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FSP-Tag: Wissenschaft und Freiheit – Universität Innsbruck
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FSP-Tag: Wissenschaft und Freiheit

In welchen Kontexten wird über Wissenschaftsfreiheit diskutiert; in welchen wird diese in Frage gestellt? Welche Ausschlussmechanismen, Machtstrukturen werden bedient oder hinterfragt, welche Ordnung wird damit (re-)produziert? Wer hat oder verlangt Deutungshoheit? Inwiefern lässt sich also an diesen Debatten die diskursive Verhandlung der Vorstellung von Wissenschaftsfreiheit ablesen?

19. Oktober 2022, 09:00-16:15
Künstlerhaus Büchsenhausen, Weiherburggasse 13, 6020 Innsbruck

Unter dem Schlagwort der „Cancel Culture“ werden seit einiger Zeit Angriffe auf das freiheitlichdemokratische Grundprinzip der Wissenschaftsfreiheit behauptet. Gemeint sind damit jedoch nicht staatliche Eingriffe in die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, wie es beispielsweise in Ungarn durch das 2019 von der rechtsnationalen Regierung Viktor Orbans beschlossene Akademie-Gesetz der Fall ist, durch das sich die Regierung weitreichenden Einfluss auf wissenschaftliche Einrichtungen sichert. Die im Kontext der „Cancel Culture“-Debatten formulierte Kritik richtet sich vielmehr auf eine von verschiedenen Akteur:innen konstatierte zunehmende Moralisierung und Politisierung der Wissenschaft, die zu ideologisch motivierten Einschränkungen in universitärer Forschung und Lehre führe (vgl. Özmen 2021). Empirisch gesehen lässt sich, abseits einzelner im europäischen Raum bekannt gewordenen Fälle, jedoch keine Zunahme von Einschränkungen oder gar Verletzungen der Freiheit der Wissenschaft im deutschen oder europäischen Wissenschaftsraum feststellen (vgl. ebd.). Dafür nehmen Essentialisierungen bzw. Verabsolutierungen von bestimmten sozialen Positionen in der öffentlichen Debatte zu (Villa 2017b). Dass Wissenschaft an freien oder privaten Einrichtungen wie auch an staatlichen Universitäten in Kontexten stattfindet, die stets innerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse stehen, ist unbestritten. Lange unhinterfragte Praktiken und ungleiche soziale Positionierungen in der Wissenschaft in Frage zu stellen, ist daher ein Wert kritischer Debatten, nicht ihre Achillesferse (vgl. Czollek/Kaszner 2021).

Welche Ausschlussmechanismen, Machtstrukturen werden bedient oder hinterfragt, welche Ordnung wird damit (re-)produziert? Wer hat oder verlangt Deutungshoheit? Über diese und weitere Fragen wollen wir im Rahmen dieses FSP-Tages am 19. Oktober 2022 im Künstlerhaus Büchsenhausen diskutieren.


09:00–09:10 Uhr | Grußworte der Vizerektorin für Forschung Ulrike Tanzer

09:10–09:30 Uhr | Begrüßung und Einführung von Silke Meyer

09:30–10:30 Uhr | "Umkämpfte Wissenschaft, komplizierte Freiheit" von Marie-Luisa Frick 

Der Vortrag setzt sich mit der Frage der Wissenschaftsfreiheit vor dem Hintergrund jüngster Debatten um ihre Gefährdung auseinander. Aus einer philosophischen Perspektive versucht er, zentrale Konfliktlinien zu rekonstruieren und ihren Ursprung in unterschiedlichen Verständnissen von Wissenschaft und Aufgaben der Wissenschaft herauszuarbeiten. Es wird die Position vertreten, dass der spezifische Wert der Wissenschaft in einer Demokratie sich nur dann realisieren kann, wenn dem Streben nach Erkenntnis ein Eigenwert zugeschrieben und Wissenschaft somit von ideologischen Indienstnahmen bewahrt wird. Die daraus sich ergebenen Implikationen für Wissenschaftsfreiheit und der mit ihr verbundenen Verantwortung werden nachgezeichnet und anhand der Unterscheidung von Kritik und Delegitimierung sowie einer Typologie verschiedener Arten von Delegitimierung auf aktuelle Konflikte, insbesondere an Hochschulen, bezogen.

10:30–11:00 Uhr | Kaffeepause

11:00–12:00 Uhr | "Wissenschaftsfreiheit und/oder Radical Diversity" von Max Czollek & Corinne Kaszner

Die Frage nach der Wissenschaftsfreiheit wird derzeit häufig vor dem Hintergrund einer drohenden Moralisierung oder gar Totalisierung der Wissenschaft diskutiert. Eine polemische Gegenüberstellung wie diese verweist auf reale Ängste und mögliche Schwierigkeiten, als Heuristik verdeckt sie die dahinter liegenden Entwicklungen. Denn die begriffliche Rahmung aktueller Konflikte in 'freiheitliche' vs. 'moralisierende' Bestrebungen vermag die Realitäten einer zunehmend post-migrantischen, gender-vielfältigen, kurz: pluralen Gesellschaft kaum zu erfassen.
Angesichts dieser Ausgangssituation wollen wir einen Schritt zurücktreten und fragen, ob diese Gegenüberstellung so richtig ist - und was dabei aus dem Blick gerät. Dabei möchten wir auch der Frage nachgehen, inwiefern ein Denken des "Radical Diversity" bzw. der "Pluralität zweiter Stufe" einen besseren Rahmen bereitstellt, um aktuellen Fragen gesellschaftlicher Pluralität auch in Wissenschaftsinstitutionen produktiv zu begegnen. Konzeptioneller Ausgangspunkt dafür ist die Arbeit des Instituts social Justice und Radical Diversity: https://institut-social-justice.org/

12:00–13:00 Uhr | Mittagspause

13:00–14:30 Uhr | “Und dann gibt es vielleicht noch Rindsbraten.” Von Freiheit, Verantwortung und Moral im Tierwohldiskurs." von Nadja Neuner-Schatz // "Was macht Selbstreflexion mit empirischer Theorie?" von Dominik Drexel 

Nadja Neuner-Schatz: Ich möchte anlässlich des FSP-Tages den Versuch unternehmen, die in der Debatte um Wissenschaftsfreiheit intensiv beanspruchten Schlagworte Freiheit, Verantwortung und Moral ausgehend von meinem Forschungsfeld, dem Tierwohldiskurs in der Rinderhaltung, zu beleuchten. Es wird insbesondere darum gehen, „Verantwortung“ als „diskursiven Operator“ (Vogelmann 2013) zu verstehen, der in meinem Forschungsfeld subjektivierenden und systemerhaltenden Charakter hat. Mein Beitrag erzählt aber auch vom Bemühen, angesichts gesellschaftlich brisanter und dringlich erscheinender Fragen, wie die des menschlichen Umgangs mit genutzten Tieren, ein – zumindest zeitweiliges – wissenschaftliches Innehalten zu üben, um ein tieferes Verständnis für das Forschungsfeld zu erlangen, ohne selbst den diskursiven Anrufungen zu erliegen.

Dominik Drexel: Nachzudenken über das Verhältnis von empirischer Theoriebildung zu ihrer Voraussetzung, dem Gebrauch der Subjektivität der Forscherin, ist ein Grundpfeiler qualitativer Sozialforschung. Was trägt hierzu das neuere Instrument der Selbstreflexion der Forscherin bei, das heißt, deren eigene Reflexion ihres Nähe-Distanz-Verhältnisses zu den Forschungsteilnehmern? Ist sie auf Objektivität oder auf Verallgemeinerung der empirisch gebildeten Theorie angelegt? Anders gefragt, wird in der Selbstreflexion die Subjektivität der Forscherin verkürzt oder expliziert?

14:30–15:00 Uhr | Kaffeepause

15:00–16:00 Uhr | "Die Schere im Kopf" von Timo Heimerdinger

Die Fragen von Wissenschaftsfreiheit oder Freiheit in der Wissenschaft werden gegenwärtig häufig im Kontext staatlichen Regulierungshandelns, öffentlicher Förderpolitik oder gar manifester Repressionen diskutiert. Weitaus subtiler, dabei aber nicht weniger relevant, sind vielfältige Formen der Selbstzensur, die Wissenschaftler:innen mehr oder weniger absichtlich im Zusammenhang mit ihren Beschäftigungsverhältnissen, Karriereoptionen, institutionellen Rahmenbedingungen oder engeren Arbeits- und Betreuungskontexten vollziehen. Noch viel fataler sind jedoch diejenigen Formen der Selbstzensur, die uns selbst gar nicht richtig auffallen.

16:00–16:15 Uhr | Abschluss mit Silke Meyer

Vortragende


Marie-Luisa Frick

Marie-Luisa Frick studierte Philosophie und Rechtswissenschaft an der Universität Innsbruck. wo sie 2009 im Fach Philosophie promoviert wurde. 2016 folgte die Habilitation in Philosophie (Priv.-Doz.) und Ernennung zur Assoziierten Professorin. Forschungsaufenthalte führten sie u.a. an die NUI Galway und die Harvard University. Marie-Luisa Frick ist Mitglied im Beirat für ethische Fragen in der wissenschaftlichen Forschung und Studienbeauftragte für das Lehramtsstudium Ethik an der Universität Innsbruck. Zudem ist die Sprecherin der Fachgruppe Philosophie im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e. V. Zahlreiche Publikationen, darunter Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft (Reclam 2017), Human Rights and Relative Universalism (Palgrave 2019) und Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess (Reclam 2020).

Max Czollek

Max Czollek ist Autor und lebt in Berlin. Teil des Instituts social Justice und Radical Diversity Berlin, Künstlerisch-akademischer Kurator der CPPD für eine plurale Erinnerungskultur und Mitherausgeber des Magazins „Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart“. 2022 Kurator der Ausstellung zur Kulturgeschichte jüdischer Rache im jüdischen Museum Frankfurt am Main. Die Essays „Desintegriert Euch!“ (2018) sowie „Gegenwartsbewältigung“ (2020) erscheinen im Carl Hanser Verlag. Die Gedichtbände „Druckkammern“ (2012) und „Jubeljahre“ (2015) sowie „Grenzwerte“ (2019) im Verlagshaus Berlin. Theaterarbeiten finden im ganzen deutschsprachigen Raum statt, zuletzt „Tage der Jüdisch-Muslimischen Leitkultur“ (2020).

Corinne Kasnzer

Corinne Kaszner studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Freien Universität Berlin, der Boğaziçi University Istanbul sowie am Goldsmiths College, University of London mit den Schwerpunkten Politische Philosophie, französische Philosophie nach 1945 (insb. Phänomenologie und Poststrukturalismus) und Philosophien sozialer Gerechtigkeit. Aktuell Doktorandin im Fach Philosophie an der Technischen Universität Darmstadt, von 2017 bis 2021 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Heidegger und die Postmoderne“ an der Universität zu Köln. Seit 2013 Ausbilderin, Trainerin und Beraterin im Institut social Justice und Radical Diversity, 2019 Veröffentlichung der Neuauflage des Praxishandbuchs social Justice und Diversity.

Nadja Neuner-Schatz

Nadja Neuner-Schatz studierte Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck und forscht derzeit in ihrem Dissertationsprojekt zum Mensch-Tier-Verhältnis in der Lebensmittelproduktion. Sie ist Kollegiatin des DK “Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung” und Universitätsassistentin am Fach Europäische Ethnologie in Innsbruck.   

Dominik Drexel

Dominik Drexel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Psychoanalytische Erziehungs- und Bildungwissenschaft an der Universität Innsbruck. Er studierte Sozialwissenschaften mit Psychologie und Konfliktforschung in Augsburg. 

Timo Heimerdinger

Timo Heimerdinger studierte die Fächer Volkskunde, Neuere Deutsche Literaturgeschichte und Deutsche Philologie an den Universitäten Freiburg i. Br. und Pisa, (M.A. 1999). Seine Promotion legte er 2004 im Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde an der Universität Kiel ab. Seit 2020 hat er eine Professur für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg. Zuvor war er als Universitätsprofessor für Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck und als Sprecher des FSP Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte tätig. 


Organisation

Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte // Silke Meyer, Teresa Millesi, Andreas Oberprantacher & Dirk Rupnow

Kontakt: fsp-kultur@uibk.ac.at // Teresa Millesi & Silke Meyer

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