Vor mehr als 15 Jahren machen Christina Biasi und ihre Kolleg:innen von der Universität Ostfinnland eine überraschende Entdeckung. Die Ökolog:innen messen in der arktischen Tundra Gasströme aus Permafrostböden – also Böden, die mehr als zwei Jahre am Stück gefroren sind. Meist stoßen diese Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) aus. „Bei den Analysen im Gaschromatografen fielen uns allerdings auch hohe Konzentrationen von Distickstoffmonoxid (N2O) auf. Wir mussten die Proben verdünnen, um sie messen zu können. Das hatten wir absolut nicht erwartet“, erzählt Biasi, die heute an der Universität Innsbruck forscht. 2009 publizierte sie ihre Erkenntnisse in einem der ersten wissenschaftlichen Paper zu N2O-Emissionen aus Permafrostböden.
In ihrem aktuellen Forschungsprojekt „Errechnungen zum Lachgas-Budget von Permafrostböden“ (PERNO) will die Ökologin herausfinden, wie N2O, auch Lachgas genannt, in diesen Böden entsteht. Mit diesem Wissen ließen sich Aussagen über die Zukunft treffen. Sie vermutet bisher unbeachtete Emissionen, welche die Erderwärmung weiter beschleunigen.
Eisige Böden und winzige Wesen
„N2O hängt mit dem Stickstoffzyklus zusammen. Landwirtschaftlich genutzte Flächen, die mit stickstoffbasiertem Dünger gedüngt werden, sind die Hauptquellen“, erklärt die Ökologin. Doch auch natürliche Ökosysteme emittieren das Treibhausgas. Permafrostböden galten allerdings lange als vernachlässigbare Quellen. Man nahm an, dass sie Stickstoff-limitiert seien. „Mittlerweile ist aber bekannt, dass dies nicht immer der Fall ist und aus Permafrost-Sonderstandorten wie in der Arktis oder Tundra Lachgas in sehr hohen Raten ausgast“, erklärt Biasi. Hinzu kommt, dass die Folgen der Klimakrise die Dynamiken in diesen gefrorenen Böden verändern.
Winzige Lebewesen sind am Stickstoffkreislauf in Böden beteiligt. Bestimmte Arten von Mikroben gewinnen Energie, indem sie Ammoniak beziehungsweise Ammonium zu Nitrat reduzieren. Andere „veratmen“ Nitrat unter sauerstoffarmen Bedingungen hauptsächlich zu Stickstoff (N2), aber auch zu Lachgas. Wenn Permafrostböden auftauen, steht den Mikroben mehr organisches Material zur Verfügung, das sie umwandeln können. So kann es dazu kommen, dass Stickstoff und Lachgas auch aus diesen Böden ausgast.
Klima im Kleinen
„Wir wollen diesen Stickstoffkreislauf in unterschiedlichen Szenarien aufschlüsseln“, erklärt Christina Biasi. Sie arbeitet mit dem PhD-Studenten Matej Znaminko und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Tatiana Trubnikova zusammen. Sie analysieren Proben von rund 50 Torfmoorböden. Diese stammen aus unterschiedlichen Weltregionen – Kanada, Sibirien, Skandinavien etwa – sowie unterschiedlichen Bodentiefen. Viele Bodenproben erhielten die Forschenden von internationalen Kooperationspartnern, etwa von Kolleg:innen der Universität Ost-Finnland. Im Labor setzen sie die Böden Temperaturen von vier, zwölf und 20 Grad Celsius aus. Zudem variieren sie die Feuchtigkeitsstufen. „So wollen wir herausfinden, wie sich die N2O-Emissionen verändern, wenn die Temperaturen als Folge der Klimakrise steigen und sich der Wasserhaushalt, etwa durch Trockenheit, ändert“, erklärt die Forscherin. In weiterer Folge analysieren Biasi und ihr Team, welche Treibhausgase in welcher Konzentration emittiert werden.
Die Forschenden wollen verstehen, welche Mikroben in welchen Szenarien dazu beitragen, dass die Böden mehr N2O emittieren. Dabei hilft ihnen die sogenannte Isotopenanalyse. Diese Methode macht sich zwei Tatsachen zu eigen: Etwas weniger als ein Prozent des Stickstoffes, der in der Natur vorkommt, besitzt mehr Neutronen als Protonen im Kern. Diese sogenannten N15-Atome haben eine höhere Masse als die häufigeren N14-Atome. Und: Mikroorganismen bevorzugen N14-Atome. „Durch die Isotopenanalyse sehen wir einen Fingerabdruck von N2O, der uns zeigt, welche mikrobiellen Prozesse in der Verarbeitung von Stickstoff aktiv sind“, erklärt Christina Biasi.
Auf die Wirkung kommt es an
In der Permafrost-Forschung gibt es Spielraum für neue Erkenntnisse. „Wir haben etwa bereits unbekannte Arten von Mikroorganismen in unseren Proben gefunden, die N2O-Emissionen bedingen. Sie gehören zur Gruppe der Archaeen“, sagt die Ökologin. Nun will sie herausfinden, wie diese einzelligen Lebewesen sich verhalten, wenn es trockener, eventuell auch feuchter und wärmer wird – und was das für das Weltklima bedeutet.
Auf Lachgas entfallen fünf Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen. Kohlendioxid und Methan (CH4) sind aufgrund ihrer Menge die weltweit relevantesten Treibhausgase. Lachgas besitzt allerdings ein 300 Mal höheres Erwärmungspotenzial als CO2. Hinzu kommt: Die N2O-Emissionen sind seit den 1980er-Jahren um 40 Prozent gestiegen.
Trockene Böden, hohe Emissionen
Christina Biasi und ihr Team wollen simulieren, wie sich der N2O-Ausstoß in den Permafrost-Gebieten der Arktis und der Tundra entwickeln wird. „Die Datenbank steht. Auch das Modell ist mit den Rohwerten bereits gelaufen. Aktuell laufen die Experimente, welche die Daten liefern, um das Modell anzupassen und zu verfeinern“, erzählt die Ökologin. Die finalen Ergebnisse werden mit dem Projektende im August 2025 kommuniziert. Basierend auf der aktuellen Wissenslage sagt Biasi schon heute: „Man nimmt an, dass die Lachgasemissionen in arktischen Gebieten zunehmen werden.“ Sie könnten die Erderwärmung weiter anheizen.
„Wie sich diese Emissionen entwickeln“, hebt die Forscherin hervor, „hängt aber vor allem davon ab, wie warm es noch wird. Aktuell geht man davon aus, dass bis 2100 rund 80 Prozent des Permafrosts in den nördlichen Torfmooren verloren gehen wird.“ Das bedeutet nicht nur höhere N2O-Emissionen. Tauen Permafrostmoore, bauen Mikroben organisches Material, das aus Kohlenstoff besteht, ab. Durch diesen Prozess werden enorme Mengen an CO2 freigesetzt.
Eine Nation, die niemand will
Die Zeit zu handeln, um die Erderwärmung zu begrenzen, so Biasi, sei jetzt. Passiert zu wenig, wird das Auftauen von Permafrostböden diese enorm beschleunigen. Bis 2100 könnten die globalen auftauenden oder aufgetauten Permafrostböden ähnlich viele CO2-Äquivalente ausstoßen wie Staaten, die zu den größten Emittenten zählen – also etwa China oder die USA. „Man kann dann tatsächlich von einer Permafrost-Nation sprechen. Das ist eine Entwicklung, die man nicht rückgängig machen kann. Ist Permafrostboden erst aufgetaut, bildet er sich nicht so schnell wieder“, so die Forscherin.
N2O-Emissionen aus Permafrostböden wurden in Prognosen, etwa aus Berichten des Weltklimarates (IPCC) lange ausgeklammert. Erst im jüngsten Synthesebericht aus dem Jahr 2023 kamen sie vor. Mit ihrer Forschung will Christina Biasi helfen, diese wenig beachteten Emissionen vorherzusagen und miteinzubeziehen – für ein besseres Verständnis unserer sich erwärmenden Welt.
Christina Biasi studierte biologie an der Universität Innsbruck und promovierte zu den Effekten des Klimawandels auf biogeochemische Prozesse in arktischen Ökosystemen an der Universität Wien. Die Expertin für die Anwendung von Isotopen in der Bodenökologie war 20 Jahre lang an der Universität Ostfinnland tätig. Sie leitete über zehn nationale und internationale Forschungsprojekte und ist (Mit-)Autorin von über 90 Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Christina Biasi arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Funktionelle Ökologie (Gruppenleiter Michael Bahn) an der Universität Innsbruck. Der Wissenschaftsfonds FWF fördert das Projekt PERNO (2022–2025) mit 177.980 Euro.