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Wandinger Nikolaus: Gottesentgiftung. Predigt zum Pfingstmontag 2015
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Gottesentgiftung. Predigt zum Pfingstmontag 2015

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-05-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Eph 1,3a.4a.13-19a; Lk 10,21–24

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Liebe Gläubige,

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fragen Sie sich auch, was das ist, das viele Propheten und Könige sehen wollten, aber nicht gesehen haben, und hören wollten, aber nicht gehört haben – und das nun die Jünger und Jüngerinnen Jesu sehen und hören? Sahen das nur seine ZeitgenossInnen oder sehen und hören das auch wir, seine JüngerInnen heute?

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Nur ein paar Verse vor unserem heutigen Evangeliumsabschnitt sagt Jesus einen seltsamen Satz: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,18). Könnte das jenes Besondere sein, das man herbeigesehnt hat? Und was könnte es bedeuten? Ja, was machte überhaupt der Satan im Himmel?

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Ich möchte Ihnen dazu einen kurzen Text vorlesen, der nicht aus der Bibel kommt, in dem der Sprecher aber mit Gott redet:

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„Fast zwanzig Jahre lang war es mein oberstes Ziel, dir zu gefallen. Das bedeutet nicht, daß ich besonders brav gewesen wäre, sondern daß ich immer und überall Schuldgefühle hatte. […]

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Weißt du, was [… in meiner Erziehung] die mich domestizierende, einengende, schachmatt setzende stereotype Phrase [war]: ›Was wird der liebe Gott dazu sagen?‹ Durch diesen Satz war ich früh meiner eigenen inneren Gerichtsbarkeit überlassen worden. […] Du hast mir dann kaum noch Chancen gelassen, mit mir selbst ein auskömmliches Leben zu führen. Weißt du, welches Wort mich mit einer abenteuerlich tiefen Angst erfüllt hat? Aussätzigkeit. Dir ist es doch tatsächlich gelungen, daß ich mich wegen meiner kleinen Durchschnittssünden jahrelang aussätzig fühlte. Und die Aussätzigen auf den biblischen Bildern wurden isoliert, an langen Stangen ließ man ihnen die Mahlzeiten reichen, sie mußten mit Klappern herumlaufen, damit niemand durch sie angesteckt wurde. […]

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Dein Hauptkennzeichen für mich ist Erbarmungslosigkeit. Du hattest so viel an mir verboten, daß ich nicht mehr zu lieben war.“[1]

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Das war ein kurzer Auszug aus dem Buch Gottesvergiftung, das der Psychotherapeut Tilmann Moser in den 70er Jahren über seine religiöse Erziehung geschrieben hat. Er zeigt, was es bedeutet, wenn der Satan im Himmel sitzt. Durch religiöse Erziehung oder eine bestimmte Art von Verkündigung wird von Gott so gesprochen, dass sein Bild das eines bedrohlichen, angstmachenden unterdrückenden Herrschers wird, eines Anklägers und Richters in einer Person. Dadurch wird Gott zum Satan. Der kurze Text beschreibt auch sehr eindrücklich die gesellschaftlichen und die persönlichen Folgen: Gesellschaftlich muss man jene, die unter Anklage stehen, ausgrenzen, ächten und isolieren – sie zu „Aus­sät­zig­en“, d.h. zu Ausgesetzten, machen. Nicht die Krankheit macht sie dazu, sondern die Gesellschaft. Und Moser macht deutlich, dass man selbst dem verfallen kann, wenn dieses Urteil in einen selbst eindringt und das eigene Selbstwertgefühl vergiftet, so sehr bis man sich selbst nicht mehr lieben kann. Dann kann man aber auch die Nächsten nicht mehr lieben wie sich selbst. Ein Teufelskreis aus Selbstablehnung und Hass auf andere, Ausgrenzung durch andere und wiederum Selbsthass ist entstanden. Wie soll man da jemals wieder herauskommen? Das ist nicht mehr möglich, denn, was einen da so bedroht und herabsetzt, ist – wie Moser sagt – zur „eigenen inneren Gerichtsbarkeit“ geworden. Wer kann mich daraus erlösen?

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Wenn überhaupt, dann jemand, der mich aus dieser meiner eigenen Gerichtsbarkeit befreit, dadurch, dass er mich nicht anklagt und nicht verurteilt, obwohl ich so bin wie ich bin. Jemand, der mich nicht beschönigen muss, der mich genau kennt, der mich liebt, obwohl so viel an mir verboten ist; und dem ich nicht zum Aussätzigen werde, egal, was es auch an mir auszusetzen gibt. Aber existiert so jemand?

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Eigentlich ist es genau das, was Jesus getan hat: Er hat Aussätzige wieder berührt und in die Gemeinschaft geholt; sich von Sünderinnen berühren lassen ohne Angst selber unrein zu werden. Und die Frage: „Was wird der liebe Gott dazu sagen?“ hat er beantwortet, indem er eine Geschichte erzählte, in der es heißt: „[… Der Vater] hatte Mitleid […,] lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lk 15,20). Der Vater dieser Geschichte ist ja niemand anders als der himmlische Vater, von dem Jesus sich gesandt wusste. Dessen Haupt­kenn­zei­chen ist eben nicht Erbarmungslosigkeit, sondern Barmherzigkeit! Darum: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen! – Gott ist anders als das Bild, das sich eingeschlichen hat. Ja, das hätten Könige und Propheten gerne gesehen, aber erst Jesus machte es zur Wirklichkeit. Darum ist es Jesus, der aus dem Teufelskreis befreien kann.

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Stimmt das aber? Sprach nicht auch Jesus vom Gericht, sogar von der Hölle? Wird hier nur etwas zurechtgebogen um dem Zeitgeist zu entsprechen? Mein Lehrer, Raymund Schwager, der hier in der Krypta ruht, hat mich überzeugt davon, dass die Gerichtsgleichnisse, die Jesus erzählte, nicht seine Drohung mit dem Strafgericht Gottes sind, sondern vielmehr seine Warnung davor, dass sich Menschen mit einem bedrohlichen Gottesbild selber die Hölle bereiten; dass das Strafgericht kein göttliches Gericht ist, sondern ein menschliches Selbstgericht, das nur unter der Maske des göttlichen Gerichtes daherkommt.[2] Das letzte Gericht, vom dem wir im Credo bekennen, dass zu ihm Christus als Richter wiederkommen wird, müssen wir uns anders vorstellen. Da kommt ja jener als Richter, der sogar für seine Henker gebetet hat. – Sollen wir annehmen, dass er seine eigene Bitte nicht erhört? – Da kommt jener als Richter, der zur Ehebrecherin sagte: „Auch ich verurteile dich nicht.“ (Joh 8,11) – Sollen wir annehmen, dass das beim Endgericht nicht mehr gilt?

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Nein, wenn der Satan vom Himmel gefallen ist und stattdessen Jesus zur Rechten des Vaters sitzt um als Richter wiederzukommen, dann bedeutet das, dass dieses Gericht ganz anders verläuft, als wir es gewohnt sind oder als wir es befürchten. Nicht Ankläger und Richter sind hier eine Person; Verteidiger und Richter sind vereint in der Person Jesu Christi. Der Mensch Jesus, der für uns eintritt, wie er sogar für seine Henker eingetreten ist, und der göttliche Sohn, der uns die Vergebung nicht verweigern wird, um die er selbst bittet – er ist der barmherzige Richter, der uns aus unserer eigenen Gerichtsbarkeit – aus dem menschlichen Selbstgericht – befreien wird.

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Die Weisen und Klugen machen sich Gedanken über Gott und lehren, dass er vollkommen und gerecht sei. Nur die Unmündigen verstehen, dass Gottes Vollkommenheit und Gerechtigkeit in seiner Barmherzigkeit bestehen; dass seine Allmacht sich vor allem im Erbarmen und im Verschonen zeigt. Das ist es, was Jesus – der Sohn – über den Vater weiß, und was er uns über den Vater sagt; das ist es auch, was der Geist der Weisheit, der Heilige Geist Gottes immer wieder – gegen alle Widerstände – in die Kirche hineinbringt, auch und gerade durch einen Papst, der ein heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausruft.

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Wenn wir ehrlich sind, sind wir begeistert von der Barmherzigkeit, wenn wir sie erfahren dürfen, aber erschrocken und unfähig, wenn wir sie gewähren sollen. So leicht fallen wir zurück in die Logik des Anklagens, Rechthabens und Verurteilens, dass wir es meist gar nicht merken. Danken wir dem göttlichen Vater, wenn er uns Menschen schickt, die uns trotzdem lieben und uns daraus befreien. Danken wir dem Heiligen Geist, wenn er uns fähig macht, diese Liebe anzunehmen und zu erwidern. Danken wir dem Sohn, dass er uns kundgemacht hat, wer Gott ist, und dass er nach diesem Gottesbild unser Richter sein wird.

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Anmerkungen

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[1] Moser, Tilmann: Gottesvergiftung. Frankfurt/Main 1978, 16-19. Vgl. auch das spätere Werk Moser, Tilmann: Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott. Psychoanalytische Überlegungen zur Religion. Stuttgart 2003.

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[2] Zur theologischen Begründung vgl. Schwager, Raymund: Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (Innsbrucker Theologische Studien 29). Innsbruck 21996, v.a. 76-109, Neuerscheinung im Sommer 2015 in Schwager, Raymund: Heilsdrama. Systematische und narrative Zugänge (Gesammelte Schriften 4). Freiburg 2015.

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