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04/24 „Blow me a house“ – Robert B. Hartwig zwischen Utopie und Rationalismus – Universität Innsbruck

„Blow me a house“
Robert B. Hartwig zwischen Utopie und Rationalismus

 

Der in Innsbruck 1940 geborene Architekt Robert B. Hartwig lebt und arbeitet in Österreich und Kalifornien. Seine Projekte im Städtebau wie auch seine Materialexperimente zeugen in seiner am meisten experimentellen Schaffensphase vom Zeitgeist der 1960er- und 1970er Jahre – nur einzelne Dokumente im Archiv für Bau.Kunst.Geschichte geben Aufschluss über sein Werk. Eine Bearbeitung der Projekte von Robert B. Hartwig und eine zeitkontextliche Einordnung steht noch aus. Seine 2008 erschienene Publikation gibt einen ersten Überblick.

 

Robert B. Hartig, "Blow me a House", Luftarchitektur als mobiles Siedlungskonzept, 1967-1970  Archiv für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck, Bestand Hartwig

Eine kurze Skizze seines Schaffens: Schon in seiner Diplomarbeit an der Akademie der bildenden Künste in Wien (bei Roland Rainer) beschäftigt sich Hartwig mit mobilen Bauformen und reicht 1963 den Entwurf eines mobilen Theaters ein (Preis des Unterrichtsministeriums der Zentralvereinigung der österreichischen Architekten). Daran anknüpfend beteiligte er sich 1964 am Wettbewerb für ein Schauspielhaus in Zürich. Hartwig erreicht mit Curt Züger den vierten Preis. Die Konkurrenz ist mit Hans Scharoun u.a. prominent besetzt – Jörn Utzorns Siegerentwurf wird aus Kostengründen nicht realisiert. Als sich am Münchner Elisabethplatz 1965 ein avantgardistisches Privattheater für zeitgenössische Bühnenstücke um Andreas Rozgony und Friedrich Eicher gründet, zeichnet sich Hartwig für den Umbau des ehemaligen Kinos „Schauburg“ verantwortlich. Das Theater wird am 3.3.1966 mit der Komödie „Antonio oder wie ein Drehbuch entsteht“ von Cesare Zavattini eröffnet – wird aber bereits ein Jahr später schließen.

Hartwig übersiedelt 1966 nach Kalifornien, um sich dem Studium des Urban Design an der University of California Los Angeles / UCLA zu widmen. Die Mobilität des Wohnens steht nun im Zentrum. Er entwickelt unter dem Motto „Blow me a house“ eine modulare Luftarchitektur. Die aufblasbaren Module mit textiler Kunststoffhülle sollen als Low-Cost-Ansiedelung oder Campingbehausung dienen. 1967 als Semesterarbeit entwickelt, baut er das System bis 1970 aus. Die einzelnen Module setzen sich aus einem Wohnraum, Hygienezellen und Schlafräumen zusammen und umfassen 40-60 Quadratmeter Fläche. Als Siedlung können die Pneus über eine Zeltdachstruktur verbunden und mit Solarenergie versorgt werden. Im Archiv für Bau.Kunst.Geschichte finden sich Anschreiben an Hersteller mit dem Ersuchen um Produktion des Systems. Hartwig beschreibt unter dem Titel „Flexibles wohnen“ 1972 sein Raumzellenkonzept: „Was sind nun konkret die zu erwartenden zukünftigen Ereignisse, die als Haupteinflüsse für das Verändern des Wohnkonzepts bevorstehen? Sie reichen von der Verwendung ultraleichter Materialien in der Architektur, über Lernmaschinen im Kinderzimmer, über die zentrale Datenbank im Heim, der Einführung des Bildtelefons, der Verwendung von nichtnarkotischen Drogen bis zum Einsatz von haushaltsrobotern.“ Hartwigs Vision folgt einem stark raumpsychologischen Ansatz – er geht von einer therapeutischen Wirksamkeit der Raumgestaltung aus.
 

Robert B. Hartig, "Blow me a House", Luftarchitektur als mobiles Siedlungskonzept, 1967-1970  Archiv für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck, Bestand Hartwig

Ebenso modular angedacht, wenn auch mehr technisch rational als nach sinnlichen Parametern angelegt, konstruiert Hartwig für den Entwickler Ingo Ritsch für einen Bauplatz in der Nähe von Wörgl eine Raumzellensiedlung: „Ursprünglich war nur der EFH-Typ A vorgesehen. Dann habe ich als Variante den Typ B entwickelt – eine dreigeschossige Bebauung. Raumzellen sind Fertigteile von 11,20/2,80/2,70 H. Sie können in einer Feldfabrik gefertigt werden oder per Tieflader angeliefert werden, daher kann ihre max. Breite nur 2,80m sein! Die Konstruktion besteht aus Stahlrohprofilen und L+T Stahlwinkeln.“ Auch diese Siedlung bleibt Projekt.

Internationale Aufmerksamkeit erreicht Hartwig durch einen städtebaulichen Wettbewerbsbeitrag für die Entwicklungsfläche zwischen der nach der Gründung Israels 1948 rasant wachsenden Stadt Tel Aviv und der historischen Küstenstadt Jaffa. Der Wettbewerb ist in der Zeitschrift Casabella (293/1963) umfassend dokumentiert. Hartig reicht zusammen mit Frank Dimster, Jörg Wörle, Gunter Wratzfeld einen Stadtentwicklungsplan ein, der eine zentrale Mitte mit Versorgungsbauten und kulturellem Zentrum vorsieht, um den sich in Clustern strukturalistisch anmutende Einheiten für Wohnen und Freizeit bilden. Nanfredo Tafuri betitelt seinen Kommentar zum Wettbewerb in der Casabella-Ausgabe für die Erneuerung des Zentrums von Tel Aviv-Jaffa „Razionalismo critico e nuovo utopismo“ und vergleicht die Einreichungen mit dem kurz davor ausgeschriebenen Wettbewerb für das Zentrum Turins. Sein Ergebnis: der Städtebau ist im Utopie-Diskurs gelandet. Zu den Einreichenden für den Wettbewerb Tel Aviv-Jaffa zählen Büros wie Alexander von Branca und Fred Angerer (erster Preis), Jacob Bakema und Leopold Gerstel. Tafuri übt Kritik an den Beiträgen, die sich wie jener Hartwigs vielmehr wie eine „formalistische Störung als einen idealistischen Ansatz“ ausbilden. Nicht auf Anpassung und Weiterentwicklung im vorhandenen städtebaulichen Gefüge bedacht, seien sie zwar utopisch anmutend, aber Ausdruck eines „verschleierten Pessimismus“. Hartwigs Beitrag für Tel Aviv-Jaffa ist mitten im beginnenden Diskurs über die „ideale Stadt“ zwischen Planstadt vom Reißbrett und der wachsenden Kritik daran angesiedelt sowie dem wachsenden Anliegen – das sich ebenso in den Entwürfen Hartwigs abzeichnet – einer größtmöglichen Anpassungsfähigkeit von Architektur an gesellschaftliche Bedürfnisse im Sinne von Flexibilität und Mobilität.

Text: Hilde Strobl

 

Robert B. Hartwig:
Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Roland Rainer (1959-1963) und Urban Design an der University of California Los Angeles / UCLA (1966-1968)
Hartwig arbeitete bei Karl Schwanzer in Wien (1963-1964) und Quincy A. Jones und William L. Pereira in LA (1967-1971) und ab 1975 bei Fred Achammer in Innsbruck.

Veröffentlichungen:
Robert B. Hartwig, Projekte, Innsbruck 2008
Robert B. Hartwig, Flexibles wohnen, in: aut (Hg.), Reprint, Innsbruck 2005, S. 194-196; nach „horizont“ 4/1972.
Robert B. Hartwig, Fiberglass Buildings, Los Angeles 1970

Literatur:
Nanfredo Tafuri, Razionalismo critico e nuovo utopismo, S. 20-25, in: Casabella Nr. 293 (1963), S. 20-25

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