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Wandinger Nikolaus: Ein neuer Anfang
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Ein neuer Anfang
(Gedanken zum 2. Advent LJ B)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-12-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Jes 40,1-5.9-11; (2 Petr 3,8-14); Mk 1,1-8

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 Liebe Gläubige,

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wir haben gerade die allerersten acht Verse des Evangeliums nach Markus gehört, einen echten Anfang in mehrfachem Sinn: den Anfang dieser Evangelienniederschrift, den Anfang des Auftretens Jesu auf Erden, den Anfang der Frohen Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, d. h. einen neuen Aufbruch des Wirkens Gottes in der Welt. Markus sagt es gleich mit dem ersten Wort: Anfang! Er sagt: Achtung, hier beginnt etwas Neues, etwas Entscheidendes, etwas, das uns aufhorchen lassen und uns aufrütteln soll aus all dem, was bisher war.

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Und doch ist dieses Neue nicht ohne Verbindung zum Bisherigen. Ein Vorbote geht ihm voraus, johannes der Täufer bereitet für Christus des Weg, etwas, was auch in der Lesung aus dem Buch Jesaja der Prophet für den Gott Israels getan hat. Und in der Tat: dieser Text des zweiten Jesaja ist das Dokument eines ungeheueren Aufbruchs, eines Neuanfangs ohne Beispiel. So ungeheuerlich und umwerfend wie die Botschaft des Jesaja war, so umwerfend und großartig ist auch das Neue, das mit der Botschaft des Täufers und mit dem, den er ankündigt, kommt. Was hat es also auf sich mit diesen Freudenrufen aus dem Buch Jesaja.

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Im Jahre 597 vor Christus wurde der Großteil der Oberschicht Israels durch den babylonischen König Nebukadnezzar verschleppt. 11 Jahre später wurde das der Großteil des israelitischen Volkes verschleppt und ins babylonische Reich zwangsumgesiedelt – eine politische und theologische Katastrophe für Israel. War denn sein Gott nicht der stärkere? Waren denn die Götter der Babylonier mächtiger? Kann, ja darf man die eigene Religion im fremden Land noch ausüben?

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Wie sehr die Israeliten ihr Exil getroffen haben muss, kann man ein wenig nachempfinden, wenn man in den berühmten Psalm 137 schaut: „An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten“. (Ps 137,1) Die Betenden trauern, dass die fremden Herrscher von ihnen verlangen, die eigentlich für Jahwe gedachten Lieder bei ihnen zu singen. Und sie verraten deutlich, dass eine starke Versuchung bestand, den eigenen Glauben aufzugeben. Denn sie machen ganz massive Gelübde, um dies zu verhindern: „5 Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. 6 Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, / wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.“ (Ps 137,5f.)

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Und am Ende dieses Psalms folgt die Bitte um Rache an denen, die einem das angetan haben, die einem Heimat und Glück genommen haben und einen darüber hinaus in Versuchung führen, vom Glauben abzufallen: „8 Tochter Babel, du Zerstörerin! Wohl dem, der dir heimzahlt, was du uns getan hast! 9 Wohl dem, der deine Kinder packt und sie am Felsen zerschmettert!“ (Ps 137,8f.), heißt es da. Wie verletzt und verunsichert muss man sein, dass man die Kinder seiner Peiniger am Felsen zerschmettert sehen will!

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Und doch: Israel ist nicht von seinem Glauben abgefallen. Es hat erkannt, dass es nicht deshalb ins Exil musste, weil sein Gott ein Schwächling war, sondern gerade, weil er der einzige und allmächtige ist; weil er die ganze Welt- und Menschheitsgeschichte in seinen Händen hält und daher nicht einseitig für sein Volk gegen die anderen Völker kämpft – sind doch diese auch von ihm geschaffen. Die uralte Frage, warum Gott das Leid zulässt und warum auch seine Erwählten oft leiden müssen, die ist damit nicht beantwortet, aber eine mögliche Antwort ist als falsch ausgeschieden: es ist nicht, weil dieser Gott zu schwach wäre; es ist eher, weil dieser Gott so groß ist, dass er das, was die Menschen in ihrer Welt anrichten und einander antun nicht einfach verhindert. Er hat darauf eine andere, eine größere, eine geheimnisvollere Antwort.

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Und in der Tat, fast 50 Jahre später endet das babylonische Exil. Die Herrschaft der Babylonier zerfällt, denn nun ist Kyrus, der Perserkönig, der mächtigere – und er lässt die Israeliten heimziehen in ihr Land. Es gehen nicht alle. Materiell war es ihnen nicht so schlecht ergangen, manche haben keine Beziehung mehr zu ihrer Heimat und zu ihrem Glauben, sie bleiben. Aber andere empfinden ihren Heimgang wie eine Befreiung durch Gott: er führt sie heraus aus der Fremde, zurück nach Israel, nach Jerusalem in die heilige Stadt. In dieser Situation verkündet der zweite Jesaja den Text, den wir heute gehört haben: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“

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Aus tiefster Entfremdung und Gefährdung heraus setzt Gott einen neuen Anfang, einen neuen Einsatz. Nicht die Menschen, Gott macht einen Neuanfang zum Heil seines Volkes.

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„Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“, beginnt Markus und sagt dann: es begann, wie es bei Jesaja steht. Man könnte dem entnehmen: Das Neue, das mit Christus beginnt, ist für Markus eine ähnliche Befreiung aus ähnlich tiefer Entfremdung wie es der Auszug der Israeliten aus Babylon war. Aus tiefster Entfremdung und Gefährdung setzt Gott einen ganz neuen Anfang.

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 Liebe Gläubige,

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wir, hier im sicheren Österreich, inmitten der Annehmlichkeiten unseres 21. Jahrhunderts, in Adventslaune – können wir dazu eine Verbindung bekommen? Können wir nachempfinden, welche Aufbruchsstimmung, welche Explosion an Freude und Hoffnung hinter diesen Texten steht? Ich muss gestehen, ich tat mich damit schwer. Sind wir nicht vielmehr verstrickt in unseren Trott, der – gerade im Advent – ganz leicht zum Stress wird. Wir sollen unsere Pflicht erfüllen in Beruf, Familie und Schule; und weil Advent ist, soll man auch die alten Bräuche pflegen, soll zusammenkommen und singen, soll zur Ruhe kommen und sich besinnen, soll Geschenke kaufen für liebe Menschen, und, und und … Für viele wird der Advent so zum Marathonlauf und das große Fest, auf das wir uns vorbereiten, zur Ziellinie, auf die wir uns nicht so sehr freuen, weil dann das Fest ist, sondern weil danach alles vorbei ist und wir uns endlich wieder erholen können. Nicht selten ist der Weihnachtsabend dann der Abend, an dem aus lauter Anspannung und Erschöpfung der große Familienkrach ausbricht und man meint, einander nicht wiederzuerkennen.

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So betrachtet, liebe Gläubige, befinden wir uns in unserer Vorbereitung auf das Fest nicht auch in tiefster Entfremdung und Gefährdung? Können wir die für Weihnachten gedachten Lieder auch in Kaufhausliften und Restauranttoiletten singen lassen? Sind wir nicht in Versuchung, uns selber und unseren Glauben im Trubel der Geschäftigkeiten untergehen zu lassen? Und um uns herum breitet sich eine Kultur aus, für die unser Glaube Kinderkram ist, und unser Fest nur ein Anlass, gute Geschäfte zu machen. Wenn wir versuchen, eine christliche Kultur zu leben, fühlen wir uns nicht auch oft von einer Art Babylon umgeben, das es uns schwer macht, unsere Identität und unseren Glauben zu bewahren? Und bringt es nicht manche in die Gefahr des Ressentiments und der Ablehnung gegen alles Weltliche, so als könnte man Weihachten retten, indem man die Freude der Kinder an Geschenken am Felsen zerschmettert? Der christlichen Weltuntergangspropheten sind heute viele, aber blind wäre, wer sagt, sie hätten in allem nur Unrecht. Wir sind in einer Situation tiefer Entfremdung und Gefährdung. Was also tun?

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Das Buch Jesaja und der Evangelist Markus rufen in dieser Situation auch uns zu: Gott macht einen Neuanfang. Nicht du musst etwas tun, du musst nur Gott tun lassen, was er tun wird. Er setzt neu ein, inmitten all des Chaos in uns und um uns herum. Weihnachten können wir nicht machen, denn Weihnachten ist allein Gottes Neueinsatz. Unser Beitrag dazu ist nur, dass wir umkehren, dass wir uns dem neu ankommenden Gott zuwenden, dass wir ihn anfangen lassen. Manche Israeliten kehrten nicht zurück, weil sie sich in Babylon bequem eingerichtet hatten und es ihnen materiell nicht schlecht ging – könnte da von uns die Rede sein?

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Oder gehören wir zu jenen, die umkehren, die sich trösten lassen von Gott in all dem, was sie belastet, und die sich einen neuen Anfang schenken lassen wollen, den Anfang der Frohbotschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes?

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