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Niewiadomski Jozef: Befreiungsschlag in Sachen Offenbarung – Dritte Reminiszenz zum Konzil
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Befreiungsschlag in Sachen Offenbarung – Dritte Reminiszenz zum Konzil

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-10-26

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Kann man einige hundert Kilometer von Rom entfernt gut katholisch sein? Die etwas sarkastisch klingende Frage bezieht sich nicht auf die aktuellen heiß geführten Diskussionen über den „Deutschen Synodalweg“. Sie ruft die Frontstellung in Erinnerung, die kurz vor dem Konzil durch das Pamphlet eines „römischen Theologen“ aufgerichtet wurde. Im Vorfeld der Arbeiten an einer möglichen Konzilserklärung über „die zweifachen Quellen der Offenbarung“ verunglimpfte dieser die deutschsprachige Bibelexegese. Die deutschen Theologen würden durch ihre wissenschaftliche Arbeit bloß „nordische Nebel“ verbreiten. Nicht nur, dass es bei ihnen an Klarheit der „mediterraner Logik“ fehlt, ihre Arbeiten zur Auslegung der Bibel würden ein ganz neues Bild von Bibel und Offenbarung entwickeln und so die Wahrheit der Bibel unterminieren. In der „einige hundert Kilometer von Rom“ entfernten Stadt Innsbruck riss dem damals schon prominenten Theologen Karl Rahner der Kragen. Die Aussagen des römischen Theologen seien „beschämend und für die Würde und das Ansehen der katholischen Wissenschaft“ wahrhaft abträglich. Denn – so die gewürzte Sinnspitze seiner Stellungnahme – „man kann auch einige hundert Kilometer von Rom entfernt gut katholisch sein!“

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Die Anekdote soll uns alle – die wir die geistige „vorkonziliare Atmosphäre“ entweder nicht erlebt, oder schon längst vergessen haben – auf die Brisanz der damals in der Kirche laufenden Debatten in Sachen „Auslegung der Bibel“ aufmerksam machen. Seit mehr als hundert Jahren stand deren „Wortlaut“ unter Beschuss. Archäologische Funde, geschichtswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Enddeckungen – die Evolutionslehre etwa – rüttelten nicht nur an der „Wahrheit“ der Schöpfungsgeschichte. „Kirchenfresser“ rieben sich die Hände, die historisch-kritisch arbeitenden protestantischen Bibeltheologen suchten nach neuen Wegen einer, dem heutigen Weltverständnis entsprechenden Deutung der heiligen Schrift. Wie heikel die Sache sein kann, zeigen die ersten zaghaften Versuche der islamischen Theologen heute, den Koran „nicht wörtlich“, sondern historisch-kritisch zu lesen. Die islamistischen Reaktionen sehen darin bloß den Abfall vom Glauben, damit auch das Teufelswerk. Und sie sind den fundamentalistischen Kreisen im amerikanischen Protestantismus durchaus vergleichbar. Das katholische lehramt suchte nach Auswegen aus der Krise, indem es seit Pius XII. und seiner für die damalige Zeit bahnbrechenden Enzyklika „Divino afflante Spiritu“ (Unter Anhauch des göttlichen Geistes) die historische Forschung in der katholischen Theologie nur dann erlaubte, wenn sie dazu hilft, die Grundidee der Bibel unangetastet zu lassen. Deswegen konnten die Professoren auch die protestantischen Bücher lesen, für die Studierenden waren diese nur bedingt zugänglich. An der Fakultät in Innsbruck standen sie in einem Extra-Zimmer mit dem Namen „Giftschrank“ verschlossen.

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Nun ist dem Konzil ein Befreiungsschlag Extraklasse in Sachen „Bibel und Kirche“ gelungen. Von der ersten bis zur letzten Sitzungsperiode wurde um die „Dogmatische Konstitution über die Offenbarung: Dei verbum (Gottes Wort)“ gerungen. Insgesamt acht Fassungen gab es, sowohl Papst Johannes XXIII. als auch Paul VI. intervenierten, damit die Sache ordentlich vorwärtskommt und die sehr große Schar der Gegner schrumpft. Dass am Schluss bei der Abstimmung nur noch acht Stimmen dagegen waren, darf man ruhig als ein Wunder betrachten. Denn: herausgekommen ist ein dogmatisches Dokument, das neue Wege der Auslegung einer heiligen Schrift für die Zukunft beispielhaft anzeigt. Lebten ganze Generationen von Gläubigen mit der Vorstellung, dass Gott dem Autor der biblischen Schrift die einzelnen Worte diktiert, diese deshalb unfehlbar sind, so ging das Konzil mutig auch über die schon abgeschwächte Vorstellung hinaus, dass die biblischen Autoren so etwas wie redigierende Sekretäre sind. Der wahrhaft revolutionäre Text lautet: „Zur Abfassung der Heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – geschrieben haben wollte, als echte Verfasser schriftlich zu überliefern.“ (DV 11). Denn: Gott spricht „in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart“ (DV 12); die Menschen sind deshalb nicht bloß Werkzeuge und Sekretäre, sondern auch „echte Verfasser“ der Schriften, deren „Urheber“ Gott allein ist. Damit besteht die Offenbarung nicht in der Mitteilung einzelner Sätze; sie ist identisch mit dem Lebensvollzug eines bestimmten Lebens; jenes Lebens, in dem sich Gott durch Wort und Tat selber mitteilt. Die Theologen fanden dafür eine wunderbare Formel: Offenbarung ist identisch mit der Selbstmitteilung Gottes. Dementsprechend kann der Glaube nicht auf die Annahme bestimmter Sätze und Formeln reduziert werden; es sei eine personale Begegnung mit dem sich offenbarenden Gott. Und die Wahrheit der Bibel? Es ist nicht die „Tatsachenwahrheit“, um die es in der Bibel geht, vielmehr ist es die Wahrheit, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte. Und wie finden die Menschen des 21. Jahrhundert zu dieser Wahrheit? Mit Hilfe der Tradition, die mit der lebendigen Stimme der je gegenwärtigen Kirche gleichgesetzt werden kann. Denn Schrift und Tradition bleiben „eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil“.

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Was nach dem Konzil kam, ist der wahre Boom des Bibelstudiums in der Kirche. Und zwar auf allen Ebenen: wissenschaftlich und popularisierend, intellektuell und touristisch. Vor allem aber kerygmatisch ist die Bibel so etwas wie die „Seele“ der katholischen Gemeinden geworden. Allen pessimistischen Rufen zum Trotz sei erinnert, was die Konstitution selbst sagt: Theologie verjüngt sich, wenn sie biblisch ist. Denn wenn man die Schrift nicht kennt, kennt man Christus nicht. So paradox es heute klingen mag: für den Befreiungsschlag in Sachen Bibel waren „die nordischen Nebel“ so etwas wie der lebensspendende Tau, der vom Himmel kommt.

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Vgl. auch:

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