkeit dar, sondern deren konsequente Fortsetzung und Überbietung. Denn auch der mediale Pluralismus besteht ja nicht nur in der Anhäufung von Modellen, die unseren Jakob faszinieren und ihn auf den Weg einer so oder anders verstandenen Befreiung oder gar Erlösung mitnehmen; schon der medial strukturierte Raum der Öffentlichkeit legt ihm im Grunde dasselbe Lebensideal nahe, das auch die Virtual Reality verspricht. Die soteriologische Botschaft vom Ideal einer frei zu wählenden Bricollage-Identität, massiert systematisch unser aller Ohren und Augen und auch den Gaumen (ganz gemäß der McLuhan'schen Tradition der Medien als Massageinstitutionen (11)): Du kannst entscheiden! Du sollst entscheiden! Wie es dir passt! Self-Fashioning, Bricollage-Identität, Synkretismus: Die medial strukturierte Öffentlichkeit prägt also die Vorstellungskraft unseres Jakobs nicht nur durch die Anhäufung von Inhalten und Modellen, sondern vor allem durch das Vertrauen, dass die Lebenshaltungen problemlos nach Belieben ausgewählt und den individuellen Bedürfnissen entsprechend auch transformiert werden können. (12)

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Der durch den Krach mit seinen „real partners" verstörte - und deshalb auch stückweise unerlöste - Jakob taucht also ein in den Cyberspace und wird dort auch fündig. Den Pubertierenden werden vermutlich zuerst die dramatisierten Erlösungsmythen in Atem halten, ihn so von der realen Konfliktsituation ablenken, oder ihm gar eine Gegenwelt - nach bester gnostischer Tradition - präsentieren: "mundus contra mundum" und "nihil contra Deum nisi Deus ipse".

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1.3 Drei Varianten zum Thema - ein und dasselbe Muster

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Das Thema: „Erlösung im Cyberspace" kann auf unterschiedliche Art und Weise angegangen werden; so verschieden aber die Zugänge auch sein mögen, so ähnlich werden die Ergebnisse sein. Zum einen kann es verstanden werden als Analyse von Erlösungsmythen, vor allem jener, die in der Cyberpunk-Literatur beschrieben und in unzähligen Filmen und Computerspielen dramatisiert werden. Der starke Dualismus, gnostische - leibfeindliche - Tendenzen und die Fokussierung der eigentlichen Befreiung auf die Zerstörung der Feinde bilden die Matrix dieser Ästhetik.

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Zum anderen weist aber unser Thema auch auf die WEB-Präsenz von religiösen Gruppen und Gemeinschaften hin, von den „alten" und vertrauten Kirchen, vor allem aber auch von den neuen „churches". Natürlich buhlen all diese Seiten um die Aufmerksamkeit unseres Jakobs, versuchen ihn mit mehr oder weniger gelungenen Aufmachungen auf ihre Seite zu locken und ihn an ihrem Erlösungsglauben teilhaben zu lassen. Versprechen die meisten der neuen „churches" (wie z.B. „Church of All Worlds": http://www.caw.org/) ein sofortiges Eintauchen in die spirituelle Tiefe: „mythology and experience" hic et nunc, so verweisen die meisten „alten" Kirchen und Religionen auf ihre wirkliche - nicht virtuelle - Gemeinde. Sie wollen unseren Jakob irgendwann doch von seinem Platz weglocken und ihn in Verbindung bringen mit der „alten Gemeinde". In seinem Buch „The Soul of Cyberspace" geht Jeff Zaleski (13) auf die Reise zu den Homepages großer Religionsgemeinschaften. Er startet bei der virtuellen Diözese Partenia. Nach der Amtsenthebung des Bischofs Gaillot als Bischof von Evreux, wurde dieser zum Bischof von Partenia - einer nicht mehr existierenden Diözese in Algerien - ernannt. Eine virtuelle Diözese also? Der kreative und streitbare Bischof machte aus der Not eine Tugend, verlegte am 13. Januar 1996 - ein Jahr nach seiner Amtsenthebung - das Territorium seiner Diözese in den Cyberspace. Partenia ist nun eine der religiösen Seiten im Web (14) mit vielen Links - unter anderem auch zur Webpage des Vatikans. Regelmäßig publiziert Bischof Gaillot dort seine Hirtenbriefe. Das Bild der Diözese (eine Wüstenlandschaft) scheint dieser einen Ort zuzuweisen und tut es doch nicht. Existiert diese Diözese wirklich? Sie hat weder eine Kathedrale, noch eine sich regelmäßig versammelnde Gemeinde und schon gar nicht eine sakramentale Praxis, außer man begreift die Virtual Community als Gemeinde und die Rituale derselben als Sakramente. Ergibt das aber einen Sinn? Angeregt durch solche Fragen geht Zaleski auf die Reise. Er besucht wirkliche religiöse Gemeinden und Amtsträger in Amerika und zwar jene, die überproportional im WEB präsent sind, um sie nach dem Selbstverständnis ihres Tuns und Glaubens zu befragen. Von der ultra-orthodoxen jüdischen Chabad-Lubavitch-Gemeinde über einige islamischen Gebetsstätten im Westen, die im WEB ihre Gebetszeiten angeben, einige christlich motivierte Seiten bis hin zu einem buddhistischen Kloster und einem hinduistischen Zentrum: (15) Fast überall findet er dasselbe Motiv. Die Webseiten sollen der Information dienen, zur Unterstützung - auch in finanzieller Hinsicht - der Gemeinden motivieren und weltweit den Sympathisanten und Neugierigen einen Kontakt ermöglichen. Als Orte einer expliziten spirituellen Erfahrung werden die Webseiten - zumindest von den Betreibern - nicht betrachtet: Ein Benediktiner- Mönch antwortet auf die Frage ob Gott sich im Cyberspace offenbare: "Mir jedenfalls nicht, Gott sei Dank!"  (16)

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Stundenlang saugte unser Jakob die faszinierenden Bilder bei den Cyberpunks, den Virtual Churches, oder auch bei den traditionellen Religionen und Kirchen auf. Welchen Himmel träumt er denn jetzt? Auf jeden Fall einen auf ihn selber zugeschnittenen und synkretistischen. Die Versatzstücke aller möglichen Traditionen und Religionen gaukeln ihm eine Realität im Traum vor, die er kaum von der normalen zu unterscheiden vermag, denn auch das hat der Traum mit dem Cyberspace gemeinsam: Alle institutionellen Vorbedingungen des Freiheitserlebnisses treten radikal in den Hintergrund. Konsequent durchdacht und auf dieser Linie beantwortet, landet das Thema: „Erlösung im Cyberspace" beim emphatischen Postulat: Jedem Jakob seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seine eigene Leiter dorthin als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio" Wenn dies aber so ist, wie kann aus dem pubertierenden Jakob ein politisch mündiger Bürger werden?

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Wir kommen zur dritten und letzten Variante unserer Thematik: einer Variante, die von den extremsten Utopien getragen wird. Es geht dabei um Hoffnungen auf eine qualitative Verbesserung menschlichen Lebens und Zusammenlebens durch die "Digitaltechnik": Diese soll die ethische Anstrengung und das religiöse Hoffen und Glauben quasi ersetzen.

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1.4 Die radikalsten Utopien

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Die Hoffnung auf eine qualitative Veränderung des menschlichen Lebens im und durch den Cyberspace kann doppelt verstanden werden: Die Verbesserung der Kommunikation durch die Verknüpfung von Computertechnologie und Telekommunikation hat faktisch eine neuartige weltweite Kommunikationsgemeinschaft mit sich gebracht. Leitet man den Begriff Religion von Bindung ab, so wird man in unserer Gegenwart eine weltweite "electronica quasi catholica religio" in diesem Kontext wahrnehmen: eine fast alles umfassende elektronische Bindung. Cyberspace absorbiert ja Kulturen, Religionen und Individuen zu einer neuen Einheit. Überall auf der Welt und zu jeder Zeit scheint sie Grenzen und Barrieren zu überwinden. Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen werden - und dies unabhängig davon, ob sie dies subjektiv wollen oder nicht - zu ein und derselben globalen Gemeinschaft vereinigt. Howard Rheingold (17) konnte vor knapp zehn Jahren aus diesem Faktum sein an Sicherheit grenzendes Vertrauen ableiten, Cyberspace sei der entscheidende Durchbruch zur Ausbildung weltweiter Demokratie und Nikolas Negroponte, Professor für Medientechnologie am Massachusetts Institute of Technology sang sein Lied auf die neue Epoche: "Während die Politiker mit der Last der Geschichte zu kämpfen haben, wächst eine neue Generation heran. Durch die Digitalkultur ist sie von den alten Vorurteilen befreit. Die territorialen Grenzen, die die Basis für Freundschaft, Zusammenarbeit, Spiel und Nachbarschaft festlegten, sind den Jugendlichen keine Grenzen mehr. So kann die Digitaltechnik eine natürliche Kraft sein, die die Menschen zu einer größeren Weltharmonie bringt." "Being digital" ist der Titel seines Werkes (18). Und der Fokus: Wenn schon nicht Erlösung im Cyberspace, so doch mindestens Befreiung von den alten Zwängen!

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Ambivalenter geht es kaum! Je nachdem von welcher Seite man die Sache betrachtet, sieht sie anders aus. Die Ambivalenz grenzt an das lutherische simul iustus et peccator. Der postmoderne Mensch im Cyberspace: simul liber et captivus. Die Faszination des Cyberspace liegt ja gerade darin, dass dort die Institutionen, aber auch die Mechanismen des Marktes und selbst die mediale Vernetzung sämtlicher Kommunikationsräume bloß als Möglichkeitsbedingen der Freiheitserfahrung des Einzelnen erscheinen. Die geradezu galoppierende theoretische Auflösung des Subjektes und die radikale systemtheoretische Funktionalisierung der Wirklichkeit gehen in dieser "electronica religio" Hand in Hand mit dem emphatischen Glauben an die Möglichkeit der radikalsten Verwirklichung der individuellen Freiheitsträume. Der Mensch darf sich als Schöpfer seiner eigener Welt erleben. So radikal ist der Wandel aber doch nicht. Wie ich schon erwähnt habe, verlängert - meiner Meinung nach - der Cyberspace den Raum der medial strukturierten Öffentlichkeit, transformiert ihn aber kaum! Schon der medial vermittelte Pluralismus von individuellen Lebenshaltungen, Religionen und Kulturen schafft ja im Alltag automatisch Bastelmentalität und Self-Fashioning.

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Dem emphatischen Vertrauen, dass Lebensgeschichten und Traditionen im Cyberspace nach Belieben vom Individuum gewählt und gestaltet, dass Kulturen und Religionen weltweit wie "Hamburger" konsumiert werden können, korrespondiert aber die Kontrasterfahrung des Alltags: Zunehmend mehr Menschen definieren sich in unserer Weltgesellschaft als Opfer. Und dies auch wohl deswegen, weil sie bereits unter die Räder der neuen religio gekommen sind und den schmerzhaften Unterschied zwischen den "Hamburger-Konsumenten" mit und jenen ohne "Geld" entdeckten.(19)

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Die Spannung zwischen dem programmatischen Vertrauen und der faktisch gemachten Erfahrung wird im medial strukturierten Raum der Öffentlichkeit durch eine rituell gepflegte Anschuldigungsmentalität und die Jagd auf Sündenböcke bewältigt. Auch im Cyberspace stellt diese Strategie momentan das Universalrezept für die Bewältigung von Krisen und Zusammenbrüchen dar. Menschen finden zusammen, aber auf Kosten der Sündenböcke!

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So paradox es auch klingen mag: Auf der Ebene der Alltagserfahrung schafft der Cyberspace zwar aufgrund der weltumspannenden Mechanismen und Kommunikationsnetze eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit, zugleich atomisiert und vereinsamt er aber auch deren Mitglieder. Unsere Erlösungsformel müsste demnach ergänzt werden: „Jedem Jakob seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel, seine eigene Leiter dorthin und auch seine eigenen Sündenböcke als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio" - wobei die Sündenböcke noch am ehesten gemeinsam sind!

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An diesem noch ungelösten Paradox setzen nun sowohl die Hoffnungen als auch die technischen Versuche an, die die Schnittstelle Mensch-Computer in Richtung einer technisch bewirkten Symbiose der Menschheit radikaler zu denken wagen. Bereits Marshall McLuhan sah im Computer die Verlängerung des menschlichen Nervensystems (20); die bereits im Alltag vertrauten Formen der Cyborgisierung des menschlichen Körpers regen nun an, auf die Herstellung einer Verbindung zwischen den Nervenbahnen und dem Computer zu hoffen. Das Wissenspotenzial des Cyberspace wird schon jetzt in der utopischen Literatur in Anlehnung an Marshall McLuhan als "Noosphäre" bezeichnet (ein Ausdruck von P. Teilhard de Chardin im Kontext seiner mystischen Vision der evolutionären Entwicklung der Menschheit in Christus: Kosmogenese wird durch die Biogenese abgelöst, diese durch Anthropogenese und Noogenese: die Noosphäre als "denkende Schicht" der Menschheit. Der Prozess konvergiert im Punkt Omega: Dieser offenbart letztendlich den ganzen Prozess als Christogenese) (21)

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Die utopische Literatur spricht sehr viel von der Vernetzung menschlicher Gehirne und des unmittelbaren Austausches von Gehirn zu Gehirn. Der Glaube, durch den direkten Zugang zum Nervensystem werde die Basis für einen Datenfluss geschaffen, der dem Menschen eine Realität erzeugt, die er von der normalen - sinnlich wahrgenommenen - nicht zu unterscheiden vermag, führt auch den postmodernen Jakob auf die nächste Stufe des Erlösungsglaubens. Losgelöst von den leiblich-materiellen Bedingungen sollen er selber und die gesamte Menschheit zu mehr Harmonie finden?  (22)

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So wissenschaftlich und technophil die Utopien auch sein können, im Grunde unterscheiden sie sich nicht von den gnostisch strukturierten Erlösungsmythen. Der der Kultur der neuen Medien innewohnende gnostische Zug, der die Unerlöstheit des Menschen allzu direkt mit seiner Leiblichkeit in Verbindung bringt, führt die Visionäre der Erlösung im Cyberspace wiederum auf Abwege. Nicht in der Leiblichkeit liegt jedoch das Grundproblem der Unerlöstheit der Menschheit(23), sondern im menschlichen Begehren selbst. Weil die Träume von der "Erlösung im Cyberspace" diese fundamentale Wahrheit verdrängen, enden sie konsequent in einem Albtraum.

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Die Visionen des postbiologischen Zeitalters enden oft in der Vorstellung der elektronisch garantierten Unsterblichkeit(24) Es ist der Gedanke einer linearen Todesüberwindung, einer digitalen Konservation der bisherigen mentalen Existenz. (25) Deswegen frieren auch die sog. Kryoniker ihre Körper ein - oder nur ihren Kopf. Im Glauben, dass die Medizin eines Tages die Krankheit, an der sie zu Grunde gingen, heilen kann und sie sich das Bewusstseinspotenzial ihres Hirns in einen geheilten - oder gar neuen cyborgisierten - Körper transferieren lassen. (26) Was solche Träume jedoch radikal verdrängen ist die Tatsache, dass eine solche Verewigung menschlichen Bewusstseinspotenzials, auch dessen Unerlöstheit, das Bewusstsein der Rivalität, des Neides und der Konkurrenz, verewigt. Hans Moravec's Visionen von den Robotern, die zuerst über einfache Formen des Bewusstseins verfügen, dann aber immer perfekter sein werden, zeigen dieses Bild der fraglichen Erlösung an. Die "vom schwerfälligen Schritt der biologischen Evolution" befreiten "Kinder unseres Geistes" werden sich den fundamentalen Herausforderungen des ganzen Universums stellen. Doch wird sich das in der Telerobotik jetzt vorherrschende Verhältnis von Herr und Knecht irgendwann umkehren. Die "Kinder unseres Geistes" werden ihr eigenes Glück suchen, "während wir, die alten Eltern, leise vergehen werden".  (27) Denn - und das sagt Hans Moravec leider nicht - wir können uns die Kinder unseres Geistes nur in der Analogie zu uns selbst denken. Trotz aller technischen Perfektion werden wir ihnen auch die mimetisch-konfliktive Struktur unseres Begehrens vererben.(28)

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Die extremste Utopie der Gegenwart auf die Erlösung im Cyberspace endet dort, wo die utopischen Träume oft schon geendet haben: beim Alptraum von der Selbstabschaffung der Menschheit. "Why the future doesn't need us. Our most powerful 21st-century technologies - robotics, genetic engineering, and nanotech - are threatening to make humans an endangered species". (29)

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Soll deswegen der Kommunikationsraum Cyberspace diffamiert und die Vision des apokalyptischen Untergangs heraufbeschworen werden?

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2. Zwischenruf: Zur Ambivalenz des utopischen Denkens

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Der Theologe wird zuerst auf den Vater des moderne utopischen Denkens, auf Thomas Morus blicken und von ihm Gelassenheit lernen. Thomas Morus war ein tiefgläubiger Katholik. Er erwartete sich sein Heil und die Erlösung von seinem Gott. Und gerade deswegen konnte er seinen utopischen Traktat über den seiner Meinung nach perfekten Staat schreiben. Utopisches Denken verbunden mit einem bodenständigen Glauben an die Erlösung der Menschen durch Gott machte aus ihm einen Staatsmann ersten Ranges: einen Staatsmann mit sittlichem Ernst, aber auch mit der nötigen Gelassenheit. Die Loslösung des utopischen Denkens von dem - dieses Denken tragenden - Glauben bringt in der Neuzeit eine Verkrampfung mit sich! Die Heilsutopie wird zum Programm, das nun verwirklicht werden muss. Die realisierte Utopie endet ja allzu oft in der Barbarei!

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Diese Wahrheit könnte unser postmoderner Jakob von seinem biblischen Namenskollegen lernen. Unter Umständen trifft er ihn auch in seinem Traum vor dem Computer, reist diesmal in die Vergangenheit zurück, um ihn, den träumenden biblischen Jakob, zu treffen. Und wenn nicht, so wird er ihn sicher in einer dramatischen Inszenierung auf einer evangelikalen Homepage im Cyberspace treffen und sich sogar mit ihm anfreunden könen, verbindet die beide doch ein ähnliches Geschick. Sie erinnern sich: Auch der biblische Jakob hatte Krach mit seinem Vater und seinem Bruder, auch er fühlte sich zurückgesetzt und gedemütigt. Auch er floh, wenn auch nicht in fremde Länder. Auch er schlief, wenn auch im Wald, und auch er träumte seinen Traum vom offenen Himmel, einen Traum, der jahrhundertelang ganze Generationen von Menschen faszinierte. Jakob hatte einen Traum: "Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der Herr stand oben und sprach: "Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich unaufhaltsam ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und ich bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe." Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: "Wirklich, der Herr ist an diesem Ort...". Er stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf ... und er machte ein Gelübde: "Wenn Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich eingeschlagen habe, behütet, wenn er mir Brot zum Essen und Kleider zum Anziehen gibt, wenn ich wohlbehalten heimkehre in das Haus meines Vaters und der Herr sich mir als Gott erweist, dann soll der Stein, den ich als Steinmal aufgestellt habe, ein Gotteshaus werden ..." (Gen 28,12-22).

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Jakob betete, sprach aber nicht vom Wissenspotenzial und auch nicht von der Zerstörung seiner Feinde. Er sprach vom Brot, von den Kleidern und der Rückkehr in das Haus seines Vaters. Das Heil oder auch die Erlösung, die er sich von seinem Gott erwartete, hatte also etwas mit seinen primären Bedürfnissen zu tun: "Miteinander essen" und "trinken" und auch "schlafen" kommt mit der Zeit dazu. Die Konfrontation der extremsten Utopien des 21. Jahrhunderts mit diesen angeblich banalen Lebensvollzügen und "banalen Glaubenswahrheiten", die dem Glauben an die erlösende Wirkung Gottes entspringen, ist durchaus von Bedeutung, wenn unsere Zivilisation nicht in der Barbarei enden soll. Und an welchem Punkt soll die Konfrontation des postmodernen Jakobs mit seinem biblischen Kollegen ansetzen?

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3. Der postmoderne Jakob in der Konfrontation mit dem biblischen/kirchlichen Jakob

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Seit eh und je sucht die Theologie in der Grundstruktur menschlicher Begierde den Anknüpfungspunkt für die Thematisierung menschlicher Religiosität. Die „profundior et universalior appetitio" der Menschen und die Ausrichtung derselben auf etwas anderes, oder aber auf einen anderen hin, werden als Bedingung der Möglichkeit von Religiosität, als Grund der Erfahrung des Mangels (und des Unerlöstseins), als Ursache der Konflikte und auch als Quelle der Versöhnung erkannt und anerkannt. An der Art und Weise, wie sie dieses Begehren erkennen, einschätzen und dessen Befriedigung ermöglichen und glauben, lassen sich Religionen und Pseudoreligionen unterscheiden. Jene Götter, die ihren Begierden ausgeliefert waren, im Grunde auch selbstbezogen sind und deswegen dem Neid und der Konkurrenz verfallen, galten der Tradition als falsche Götter (Götter, die unmöglich die Erlösung schenken können; aus diesem Grund galt der jüdisch-christlichen Tradition auch die Selbsterlösung als trügerische Hoffnung).

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Der biblische Jakob steht nun in unserem Kontext für das ganze Volk Israel (Jakob heißt ja nichts anderes als Israel), für seine Propheten, die vermutlich die radikalste Religionskritik in der Menschheitsgeschichte geübt haben. Es war dies nicht eine Religionskritik von einem neutralen Beobachtungsposten aus. Vom Standpunkt des Glaubens an einen transzendenten Gott entlarvten sie den Götzendienst und zwar immer dann, wenn Menschen sich dem Werk ihrer Hände ausgeliefert haben!

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Aus dem Geist dieser Tradition heraus würde der biblische Jakob den Glauben unserer Zeit, die Hoffnung auf qualitative Verbesserung menschlichen Lebens und Zusammenlebens durch den Cyberspace als die faszinierendste Form des Götzendienstes entlarven und dies seinem postmodernen Kollegen vor Augen führen. Er würde ihm zeigen, wie dieser Glaube nur jene Logik konsequent fortsetzt, von der bereits unsere Öffentlichkeit geprägt ist, sofern sie durch neoliberale Marktmechanismen und kommerzielle Medienrationalität strukturiert bleibt. Als Werk menschlicher Hände, menschlichen Geistes und menschlicher Interaktionen erhebt diese Öffentlichkeit einen totalitären Anspruch auf ihre eigenen Schöpfer: "Extra mercatum et media nulla vita nec salus!"(30) Sie täuscht auch die Menschen, indem sie diese zu Göttern macht: zu selbstbezogenen Göttern! Norbert Bolz sprach in diesem Zusammenhang von der Selbstbegegnung des Begehrens im Ritual des Marktes. (31) Gilt nicht dasselber von den neuen Medien? Die Theoretiker des Cyberspace weisen ja immer wieder darauf hin, dass der Raum leer ist und dass an der Schnittstelle von Mensch und Computer unsere Sinnesorgane nur sich selbst wahrnehmen. Selbstbegegnung des Begehrens im Ritual des Eintauchens in den Cyberspace also? Und was ist das Ergebnis?

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Der unsichtbaren Hand des Marktes ähnlich transformiert auch der unsichtbare Cyberspace das menschliche Begehren nicht, sondern er wird von diesem manipuliert. Er macht die Menschen zu den Schöpfern ihres Lebens, ja zu Göttern selbst. Aber gerade dadurch stachelt er die Rivalität an, produziert Opfer, die es zu verschleiern gilt, vor allem aber wird dadurch ständig neu das Bewusstsein der Knappheit erzeugt. Gerade der billige Cyberspace schuf das teuerste - weil das knappste - Produkt der Menschheit: die Aufmerksamkeit. Was nützt die Veredelung der profundior et universalior appetitio durch göttliche Prädikate, wenn es keine Anbeter mehr gibt! Das letzte Wort hat in diesem Prozess nicht die erlösende Wirkung des Cyberspace, sondern das menschliche Begehren selbst: Nicht die Befriedigung der Götter steht also auf dem Programm des Erlösungskultes, sondern deren Betrug. Das mysterium fascinosum verwandelt sich doch zu einem mysterium tremendum. Die „Selbstbegegnung des Begehrens im Ritual des Eintauchens in den Cyberspace" wird der biblische Jakob - der sich inzwischen auch noch einige Kollegen dazu geholt hat: die beiden Jakobs aus dem Apostelkreis Jesu, den Jakob, der für Jerusalem steht und den, der für Santiago de Compostella verantwortlich zeichnet; die christlichen Jakobs also - mit dem Bild des sich selbst verschlingenden Wolfs ergänzen. Schon in der Tragödie "Troilus und Cressida" von William Shakespeare wird nämlich die Logik des entfesselten Begehrens illusionsfrei folgendermaßen beschrieben: „Und diese Gier, ein Wolf, der alle Welt frißt ..., Müsste sich die ganze Welt zur Beute machen, Und fräß sich selbst dann." (32)

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Erst dem Hintergrund solcher Grundsatzüberlegungen würde der biblisch/kirchliche Jakob seinem postmodernen Kollegen von der Beziehung Gottes zur Menschheit erzählen. Nur diese Erzählung kann verständlich machen, warum mit dem pubertierenden Jugendlichen, der irgendwann in der archaischen Zeit von zu Hause ausgerissen ist, ein ganzes Volk und letztendlich auch die Kirche assoziiert werden kann. (33) Analog zum Cyberspace stellen nämlich sowohl das biblische Volk Israel als auch die Kirche zuerst einmal einen Erfahrungsraum dar. Dieser entsteht allerdings durch den Glauben an die erlösende Wirkung eines transzendenten Gottes. Dieser Gott ruft zwar jeden beim Namen an, doch er beruft nicht isolierte Individuen, die je einzeln eingeloggt sind und nachträglich zu einem sozialen Gebilde geschlossen werden(34) Seine Beziehung hat von vorne herein etwas mit der profundior et universalior appetitio der Menschen zu tun, ist auf diese ausgerichtet und sprengt deren Selbstbezug. Sie "materialisiert" sich in den vielen Beziehungen der Menschen untereinander, nicht nur im gemeinsamen Essen und Trinken und auch Schlafen, sondern auch in den - oft mit Blut und Tränen geschriebenen - Lebensgeschichten, den kontextuellen Traditionen und den allzu ambivalenten Zeichen. Deswegen sind in dieser Geschichte auch die Institutionen mehr als eine bloß unsichtbare Bedingung der Ermöglichung individueller Freiheitserfahrungen. Die Beziehung dieses Gottes inkarniert sich schlussendlich in seinem Sohn: Das Wort wird Fleisch, doch nicht ein isoliertes Individuum. "Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen verbunden" (Gaudium et spes 22): Sein zentrales Anliegen war auch eine unmittelbare Sammlung von Menschen, eine Sammlung, in der das Berühren und Liebkosen, Umarmen und Hereinholen von Ausgestoßenen an der Tagesordnung standen, dessen irdische Lebensgeschichte aber in der Sackgasse einer Sammlung gegen ihn endete. Die Menschen bemächtigten sich seines Leibes, folterten diesen und töteten ihn. Weil Gott in Christus in die Schicksalsgemeinschaft einer durch Endlichkeit, Versagen und Schuld gekennzeichneten Welt eingetreten und ihr sogar zum Opfer gefallen ist, sein Leib gefoltert und getötet wurde, Gott diese Sackgassen durch die Auferweckung seines Sohnes überwunden hat (der Auferweckte erscheint mit dem versöhnenden: "Friede sei mit Euch", er speist und trinkt mit den Menschen und trägt an seinem Leib die Spuren seines Leidens), entsteht die Kirche als Erfahrungsraum. (35) Sie entsteht aus dem Glauben der Menschen an den alle Grenzen aller Schicksalsgemeinschaften überwindenden universalen Heilswillen Gottes.

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Weil die Kirche als Glaubensgemeinschaft diese fundamentale Heilserfahrung mit Gott in Verbindung bringt, befreit sie ihre Gläubigen von zerstörerischen Heilsutopien und macht sie uch fähig, den Cyberspace als das wahrzunehmen, was er ist: Ein leerer Kommunikationsraum, in dem sich die Ängste und Hoffnungen der Menschen, deren Taten und Untaten widerspiegeln, potenzieren und auf die Menschen - befreiend, aber auch erniedrigend - wirken. So trägt sie zur Entmythologisierung des Cyberspace im Lichte ihres Glaubens an die Erlösung durch Gott bei und zwar nach dem Motto: "Lange vor dem Cyberspace war Gott schon da und er wird auch nach ihm da sein". Der „Selbstbegegnung des Begehrens im Ritual des Eintauchens in den Cyberspace" zwecks Befreiung und Erlösung setzt diese Glaubensgemeinschaft also nichts anderes als ihren Glauben an jenen Gott, der - obwohl über alle Begierden und Leidenschaften erhaben -, sich frei in die Welt menschlicher „profundior et universalior appetitio" begibt, sich den Leidenschaften ausliefert, zum Opfer von Rivalität und Neid wird, um durch diesen Prozess hindurch die wahre Erfüllung des Begehrens zu zeigen und die Menschen aus der Falle der Begierde zu erlösen. Durch diesen seinen Weg der Entäußerung überlistet dieser Gott das menschliche Begehren! Erst der befreite Mensch wird fähig, beim Eintauchen in den Cyberspace auch anderen Menschen zu begegnen; erst der in die Gemeinschaft von Menschen eingebundene Mensch wird fähig, Worte und Bilder und auch die Dramatisierungen menschlicher Interaktionen im Cyberspace als Zeichen und nur als Zeichen wahrzunehmen, die auf lebendige Menschen aus Fleisch und Blut verweisen und auch auf eine Begegnung mit ihnen drängen.

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Die Konfrontation unserer Jakobs könnte nun beendet sein, wenn der postmoderne seinen biblischen/kirchlichen Kollegen nicht noch vor eine Herausforderung stellen würde: Was macht ihr aber mit dem Faktum, dass dieser Euer Glaube, der zwar zugegebenermaßen entideologisierend wirkt, im Cyberspace doch nur einer von vielen bleibt; ihr wisst ja eh: Synkretismus, Bastelmentalität, Patchwork? Und außerdem ist da noch die übermächtige Kraft der Faszination des Formalen!

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4. Bewusste Entscheidungen des biblischen/kirchlichen Jakobs zur Frage seiner Präsenz im Cyberspace

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Solche Anfragen provozieren immer wieder eine doppelte Versuchung. Entweder diffamiert die kirchliche Öffentlichkeit den Cyberspace und die digitale Gemeinschaft, eskampiert aus der Gegenwart, oder aber sie versucht, diesen Raum als Ganzes zu "verchristlichen". Die Versuchung des Konstantinismus, die Sehnsucht nach der Identität der gesellschaftlichen, kirchlichen und auch göttlichen Wege stellt auch im Zeitalter des Cyberspace eine Dauergefahr dar. Die vielen neuen "churches" im WEB dokumentieren auch diesen "Cyber-Konstantinismus" indem sie das Netzwerk divinisieren und ihm eine mystische Realität zuschreiben identifizieren sie das "Reich des Cyberspace" mit dem "Reich Gottes". Die "alten" Religionen scheinen aber doch das richtige Gespür zu haben, wenn sie dem primären Erfahrungsraum des Glaubens im Kontext ihrer Gemeinde einen Ort zuweisen und von dort aus die Chancen, aber auch die Grenzen des Cyberspace aufzeigen. (36) So bleiben sie auf jeden Fall Zeitgenossen, tauchen - wie Gott selber - in diese Welt hinein und setzen sich ihr auch aus. Sie werden u.U. der Eigengesetzlichkeit der Mechanismen auch zum Opfer fallen und dieses ihr Geschick analog zur Passion Christi deuten. Auf diese Art und Weise werden sie aus ihrem Erfahrungsraum jene Aspekte des Lebens in den Cyberspace hineinbringen, die dort unter die Räder kommen.

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Das Thema der Präsenz „alter" Kirchen im Cyberspace ist also zum Schluss noch einmal - und diesmal auch konkreter - zu behandeln. (37) Die Zahl der kirchlichen Homepages wächst ja kontinuierlich. Die liturgischen Vollzüge werden im Internet übertragen - analog zur Übertragung von liturgischen Feiern im Fernsehen -, es wurden neue Formen von Internet-Gottesdiensten erfunden, Internet-Seelsorge stellt inzwischen sogar das Thema der Lehre an den Theologischen Fakultäten dar. Die Träume könnten aber weiterreichen. „Wozu eine Auferstehungsfeier abhalten, wenn man die Menschen an den Ereignissen unmittelbar teilhaben lassen kann? Wozu den Menschen von Mohammed und Christus erzählen, wenn sie ihnen, zumindest in ihrer Verkörperung, selbst begegnen und mit ihnen reden können? ... Man könnte auch religiöse Feiern in virtuellen Kirchen, Moscheen, Synagogen oder Tempeln abhalten. Es wäre nicht schwierig, den Eindruck einer großen Gemeinde von Gläubigen zu vermitteln, und es wäre möglich, eine interaktive Messe mit virtuellem Abendmahl, virtueller Predigt und virtuellem Glaubensbekenntnis zu halten." (38) Kann man dies wirklich? Ich möchte schließen, indem ich auf drei fundamentale Spannungsfelder (für die christliche Tradition) hinweise.

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4.1Being catholic versus being digital

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Aus dem Glauben an den allumfassenden Heilswillen Gottes, der niemanden ausschließt und vor keiner Dimension menschlichen Lebens haltmacht, müssen die christlichen Kirchen kreativen Widerstand leisten gegen den Zwang zur Formalisierung und gegen den Trend zur Ausgrenzung von Lebensaspekten, die sich nicht formalisieren lassen. (39)

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Ein Aspekt der Katholizität ist von besonderer Brisanz, gerade im Zeitalter der Konjunktur der Freireligionen. (40) Als weltweite, multikulturell verwurzelte Organisation mit (eigener) globaler Infrastruktur, mit dem Papst als Repräsentanten, der verbindlich in ihrem Namen zu sprechen vermag, mit Millionen von Menschen, die im Grunde dasselbe glauben, leben und auch tun, bleibt die Katholische Kirche das wichtigste Sozialgebilde der Gegenwart, das sich den verschleiernden Träumen der Cyberreligiosität nicht unterwirft, schon durch ihre institutionelle Verfasstheit auf die faktische Zerrissenheit der Welt aufmerksam macht und den Opfern globalisierender Erlösungsträume auch Stimme verleiht. Insofern bleibt sie weltweit der mächtigste Gegner für die anonymen Kräfte und Mechanismen der "unsichtbaren Hand des Marktes", als auch für die sichtbaren, aber verschleiernden Bilder der neuen Medien. (41)

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4.2 Inkarnation versus digitale Exkarnation

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John Perry Barlow hat das opake Verhältnis zwischen dem Cyberspace und der christlichen Tradition auf eine Kurzformel gebracht. Im Johannes-Evangelium steht: Das Wort wurde Fleisch. „Was wir gerade tun, ist die Rückverwandlung des Fleisches ins Wort. Das Fleisch wird zu einer immateriellen Substanz und dies durch nicht spirituelle Techniken, oder mindestens durch nicht explizit spirituelle Techniken." (42)

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Den Leib zu retten aus dem Cyberspace: Das wird das große spirituelle Programm christlicher Kirchen im 21. Jahrhundert sein. Und so paradox es klingen mag, gerade der Katholizismus mit seiner sakramententheologischen Struktur, die die konkrete Leiblichkeit (determiniert durch das Alter) als eine conditio sine qua non für das sakramentale Geschehen verlangt, könnte sich als die leibfreundlichste Form der Religiosität in der Epoche des Cyberspace erweisen. Gesundheit und Krankheit, Alterungsprozess, Hunger, Durst und konkrete Sexualität, schlussendlich der auferweckte Christus (in seiner verklärten Leiblichkeit): All das sind nicht nur äußere Bedingungen der sakramentalen Kommunikation. Die Leiblichkeit der Kommunikationspartner ist für die sakramentale Wandlung unverzichtbar

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4.3 Sakramentale Transformation versus religiöse Unmittelbarkeit

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Kann es dann im Cyberspace virtuelle Predigten, virtuelle Glaubensbekenntnisse, vor allem aber virtuelle Eucharistie geben? Das Thema ist zuerst analog zur Frage nach der Präsenz „alter" Kirchen im Fernsehen zu sehen. Mag die augenblickliche, weltweite Faszination eines Papstgottesdienstes im Fernsehen der Eigendynamik dieses Mediums zu verdanken sein, so bleibt trotzdem dessen theologische Dignität an die alltägliche Liturgie der Kirche gebunden. Weil die Kirche tagtäglich Eucharistie feiert und in dieser Feier sich die Geschichte Gottes mit den Menschen verdichtet (mit all den Dimensionen eines signum rememorativum, demonstrativum et prognosticum), kann das medial übertragene Hochamt ein Zeichen sein: ein Zeichen, das auf die versammelte feiernde Gemeinde verweist. Diese verweist aber wiederum auf etwas anderes, ist selber auch nur ein signum: ein Zeichen, das der „res" - der Gnade von einem Anderen her bedarf.

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Die immer perfekter werdenden Interaktionsmöglichkeiten einer Internetgemeinde und die mit den damit verbundenen Heilsutopien zwingen nun die Frage auf, ob diese „altkirchliche" Logik nicht von Gestern ist. Die Eigengesetzlichkeit des Mediums wird diesen Schluss jedenfalls nahelegen, scheint doch der Cyberspace alles - aber auch alles - zu absorbieren, was sich an Kommunikation unter den Menschen ereignet. Er nährt sich ja aus dem utopischen Traum einer „tota simul et perfecta possessio" oder gar „constructio" der Wirklichkeit: dem Traum der religiösen Unmittelbarkeit. Weil die Kirche eine solche fundamentale Heilserfahrung mit Gott (und nicht mit sich selber) in Verbindung bringt, muss sie in ihren liturgischen Vollzügen die Aspekte der Unverfügbarkeit und der Vermittlung wahren. Was soll das bedeuten?

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Der zum Materialismus neigenden religiösen Kultur des Mittelalters und der dadurch provozierten Versuchung zur religiösen Unmittelbarkeit („Hostie als Leitmedium": Jochen Hörisch) hielt Martin Luther prophetisch die Unverfügbarkeit des göttlichen Wortes entgegen: Nur im verkündenden Wort der Schrift wird mir der göttliche Heilswille zuteil. Er band zwar den Glauben an die Präsenz des Wortes Gottes an die - gerade gedruckte, europaweit verfügbare - Bibel, löste ihn aber auch wieder sofort davon ab, wenn er den Zuspruch dieses Wortes seitens eines anderen (also ein - damals nicht beliebig wiederholbares - Geschehen) für konstitutiv bei dieser Kommunikation mit Gott hielt. Weil das Wort Gottes vorgelesen, bezeugt und u.U. auch erlitten werden muss, war die gedruckte Bibel zwar ein Medium, aber auch nicht mehr.

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Die faszinierenden Möglichkeiten des Cyberspace fordern die Kirche bei ihrer Präsenz im Cyberspace zu einer ähnlichen Bindung und Loslösung auf. Sie produziert ja nicht die Heilserfahrung, kann also nicht zur Komplizin dieser modernsten electronica religio werden. Sie muss die alte Antwort glaubwürdig neu durchbuchstabieren. Und dies in einem kulturellen Umfeld, in dem die Menschen mit dem Göttlichen zunehmend nach dem Muster archaischer Mysterienreligionen verkehren möchten. Der Versuchung zum Eintauchen in den Bereich des Göttlichen, der Sucht zur Ekstase und dem Trend, der von der Religiosität eine unmittelbare Erfüllung der Sehnsüchte und Beseitigung der Ängste erwartet, damit auch das Medium mit Gott identifiziert, muss die Kirche verstärkt die Konturen der sakramentstheologischen Interaktion mit Gott in Erinnerung rufen. Sakramentales Handeln spricht zuerst bewusst von Schranken im Umgang mit der Transzendenz: mit den göttlichen und auch mit den dämonischen Es rückt also eine Rationalität in den Vordergrund, die vom Verweis auf etwas anderes hin lebt.(43) Diese kreative Spannung, die das Zeichen und die Sache doch nicht ganz identisch werden lassen, verlangt konstitutiv den Verweis auf die Geschichte und auf das Geschick eines Anderen (Jesus von Nazareth) und auch auf die konkret feiernden Menschen. So faszinierend auch das Erlebnis einer virtuellen Versammlung sein mag, sie wird höchstens ein Hinweis bleiben auf die leibhafte Versammlung von Menschen, die ihrerseits ein Sakrament der Einheit der Menschen mit Gott und der Menschen untereinander bleibt.(44)

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Anmerkungen:  

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 1. Mit dieser Formel beschrieb die mittelalterliche Theologie die Ewigkeit des Himmels. Zu der "archaischen" Geschichte und der Narrativität als Methode in der Theologie vgl. J. Niewiadomski, Der offene Himmel. Konturen eschatologischer Vorstellungskraft. In: Gott finden in allen Dingen. Theologie und Spiritualität. Hg. Von Ch. Kanzian. Thaur 1988, 100-114.

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2. H. Bethke, Cyberpunk 1983; W. Gibson, Neuromancer 1984 (dt. 1987), B. Sterling, Schismatrix, 1985, vgl. auch sein "Sachbuch": The Hacker Crackdown: Law And Disorder On The Electronic Frontier 1992.

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3. Vgl. Die "offizielle" Seite des Filmes: Matrix: http://whatisthematrix.warnerbros.com/

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4. Vgl. Ch. Wessely, Von Star Wars, Ultima und Doom. Mythologisch verschleierte Gewaltmechanismen im kommerziellen Film und in Computerspielen. Frankfurt a. M. 1997.

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5. Vgl. das Titelbild der Sondernummer von GEO (1/1995) zum Thema: "Cyberspace" unter dem Titel: "Das 21. Jahrhundert. Faszination Zukunft"; stilisiert am Fresco aus der Sixtina von Michelangelo erschafft dort ein Digitalfinger einen androgynen Menschen.

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6. J. Donna Haraway, A Cyborg Manifesto. In: Ders. Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. New York 1991.

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7. Gibson, Neuromancer. München 1987, 76 zit. nach: S. Bollmann, Einführung in den Cyberspace. In: Kursbuch Neue Medien. Hg. Von S. Bollmann. Reinbeck bei Hamburg 1998, 163f.

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8. Vgl. S. Bollmann, Einführung in den Cyberspace (s. Anm. 7) 164.

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9. H. Rheingold, Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbeck bei Hamburg 1995, 15.

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10. B. Debatin, Der digitale Gott: Das Internet als neue Heilsutopie. In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 51 (1999) 222-226; R. Esterbauer, Gott im Cyberspace? In: Cyberethik. Hg. von A. Kolb. Stuttgart 1998, 115-134.

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11. M. McLuhan, Q. Fiore, Das Medium ist Massage. Ulstein KunstBuch 36075, o.J.

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12. Zu der Konsequenz der Auflösung des Subjektes in diesem Zusammenhang vgl. S. Heine, Virtualität - Imagination - Epiphanie. Zur Phänomenologie religiöser Erfahrung in Medienzeitalter. In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 51 (1999) 246-264.

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13. J. Zaleski, The Soul of Cyberspace. How new technologies is changing our spiritual life. San Francisco 1997.

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14. http://www.partenia.com/

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15. Im Jahre 1997 waren an die 80 % der religiös motivierten Webseiten christlichen Ursprungs; Katholiken sind dabei unterrepräsentiert: Obwohl sie mehr als 55 % der Christen ausmachen, sind nur an die 25 % der Seiten katholisch motiviert (was nicht zuletzt durch den sozialen Status der ärmeren Katholiken zu erklären ist); nach Zaleski (s. Anm. 13) 100.

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16. Zaleski (s. Anm. 13) 119.

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17. H. Rheingold, Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Bonn 1994; ders. Die Zukunft der Demokratei und die vier Prinzipien der Computerkommunikation. In: Kursbuch Neue Medien (s. Anm. 7) 192-206.

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18. N. Negroponte, Being digital. New York 1995, 230.

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19. Vgl. die Definition von Cyberspace von Barlow: "Cyberspace ist, wo Ihr Geld ist" zit. nach: Kursbuch Neue Medien (s. Anm. 7) 85.

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20. Vgl. Marshal McLuhan, Understanding media. The Extension of Man. With a new introduction by Lewis H. Laphan. Cambridge Mass. 1994.

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21. 16 Zur TeilhardschenVision in diesem Zusammenhang, zur Rezeption derselben durch McLuhan und deren Präsenz im WEB vgl. Helmut Steiner, Evolution durch Technik. Teilhardsche Utopie im Web-Zeitalter. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der Kath. Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck 2000.

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22. Kritisch dazu: B. Guggenberger, Das digitale Nirvana. Vom Verlust der Wirklichkeit in der schönen neuen Online-Welt. Reinbek bei Hamburg 1999, 195-219.

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23. Vgl. J. Hörisch, Die Heilsversprechen der neuen Medien. In: Darstellung und Wahrnehmung. Hg. Von Thomas Klie. Münster 2000, 39-45, 44f.: "Die Gnosis hat sich nicht durchsetzen können. Vieles spricht dafür, dass sie mit den neuen Medien eine neue Chance bekommt. Denn die neuen Medien sind, rein technologisch betrachtet, rein, leicht und schwerelos. ... Die neuen Kommunikationsverhältnisse sind immateriell. Pixel sind weitgehend frei von Erdenschwere. ... Wir lösen uns zusehends vom Erdenrest. Ob wir damit auch erlöst sind, steht auf einem anderen Blatt."

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24. Vgl. M. Minsky: Jeder von uns wird in der Lage sein, "eine Sicherheitskopie von sich zu machen" und sich so "die Chance des ewigen Lebens" verschaffen, zit. nach: H. Buddemeier, Leben in künstlichen Welten. Cyberspace, Videoclips und das tägliche Fernsehen. Stuttgart 1993 110.

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25. Vgl. K. Müller, Spiritual digital. Theologische Provokationen durch die Cyber-Religion. In. Medien Mark Moral. Vom ganz wirklichen, fiktiven und virtuellen Leben. Hg. Von R. Jaobi. Freiburg 2001,117-122, 119.

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26. Vgl. Cyberzombies. Auferstehen von den Toten. In: G. S. Freyermuth, Cyberland. Eine Führung durch den High-TEch-Underground. Reinbeck bei Hamburg 1996,137-192..

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27. H. Moravec, Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence. Cambridge 1988. Zit. nach Buddemeier (s. Anm. 22) 109.

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28. Zur Frage des konfliktiven mimetischen Begehrens vgl. die Werke von R. Girard, Das Selbst und der Andere in der fiktionalen Realität. Thaur-Münster 1999; "Wenn all das beginnt. Ein Gespräch mit Michel Treguer. Thaur-Münster 1977.

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29. So betitelte Bill Joy seinen Aufsatz in der Cybercult-Zeitschrift: "Wired" April 2000. Übrigens: Joseph Weizenbaum hat das Buch: "Mind Children" von Moravec mit Hitlers: "Mein Kampf" verglichen; er spricht in diesem Zusammenhang von der Endlösung der Menschheitsfrage; nach Buddemeier (s. Anm. 22) 120 Anm. 62.

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30. Vgl. J. Niewiadomski, Extra media nulla salus? Zum Anspruch der Medienkultur. In: ThPQ 143 (1995) 227-233; ders. Moderne Götter, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie. Der evangelische Erzieher 51 (1999) 230-233; ders. Die betrogenen Götter. Religion und Wirtschaft im Zeitalter des Neuheidentums, in: Christlich Pädagogische Blätter 113 (2000)

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66-69.

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31. N. Bolz, D. Bosshart, KULT-Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorft 1995, 198.

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32. Zur Interpetation dieses Textes von Shakespeare im Kontext des entfesselten Neoliberalismus vgl. W. Palaver, Segen und Fluch der Konkurrenz. Die Globalisierung als sozialethische Herausforderung. In: actio catholica 42/1 (1998) 39-48, 41f.

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33. Vgl. dazu: J. Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur. Münster-Thaur 1999, v.a. 14-28; 47-77; 189-196.

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34. 21 Vgl. LG 9: Gott will die Menschen "nicht einzeln, unabhängig von allen wechselseitigen Verbindungen ...heiligen, retten..., sondern sie zu einem Volke machen" (DH 5122). Sowohl das Bild des Volkes Gottes, als auch das Bild des Leibes Christi und natürlich auch jenes der communio sind von ein und derselben antiindividualistischen Logik geprägt.

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35. Vgl. dazu: J. Niewiadomski, Global Village und Weltkirche, in: ThPQ 148 (2000) 25-32; ders. Kirchenerfahrung als dramatischer Prozess - Zur ekklesiologischen Dignität der Basisgemeinden, in: Hoffnungsträger Basisgemeinden. Das 10. Treffen der brasilianischen Gemeinden im Juli 2000. Berichte - Dokumente - Kommentare. Hg. von der Missionszentrale der Franziskaner e. V., Bonn 2000, 26-33.

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36. Vgl. Th. Böhm, Ein Netz, das trägt: Was Kirche und Internet einander "zu sagen" haben, in: KatBl 126 (2001), 167-172.

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37. Vgl. Die kritischen Bemerkungen von J. Jans, E -V A N G E L I Z A T I O N. A theological reflection on the relation between the internet and Christian faith, in diesem Heft der ET.

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38. B. Sherman, Ph. Judkins, Virtual Reality. Cyberspace - Computer kreieren synthetische Welten. München 1995, 206.

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39. Vgl. J. Niewiadomski. Herbergsuche (s. Anm. 33) 162-166.

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40. J. Hörisch (s. Anm. 23) 43 vertritt die These, dass die "neuen Medien immer protestantischer" werden. "Soll heißen: immer individualisierter".

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41. Mit seiner weltweiten Präsenz und der inhaltlichen Fokussierung seiner Verkündigung auf die Fragen der Menschenrechte und der sozialen gerechtigkeit hat Johannes Paul II. mehr zum sperrigen Erscheinungsbild des Katholizismus im global village beigetragen als alle seine Kritiker, die meistens der Logik der electronica religio verpflichtet bleiben.

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42. J. Perry Barlow in: Zaleski (s.Anm 13) 35.

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43. Von der Rolle der Theologie in diesem Zusammenhang spricht A. J. Bucher, Medialer Paradigmenwechel - eine Herausforderung an die Theologie (hier in dieser Nr. der ET). Weil durch den medialen Paradigmenwechsel Bildkonfigurationen unsere Weltwahrnehmung und Weltverständnis dominieren ist der Trend zur Dominanz des Mythologischen unübersehbar. Eine Offenbarungsreligion darf im Kontext dieser Herausforderung auf das Medium Schrift und die wissenschaftliche Reflexion nicht verzichten.

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44. Zur Eucharistie in diesem Kontext vgl. M. Scharer, J. Niewiadomski , Faszinierendes Geheimnis. Neue Zugänge zur Eucharistie in Familie, Schule und Gemeinde. Innsbruck-Mainz 1999.

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