Vortrag & Diskussion:
Trotz Fleiß kein Preis! Prekäre Arbeit - prekäres Leben?
Datum: Mittwoch, 30. Mai 2012, 19:30 Uhr
Ort: Universität Innsbruck, SoWi, Universitätsstraße 15, EG, Hörsaal 3, Innsbruck
Referentin: Dr.in Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin und Historikerin.
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Vortrag von Gisela Notz:
Ich komme gleich zum Thema: „Trotz Fleiß, kein Preis“. Das war der Titel des Heftes Nr. 29/1991 der beiträge zur feministischen theorie und praxis, deren Redaktionskollektiv ich angehörte. Auch damals ging es bereits um prekäre Arbeitsverhältnisse. Wir haben diesen Titel kontrovers diskutiert. Der Spruch heißt ja eigentlich: „Ohne Fleiß, kein Preis.“ Wir wählten die abgewandelte Form, denn wir wussten, dass viele Frauen, gerade Frauen, sich lebenslang abmühen und fleißig sind, und niemals einen Preis dafür bekommen.
„Wer nicht frei erwerben darf, ist Sklave.“
„Wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave.“ Das schrieb Louise Otto, eine der Gründerinnen der Bürgerlichen Frauenbewegung bereits 1866 in ihrem Buch Das Recht der Frauen auf ErwerbFN1). Ihr ging es schon damals nicht um irgendeine Arbeit, sondern, die Arbeit sollte die Selbstständigkeit der Frau ermöglichen.
„Selbstständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag. Das heißt, wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen und ohne fremde Beihülfe halten kann.“FN2)
Das schrieb sie weiter. Und unter diese Definition fällt keine Arbeit, die mit Niedrig- und Niedrigstlohn abgegolten wird – auch keine Mini-Jobs und 1-Euro-Jobs. Das sind, so glaub ich, Arbeitsverhältnisse, die ihr zum Teil in Österreich noch nicht habt. Frei erwerben kann aber auch keine Frau, die ehrenamtliche Gratisarbeit leistet, die bestenfalls mit einer kleinen Aufwandsentschädigung einhergeht. Das aber sind die Arbeiten, die viele Frauen heute angeboten bekommen und die auch schon in der Vergangenheit vor allem Frauen innehatten.
Auch Sozialistinnen der ersten Stunde hofften sich durch die Einbeziehung der Frauen in die Erwerbsarbeit die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Sie waren der Meinung, das sei die Voraussetzung zur Beseitigung der Unterdrückung der Frau durch die Abhängigkeit vom Mann. Nicht nur in der Fabrik sondern auch in der Familie. Auch sie kämpften für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, Seite an Seite mit den Männern und niemals gegen sie, und blieben doch immer einige Schritte hinter ihnen zurück. Während die proletarischen Frauenbewegungen für eine Umwälzung der gesamten Gesellschaftsordnung stritten, um mehr Gerechtigkeit und das Recht auf eigene Existenzsicherung zu erreichen, war es das zentrale Anliegen der bürgerlichen Frauenbewegungen den Zugang zu den Universitäten und den bis dahin männlich dominierten Berufen zu erlangen. Auch viele bürgerliche Frauen argumentierten nicht nur mit dem Recht auf Bildung, sondern auch mit der Notwendigkeit der eigenen materiellen Versorgung durch Berufsarbeit und der Beseitigung sozialer Missstände durch wissenschaftlich ausgebildete Frauen. Andere Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung sahen allerdings in der ehrenamtlichen Arbeit eine Möglichkeit zur Übernahme gesellschaftlicher Arbeit außerhalb des Hauses, für die sie kein Geld verlangten. Sie gingen davon aus, dass Frauen durch das Vermögen ihres Vaters oder das Einkommen ihres Mannes gut versorgt wären und sie es nicht nötig hätten einer eigenen Erwerbsarbeit nachzugehen. Sie gingen in die Hütten der Armen und verteilten die Armensuppe. Sie taten Gutes und redeten darüber.
Ich werde zunächst kurz zeigen, was ich heute behandeln werde:
Ganz wichtig ist mir der Blick auf die ganze Arbeit, das werde ich zuerst erklären. Dann frage ich danach, was Prekarisierung ist. Anschließend beleuchte ich die Krise des Sozialstaates, komme zur ehrenamtlichen Arbeit als scheinbare Lösung zum Flicken der Löcher im sozialen Netz, beleuchte einige kritische Aspekte zur Zukunft des Ehrenamtes. Abschließend zeige ich auf, dass auch der feministische Arbeitsbegriff kritisch zu beleuchten ist und frage nach Handlungsoptionen.
Der Blick auf die Arbeit als Ganzes
Die Integration in den Arbeitsmarkt bedeutet für Frauen „weder Geschlechtergleichheit noch ein Ende von Diskriminierung und Gewalt und erst recht keine entscheidende Umverteilung von Macht, Ressourcen und Rechten.“FN3)
Dies schrieb Christa Wichterich vor einiger Zeit im lunapark21.FN4) Angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt muss man ihr beipflichten. Schließlich haben sich die alten Frauenbewegungen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Einbeziehung der Frauen in den bezahlten Arbeitsmarkt die Emanzipation erhofft. Wenn sie erst einmal genauso gut ausgebildet sind, wie die Männer, dann werden sie auch die entsprechenden Positionen bekommen. So war die Annahme, die sich leider nicht erfüllt hat. Da sich meine Forschungen vor allem auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland beziehen, werde ich auch darauf im Wesentlichen eingehen. Vieles ist jedoch in Österreich ähnlich.
Die heutige westliche Arbeitsgesellschaft ist im Wesentlichen immer noch so strukturiert, dass von einem „Normalarbeitsverhältnis“ ausgegangen wird, in dem Männer einer Erwerbsarbeit nachgehen, während der Arbeitsbereich der Frauen in der Familie und im sozialen Ehrenamt verortet ist, allenfalls ergänzt durch einen weiblichen „Zuverdienst“. Das ist ein völlig antiquiertes Modell.
Alle könnten jetzt sagen, „… ja meine Eltern leben schon ganz anders.“ Aber die meisten Gesetze, der Wohnungsbau, die Kindergärten, die fehlenden nämlich, und Schulen, Altenbetreuung etc., sind immer noch an diesem Modell orientiert. Vor allem wird es immer noch an die Wand gemalt als das „Normalarbeitsverhältnis“ und die „Normalfamilie“. Diesem Arbeitsverständnis liegt die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung nach dem Vorbild der bürgerlichen Kleinfamilie zugrunde für Arbeiterhaushalte hat es ohnehin nie funktioniert, weil der Lohn des Arbeiters meistens nicht ausgereicht hat, um die ganze Familie zu ernähren. Deshalb schrieben Arbeiterfunktionäre immer wieder Petitionen an den Kaiser ihnen einen Lohn zu gewähren, damit sie so viel verdienen, dass sie ehrlich und ordentlich ihre Familie ernähren können und die Frauen zu Hause bleiben können. Schon damals haben die Arbeiterfrauen sehr viel prekäre Arbeit geleistet. Ich weiß das von meiner Großmutter. Sie hat genäht für Frauen, die ein bisschen mehr Geld hatten als sie. Aber sie hat sich immer als Hausfrau bezeichnet und mein Großvater, war stolz, dass seine Frau es nicht nötig hatte, arbeiten zu gehen. Daneben hat sie natürlich die Kinder, den Garten und die Kleintiere versorgt und was sonst alles zu einem Arbeiterhaushalt gehörte.
Prekäre Arbeit ist durchaus nicht neu aber in diesem Umfang, in dem sie heute geleistet wird, doch auch wieder neu. Die Wiederherstellung der traditionellen Arbeitsteilung, die auch der „Vollbeschäftigung“ zugrunde liegt, ist – wenn sie überhaupt möglich wäre, aus feministischer Sicht gar nicht wünschenswert. Sie schreibt den Frauen die Verantwortung für die Reproduktion der Familie zu und ignoriert gleichzeitig die durch sie geleisteten Haus- und Sorgearbeiten. Für Männer sichert sie den bezahlten Arbeitsplatz. Ebenso wenig ist es aber auch das modernisierte Vollbeschäftigungsmodell nach der Regel: Er arbeitet voll und sie arbeitet teilzeitig oder stundenweise, um gleichzeitig Kinder und Alte zu versorgen. Das wird auch von vielen sogenannten progressiven Arbeitsmarktforschern immer wieder propagiert. Die Frage, ob Haus- und Sorgearbeit produktiv oder ob sie als unproduktive aber notwendige Arbeit zu fassen sei, wird nicht nur unter Marxistinnen bis heute diskutiert. Und selbst Feministinnen sind sich da nie einig gewesen. Schon die neue Frauenbewegung hat heftig gestritten: Soll die Arbeit jetzt entlohnt werden?, im Sinne von Lohn für Hausarbeit oder sollen Frauen ebenso wie Männer in die Erwerbsarbeit einbezogen werden?
Arbeit gibt’s genug
Wenn wir uns mit prekärer Arbeit befassen, wird ein Blick auf die ganze Arbeit notwendig. Das heißt, Arbeit ist nicht nur eine Beschäftigung für die man Geld bekommt. Sondern Arbeiten sind auch jene Tätigkeiten, die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft und des menschlichen Lebens notwendig sind. Dass es unserer Gesellschaft nicht an Arbeit mangelt, wie oft behauptet wird, sondern an menschenwürdiger, existenzsichernder bezahlter Arbeit, wird besonders deutlich, wenn wir uns die Bereiche der Pflege und Gesundheitsarbeit ansehen, die Markt und Staat nicht regulär bezahlen wollen.
Ich werde heute nicht auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse eingehen, das hatte ich an anderer Stelle auch in Innsbruck schon getan. Ich fasse noch einmal zusammen, was Arbeit alles ist: Erwerbsarbeit mit den verschiedenen Facetten der prekären Arbeit, Haus- und Sorgearbeit und ehrenamtliche Arbeit mit den verschiedenen Facetten von unbezahlt geringfügig bezahlter Arbeit gehören zur Frauenarbeit. In der Zwischenzeit, da komm ich dann noch drauf zurück, gehören auch ehrenamtliche Arbeitsverhältnisse zu den prekären.
Ein großer Teil bisheriger Erwerbsarbeit verschwindet nicht, sondern er wird nur umorganisiert. Weg vom tariflich abgesicherten Normalarbeitsverhältnis hin zu Beschäftigungsformen, die das Arbeitsrecht nicht schützt und, die vor allem Frauendomänen sind. Das moderate Ansteigen der Frauenerwerbsquote in Westdeutschland – im Osten der Republik hat sie abgenommen – führt immer wieder dazu, dass Frauen als die Gewinnerinnen der Arbeitsmarktpolitik – da ist auch Frau von der LeyenFN5) zumindest sehr stolz darauf – bezeichnet werden. In Wirklichkeit – wenn man sich die Arbeitsstunden ansieht, die sie innehaben – kommt man darauf, dass sie sich die Arbeit in immer kleineren Portionen unter mehr Frauen aufteilen, als das vorher der Fall war. Insgesamt ist das bezahlte Arbeitsvolumen der Frauen kontinuierlich gesunken. Und in gleicher Weise nehmen die unbezahlten Arbeiten oder die unbezahlten Care-Arbeiten, mit denen man sich heute viel beschäftigt, zu. Dabei geht es allerdings nicht nur um Verluste an Arbeitszeit und an Existenzsicherung, sondern auch um Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Und die Meisten, die im Erwerbsarbeitsprozess stehen, wissen, dass neue schwerwiegende psychische und physische Belastungen, Gängelung, Überwachung, die Angst vor Erwerbslosigkeit und Armut im Alter, dass das auch Zukunftsängste schürt und die Beschäftigten erpressbar macht. Aber es macht auch verschiedene Beschäftigtengruppen gegeneinander ausspielbar: Frauen gegen Männer, Junge gegen Alte, Einheimische gegen Migrant_innen.
Prekarisierung – was ist das eigentlich?
Ich komm nun zu der Frage: Was ist Prekarisierung? Prekarisierung ist, wie ich schon sagte, ein moderner Begriff für ein doch ziemlich altes Phänomen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse. Die im Unterschied zu den tariflich und im Betriebskollektiv abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen, der sogenannten Stammarbeiter, als rechtlich, materiell und sozial ausgehöhlte, zerrüttete, als sich auflösende Verhältnisse zu bezeichnen sind. Dazu gehören Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung, freie Mitarbeit, Werksvertragsverhältnisse, KAPOVAZFN6) , Job-Sharing und andere Formen von Teilzeitarbeit, Heimarbeit und Schwarzarbeit.
Carola Möller entlarvte die prekäre Beschäftigung 1982 in einer empirischen Studie als „eine der wichtigsten Kapitalstrategien“, die geeignet sei, die Arbeit von der gut bezahlten über die schlecht bezahlte zur unbezahlten Arbeit hin umzuverteilen. Und sie stellte schon damals fest, dass diese Strategie weder neu, noch eine kurzfristige Erscheinung im Rahmen einer Krise sei, sondern eine „konsequente und notwendige Weiterentwicklung der Kapitalverwertungsform“. Sie stellte fest: „auch wenn Männer jetzt“ – das war 1982 – „mehr und mehr ebenfalls in ungeschützte Arbeitsverhältnisse kommen, so hebt das die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung nicht auf“, sondern – das zeigen ihre Fallstudien – „Frauen erhalten in den schlechten Arbeitsverhältnissen weiterhin“, – also nochmal – „die schlechteren Plätze.“FN7) Leider sollte sie Recht behalten.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse weichen zumindest in einem zentralen Element vom typischen Normalarbeitsverhältnis ab. In den meisten Fällen fehlen die Sozialversicherung und die Vertragsdauer. Aber auch die Regelung der Arbeitszeit, die Sicherung des Arbeitsplatzes oder die Sonderleistungen können fehlen oder abweichen. Je mehr Abweichungen vom Normalarbeitsverhältnis vorhanden sind, desto prekärer ist das Beschäftigungsverhältnis. Von prekären Zeiten kann man aber auch in Bezug auf die Lebenszeit sprechen. Angesprochen wird hierbei eine Lebenslage, die sich vor allem durch schwindende Möglichkeiten zu einer längerfristigen Lebensplanung auszeichnet. Und das ist wohl das größte Problem. Viele junge Leute betrifft das heute, und vor allem auch viele Akademiker_innen. Das ist ein Phänomen, das zu Zeiten meiner Großmutter noch nicht so sehr verbreitet war.
Prekarisierung und ihre Auswirkungen
Nach Schätzungen der UNO-Arbeitsorganisation geht rund die Hälfte aller Arbeitnehmer_innen weltweit einer ungeschützten, sprich atypischen Beschäftigung nach. Der Großteil, der davon Betroffenen, seien auch weltweit nach wie vor Frauen. Prekäre Arbeit nimmt weltweit, europaweit und, wie wir auch wissen, in Österreich zu. In Österreich ist die Prekarisierung im EU-Vergleich sogar ausgesprochen ausgeprägt. Rund 1 Mio. unselbstständig Beschäftigte waren in ihrer Haupttätigkeit atypisch beschäftigt. Es wird immer damit argumentiert, das sei nur ein Zubrot. Nein, für die meisten ist es die Haupttätigkeit. Manche haben mehrere prekäre Arbeitsverhältnisse, aber manche müssen auch von einem leben, oder erhalten zusätzlich noch Sozialgeld. Jetzt vergesse ich immer wie das bei euch heißt (Anm. WuV: in Österreich). Wie heißt das? – Mindestsicherung (Anm. WuV: Stimme aus dem Hintergrund) – Mindestsicherung. Es ist aber auch keine Mindestsicherung. Also, ich meine sie reicht ebenso wenig wie in der BRD zum Leben
Österreich befindet sich in allen drei untersuchten Kategorien (Anteil von Arbeitnehmer_innen, die Teilzeit arbeiten, geleistete Überstunden und Anteil der Arbeitnehmer_innen mit langen Arbeitszeiten von 48 Stunden pro Woche und mehr) in der Spitzengruppe der EU-Mitgliedsstaaten. Ich denke, das ist keine Auszeichnung. Aber Deutschland gibt auch kein viel besseres Bild ab. Die bei der Arbeitszeit flexibelsten Länder in Europa sind danach Österreich und Großbritannien. Am unflexibelsten im Arbeitszeitbereich sind Portugal, Litauen, Zypern und Ungarn. Länder, von denen wir immer denken, sie würden uns hinterherhinken. In Westdeutschland arbeitet fast die Hälfte, in Ostdeutschland mehr als ein Viertel der abhängig beschäftigten Frauen in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Teilzeitarbeitsverhältnisse sind nicht per se prekär. Aber da, wo man davon wirklich leben kann wird selten geteilt. Da – so wird argumentiert – wäre Teilzeit nicht möglich.
Im Jahr 2007 waren 8 % der erwerbstätigen Männer und 45,3 % der Frauen in der BRD teilzeitbeschäftigt. Die geschlechtsspezifische Verteilung zeigt schon, dass es eben nicht ein gleichermaßen erstrebenswerter Job ist. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, weil eine Vollzeitarbeit nicht zu finden ist. Das widerspricht dem Argument, Teilzeitarbeit würde von den Frauen gewünscht, weil sie nur so Beruf und Familie vereinbaren können. Viele Studien verschiedener Auftraggeber zeigen, Frauen würden gerne mehr arbeiten, aber sie bekommen keinen anderen Arbeitsplatz angeboten. Die meisten Teilzeitarbeiterinnen arbeiten im Dienstleistungssektor und vor allem in Bereichen mit hohem Leistungsdruck und mit wenig Einkommen. Das bedeutet aktuell keine eigenständige Existenzsicherung und auch oft Armut im Alter.
Altersarmut und die Rückkehr der Dienstbotinnen
Die Altersarmut, wird in absehbarer Zeit zum Problemwerden, das ist in Österreich nicht anders, wenn die Frauen aus den prekären Arbeitsverhältnissen im Rentenalter sind. Dann wird man sich etwas ausdenken müssen. Fast ein Drittel der Rentnerinnen sind schon heute von Armut bedroht. Und ganz klar ist, was früher immer bestritten wurde, bestreitet heute kaum mehr jemand, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mit der Einführung der Mini-Jobs zurückgegangen sind. Die Arbeitgeber_innen verändern Vollzeitarbeitsverhältnisse in Teilzeit und Teilzeitarbeitsverhältnisse in Mini-Jobs. Ich selbst habe in bekannten Kaufhäusern geforscht, in denen nur noch der Abteilungsleiter/die Abteilungsleiterin ein volles Arbeitsverhältnis hatte und die anderen Frauen Mini-Jobs. Allerdings hab ich auch in Düsseldorf – ich hoffe, es ist heute noch so – von einer Betriebsrätin gehört, dass es in einem großen Kaufhaus keinen Mini-Job gibt, weil ein starker Betriebsrat das verhindern konnte. Solche positiven Beispiele sollte man bekannt machen.
Ganz besonders prekär sind die Mini-Jobs in Privathaushalten. Dort arbeiten vor allem Frauen aus anderen Ländern, aus armen Ländern der Welt, weil der Ausbau der öffentlichen Care-Infrastruktur ausbleibt, KiTasFN8) fehlen oder die alten Menschen nicht richtig versorgt sind; Und weil die meisten Männer die gleichberechtigte Anteilhabe an der bezahlten Reproduktionsarbeit noch immer nicht attraktiv finden. Deshalb breiten sich bei besserverdienenden Familien wieder Dienstbot_innenmodelle aus. Das ist eine schlechte Lösung des Problems. Die alte Frauenbewegung hat das sehr problematisiert, zum Beispiel auch Louise Otto. Es ist schon die Frage, ob unter emanzipatorischen Gesichtspunkten eine Ausweitung dieses Beschäftigungsverhältnisses von Dienstbot_innen überhaupt wünschenswert ist. Heute wird die Rückkehr der Dienstbot_innen nicht problematisiert sondern als Innovation gefeiert.
Lily Braun sagte um die Jahrhundertwende, und es gilt auch heute noch: „Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person.“FN9) Und heute gibt es keine Dienstbotinnenvereine, die dafür sorgen, dass wenigstens die minimalsten Rechte eingehalten werden. Wenn wir die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Haupternährer und Hausfrau bzw. Zuverdienerin in kleinfamiliären Lebensformen nicht mehr wollen, und wenn sie nur auf Kosten von Frauen aus Ländern der Armutsregionen aufzulösen ist, dann sollte man doch überlegen, ob die in den 1970er-Jahren einmal aufgenommene Diskussion, dass man nicht nur die betriebliche Arbeitsorganisation und die betriebliche Strukturen ändern muss, sondern, dass sich auch die familiären ändern müssten, nicht wieder aufgenommen werden muss.
Selbstständige und die working poor
Kurz erwähnen möchte ich, dass zu den prekären Arbeitsverhältnissen auch viele selbstständige Frauen gehören, die einfach so wenig verdienen, dass sie davon nicht eigenständig leben können. EU-weit wird die „Förderung des Unternehmerinnengeistes“ propagiert. Und manchmal, wenn ich dann wieder Kleinunternehmer_innen sehe, die bald wieder verschwinden, früher waren es oft Wolllädchen, heute sind’s andere Läden oder auch Dienstleistungen – dann muss ich immer denken: Da ist er wieder der Unternehmer_innengeist. Das ist eben nicht so einfach. Man muss da auch andere Möglichkeiten als ein bisschen Anschupfinanzierung, nach denen man die Frauen alleine lässt, schaffen.
Der gesamte Niedriglohnsektor ist auch noch zu erwähnen. Da gibt es viele Vollzeitbeschäftigte, das ist die Frisörin aber auch viele Verkäuferinnen, Arzthelferinnen, die 8 Stunden am Tag arbeiten und so wenig verdienen, dass sie nicht davon leben können. Auch in Österreich gehört jede zehnte Beschäftigte zu den working poor, und das ist nicht hinzunehmen.
Kosten sparen auf Kosten des Ehrenamts
In der aktuellen sozialpolitischen Diskussion geht es um den aktivierenden Staat, die Zivilgesellschaft, um Selbsthilfe, Bürger_innensinn und Gemeinsinn. Alle diese Begriffe haben Konjunktur. Es geht darum, dass soziale und gesundheitliche, auch kulturelle Versorgung großflächig reprivatisiert wird, in Familien verlagert wird oder an ehrenamtliche Arbeit und Selbsthilfe übergeben wird. Das wird dann mit einem ideologischen Mäntelchen zugedeckt. Man spricht vom Vorteil menschlicher Wärme in kleinen Netzwerken im Vergleich zur Kälte der professionellen Hilfeexpert_innen. Arbeit ist aber nicht schon deshalb wertvoller, weil sie nicht bezahlt wird. Das gilt für die Arbeit in der Familie ebenso wie für die ehrenamtliche Gratisarbeit. Ehrenamtliche Arbeit soll glücklich, gesund und zufrieden machen, weil man aktiv auf das Lebensumfeld einwirken kann, Verantwortung übernimmt, und vor allem nicht einsam ist. Man muss nur den unversorgten Hilfsbedürftigen in der eigenen Stadt zur Seite stehen.
Durch den erschreckenden Umfang zunehmender ökonomischer und sozialer Unsicherheit, Erwerbslosigkeit und Armut wächst natürlich die Zahl der Hilfsbedürftigen und es finden sich immer wieder Argumente, wie die folgenden:
Soll die gesamte soziale oder kulturelle Arbeit oder die Arbeit im Gesundheitsbereich von professionellen Helfer_innen erbracht werden, ist sie nicht mehr bezahlbar. Deshalb ist ergänzend zum institutionell und professionell organisierten Hilfesystem bürgerschaftliches Engagement erforderlich.
Im aktivierenden Staat geht es meistens darum sozialstaatliche Kosten zu sparen und der Eigenverantwortung zu übertragen. Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement werden als kostengünstige und bedarfsgerechte Antwort auf eine ganze Palette sozialer Problemlagen und Alltagsproblemen behandelt. Unser Gemeinwesen lebt von der Mitwirkung und Mitgestaltung seiner Bürger_innen. In der sozialen, kulturellen, pädagogischen, Gesundheits- und Altenarbeit leisten sie bezahlte und unbezahlte Arbeit. Viele arbeiten in beiden Bereichen. Und in beiden Bereichen, sowohl in der bezahlten wie auch in der unbezahlten Arbeit bestimmen sie die Lebensqualität entscheidend mit. Vergessen wir nicht, dass auch Hauptamtliche ihren Beruf oft deshalb gewählt haben, weil sie verantwortungsvoll und solidarisch für die Gemeinschaft tätig sein wollen. Viele soziale Projekte und Einrichtungen würden jedoch nicht mehr bestehen, wenn genau diese Ehrenamtlichen nicht für ihr Fortbestehen sorgen würden. Ich habe eine Studie zur ehrenamtlichen Arbeit im Kulturbereich erstellt. Da werden Bibliotheken geschlossen. Wenn die Ehrenamtlichen die Arbeit nicht übernehmen, dann sind sie eben weg. Das gilt auch für Museen und andere Bereiche, von denen mir das selbst nicht so klar war. Kultur würde wieder zum kostbaren Gut werden, das sich nur Wenige leisten können, wenn die Ehrenamtlichen nicht auftauchen würden und die gesamte Soziokultur würde zusammen brechen.
Ehrenamt – irgendwo zwischen Ehre und Amt
Konsens ist: Wer sich freiwillig und uneigennützig engagiert, verdient Anerkennung und Respekt! Aber: Ehrenamtliches Engagement kann in Zeiten des sozialen Abbaus nicht von oben verordnet werden. Weder finden sich aktive Bürger_innen umstandslos von selbst, noch darf Eigeninitiative, die sich auch politisch kritisch zu Wort melden will, missachtet und blockiert werden. Ehrenamtliches Engagement darf aber auch nicht als kostenneutrale Antwort auf fast jedes gesellschaftliche Krisensymptom betrachtet werden. Hier trifft zu, was Carola Möller – die ich schon zitierte – in ihrer Studie feststellte: Bezahlte Arbeit wird auch in gänzlich unbezahlte Arbeit umgewandelt.
Wenig problematisiert wird, dass der Bereich der unbezahlten Pflegearbeiten in Ehrenamt und Familie durch die Dezimierung sozialstaatlich bereitgestellter Mittel ständig wachsender Belastung ausgesetzt ist. Viele Familien können das nicht zusätzlich leisten. Bestehende primäre und sekundäre Netzwerke werden hoffnungslos überlastet. Und dieser Belastung sind auch Grenzen gesetzt. Nicht zuletzt weil Frauen aufgrund ihrer Berufstätigkeit diese Arbeiten nicht mehr kostenlos übernehmen wollen und können.
In der BRD wird immer wieder von der steigenden Erwerbsneigung der Frauen im Westen und der ungebrochenen Erwerbsneigung im Osten gesprochen. Nach der Wiedervereinigung wurde immer wieder versucht, den Frauen die Hausfrauentätigkeit schmackhaft zu machen. Zumindest für eine Zeitspanne des Frauenlebens sollte das Hausfrauenmodell wieder hergestellt werden. Seit 2013 bekommen Mütter, die keinen Platz in einer Kindertagesstätte übernehmen ein Betreuungsgeld. Mit hausarbeitenden Müttern wären die Lücken in der ehrenamtlichen Arbeit freilich leichter zu stopfen.
Schaut man sich den Freiwilligensurvey für die BRDFN10) an, so sind bereits 36 % aller Menschen über 14 Jahren irgendwo ehrenamtlich tätig: 40 % der Männer, 32 % der Frauen. Das verwundert jetzt ein bisschen, aber wenn man die Feuerwehr, die Pfadfinder, die Gemeinderäte und die Betriebsräte dazuzählt, dann kommt man darauf, dass mehr Männer ehrenamtlich arbeiten. Wenn man aber auf die Engagementbereiche im Sozial-, Gesundheits- und Altenbereich schaut, dann sind es vor allem Frauen, die die Arbeit machen. Das sind auch die Bereiche, wo es die vakanten Plätze gibt. „Wer pflegt uns, wenn wir alt sind“, scheint das dringendste Problem unserer Zeit zu sein. Die Bereiche, in denen Männer unbezahlt arbeiten, sind dagegen diejenigen, die wirklich mit Ehre verbunden sind. Das sind oft Ämter, in denen darüber entschieden wird, wie sich unser Gemeinwesen gestaltet und, für diese Ämter wird selten der Beruf aufgeben. Ehrenamt im sport zum Beispiel ist eine Männerdomäne. Dafür wird selten der Beruf aufgegeben, was bei der Pflege von älteren Menschen oft der Fall ist.
Die Frauenbereiche sind aber auch diejenigen, die, wie der Ehrenamtsforscher Thomas Olk sagt, „mit Dilettantismus, Randständigkeit und aufgezwungener bzw. eingelebter Selbstbescheidung“FN11) verbunden sind. Die Selbstbescheidung traut man immer noch den ehrenamtlichen Frauen zu. Das sind aber die Bereiche, für die die Werbetrommel gerührt wird, weil sie – wenn sie nicht unentgeltlich geleistet würden – Versorgungslücken hinterließen.
Auch im Ehrenamt ist es immer noch so wie sonst im Leben auch. Ich unterscheide daher zwischen dem EhrenAMT in den Vorständen der Wohlfahrtsverbände, in Aufsichtsräten, kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kirchlichen Gremien und der ehrenamtlichen ARBEIT im Sozial-, Kultur-, Alten-, Gesundheitsbereich als unbezahlte fürsorgerische Arbeit, die meist durch Frauen geleistet wird. Diese Trennung funktioniert immer noch.
Neue Zielgruppe für das Ehrenamt – die fitten Alten
Alte Menschen arbeiten genauso viel ehrenamtlich, wie junge. Junge Menschen arbeiten genauso viel wie mittelalte, da gibt es kaum Unterschiede. Aber es sind vor allem die älteren Menschen, um die heute geworben wird. Da gibt’s Tagungen, Broschüren und alles Mögliche, weil sie ja eine hochmotivierte Personengruppe sind. Sie verfügen über Ressourcen von ganz besonderem Wert, die alten Menschen, weil sie über Zeit verfügen. Zumindest nimmt man an, dass sie über Zeit verfügen, die sie sinnvoll nutzen wollen. Sie wollen aber auch Neues lernen, ihren Horizont erweitern. Sie wollen Nützliches tun und, sie wollen auch Spaß bei der Arbeit haben. Spaß bei der Arbeit ist ganz wichtig. Nun sind die Frauen und Männer – ich konnte das selbst beobachten –, die jetzt in diese Altengruppe kommen, aber auch diejenigen, die viel Erfahrungen – nicht nur aus bezahlter Berufsarbeit – angesammelt haben, sondern auch aus außerberuflichem Engangement, zum Beispiel in der Frauenbewegung, in Bürger_innen-Initiativen. Sie haben gelernt, sich kritisch einzumischen. Das lässt die Hoffnung zu, dass ehrenamtliche Arbeitende nicht mehr nur an der Linderung von Symptomen interessiert sind, sondern Missstände auf die politische Agenda setzen, um darauf zu dringen, dass sich etwas ändert. Sie würden vielleicht auch danach fragen, woher die Armut kommt und was man politisch dagegen tun kann.
Was die älteren Frauen betrifft, so kann man bei vielen Diskussionen hören, dass nicht nur ihre Lebenserwartung, sondern auch die Erwartung an das Leben gestiegen sind: „Ja, ich hab mein Lebtag Kümmerarbeit gemacht: Ich hab so und so viele Kinder großgezogen und den Opa auch noch gepflegt. Ich will jetzt was ganz anderes machen. Ich will jetzt nicht mehr sorgen und pflegen.“
Da gibt es auch gute Gründe dazu. Es ist der Bereich der „Altenhilfe“, um die es im Folgenden geht. Wie ich schon sagte ist Altenhilfe fast zu 100 % Frauensache. Das gilt sowohl für den bezahlten Bereich als auch für den unbezahlten Bereich, für die ehrenamtliche Arbeit und auch für die Familienhilfe. Männer sind da schwer zu finden. Vielleicht werden sie jetzt sagen: „ich kenne aber einen“. Ja, ich kenn auch einen, der seinen Beruf zumindest reduziert hat, um seine Frau zu pflegen. Aber das sind noch exotische Ausnahmefälle, zumeist ist es doch eher umgekehrt.
Der Bundesfreiwilligendienst – oder die Prekarisierung des Ehrenamts
In der Bundesrepublik bekommen wir ein Problem, weil mit in Kraft treten des Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften ab 1. Juli 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt worden ist; und damit auch der Zivildienst. Traditionell waren Altenarbeit und die Arbeit im Sozial- und Gesundheitsbereich Haupteinsatzbereiche der rund 90.000 Zivildienstleistenden. Und jetzt könnte man sagen: Dann gibt es keine Pflichtdienste mehr in der Bundesrepublik – das ist ein Grund zu Freude.
Aber Bundesministerin SchröderFN12) sah darin eine soziale Katastrophe. Klar war: Es müssen neue Arbeitsverhältnisse an die Stelle des Zivildienstes treten. Von diesem Zeitpunkt an, kann man von der Prekarisierung der ehrenamtlichen Arbeit sprechen. Durch den Bundesfreiwilligendienst, der im Jahre 2011 eingeführt wurde, sollen die Zivildienstler ersetzt werden. Freiwilligendienste gibt’s schon lange. Das freiwillige soziale Jahr – ich habe gerade das Gesetz darüber gelesen – wird schon lange gut angenommen, auch ein ökologisches Jahr sowie ‚weltwärts‘ für junge Leute, die ins Ausland gehen können. Es wird ohnehin schon lange drüber diskutiert, wie man diese Freiwilligendienste für junge Leute auch auf ältere ausdehnen könnte. Zudem ging es darum, die ehrenamtliche Arbeit insgesamt, in verbindlichere und verlässlichere Strukturen zu bringen und in vertragliche Vereinbarungen einzubinden, damit die Ehrenamtlichen nicht einfach kommen und gehen, wann sie wollen.
Personalmangel gab es im Bereich der Altenhilfe und im Sozial- und Gesundheitsbereich auch schon bevor der Zivildienst wegfiel; Aber nun fehlen 90.000 Arbeitsstellen zusätzlich. Und weil nicht mehr alle – besonders nicht alle Älteren – umsonst arbeiten können, wurde nach einigen generationsübergreifenden Modellversuchen, der Freiwilligendienst monetarisiert. Die Bundesregierung hat sich die Plakataktion zur Anwerbung von „Freiwilligen“ nach dem Motto „Nichts erfüllt mehr, als gebraucht zu werden“ eine ganze Menge kosten lassen und auch ein Bundesfreiwilligengesetz verabschiedet. In der Verwaltung geschieht durch das „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“, das ist das frühere Amt, das den Zivildienst geregelt hat. Die freiwillige Verpflichtung – wie ich es mal nenne – soll für Männer und Frauen aller Altersklassen gelten. Der Dienst dauert mindestens 6 und höchstens 18 Monate, umfasst 40 Stunden in der Woche für unter 27-Jährige und mindestens 20 Stunden für Ältere. Für 40 Stunden in der Woche bekommt man maximal EUR 336,00 monatlich. Hier handelt es sich wirklich um die die prekärste Arbeitssituation, die man zurzeit in der Bundesrepublik haben kann. Nun kann man sagen: Gut, manche haben vorher umsonst gearbeitet, für die sind die EUR 336,00 viel Geld. Wer weniger als 40 Stunden arbeitet bekommt allerdings noch weniger Geld. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren Organisationen (BAGSO) war zunächst skeptisch: Sie fand eine Verpflichtung von 20 Stunden für ihre Senior_innen ziemlich problematisch, arrangierte sich aber dann doch mit dem Programm. Die Freiwilligen sollen im sozialen, ökologischen Bereich, sport, in der Integration und Kultur vermittelt werden. Schwerpunkt ist jedoch die Kinder- und Jugendbetreuung, Behindertenhilfe und natürlich die Altenbetreuung. Die meisten Bilder – eines zeigte ich schon – zeigen die Altenbetreuung. „Bufdi“ heißen die Bundesfreiwilligendienstler_innen anstelle von „Zivis“ für die früheren Zivildienstleistenden. Das ist nicht diskriminierend, denn Frau Ministerin Schröder soll das selber aufgebracht haben und nun werden sie auch allgemein so genannt.
Abwertung des Ehrenamts
Es ist ein Taschengeld, was sie bekommen, von mehr kann man nicht sprechen. Die großen Wohlfahrtsverbände waren zunächst skeptisch, sind aber alle beteiligt. Sie kriegen ca. EUR 200,00 Zuschuss pro Mensch wenn sie eine Stelle einrichten. Gut 35.000 Menschen sind seit Frühjahr 2012 im Einsatz. Der Dienst lief zunächst ganz langsam an, war aber bald überfüllt. Arbeitslosengeld II-Empfänger_innen – also Mindestsicherungsempfänger_innen – können diese Arbeit auch bekommen, werden aber nicht dazu gezwungen und erhalten auch keine Sanktionen, wenn sie sie nicht annehmen. Sie dürfen seit 1. Januar 2012 EUR 175,00 zusätzlich zu ihrer Mindestsicherung behalten. Vorher durften sie nur EUR 60,00 behalten. Das macht für viele Langzeiterwerbslose und für arme Rentner_innen einen großen Unterschied. Im Bundestag wurde darüber sinniert, ob die Freiwilligen Lohnempfänger_innen, also Arbeitskräfte sind. Es gibt eine kleine Anfrage von der Linksfraktion, die darauf hinweist, dass die Bufdis ausreichend entlohnt werden müssen, auch um zu verhindern, dass der Bundesfreiwilligendienst ein verkappter Niedriglohnsektor wird. Das ist er aber von Anfang an. Expert_innen zweifelten schon im Vorfeld daran, dass die im Gesetz gebotene arbeitsmarktneutrale Ausgestaltung durchgehalten wird. Tatsächlich wurde bereits aus dem ersten Bericht deutlich, dass Risiken durch „Tätigkeitsprofile, die stark an Erwerbsarbeit erinnern“, nicht auszuschließen sind. Aber selbst die Beschränkung auf „unterstützende Tätigkeiten“ wäre problematisch und schwer zu definieren. Denn damit würde zwischenmenschliche emotionale Zuwendung für Alte, Kranke und Kinder – Tätigkeiten, die früher integrierter Bestandteil der Berufe von Altenpfleger_innen etc. waren – nun mit Niedrigstlöhnen versehenem Hilfspersonal überantwortet. Und die bereits ausgehandelten Mindestlöhne werden locker umgangen.
„Zeit das Richtige zu tun!“ war auch ein Slogan auf den Plakaten der Bundesregierung. Am 12. Juni 2012 gibt es eine große Feier anlässlich des einjährigen Bestehens, zu der ich auch eingeladen bin. Ich kann dann darüber berichten. Ja, Zeit das Richtige zu tun. Da muss man sich schon fragen, was ist das Richtige. Wohlfahrtsexpert_innen haben lange darauf hingewiesen, dass es um die Zukunft der Pflege älterer Menschen in Deutschland nicht gut bestellt ist. Im Sozialbereich und vor allem in der Altenpflege müssten mehr qualifizierte sozialversicherungspflichtige „reguläre Arbeitsplätze“ geschaffen werden. Altenpflege ist ein mit einer guten Ausbildung – wie ich finde – versehener Ausbildungsberuf. Der muss finanziell und ideell aufgewertet und die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden.
Anerkennung der Pflegeleistungen geht anders
„Auf gute Pflege haben alle ein Recht, sie darf nicht arm machen“, sagt das Bündnis für Pflege, in dem sich verschiedene Verbände, darunter auch Wohlfahrtsverbände und die große Dienstleistungsgewerkschaft Ver.diFN13) zusammengeschlossen haben. Sie wollen die aktuelle Situation nicht länger hinnehmen, fordern bessere Leistungen für Pflegebedürftige, Unterstützung und Anerkennung für Angehörige, bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte. Mit dem Bundesfreiwilligendienst fährt der Zug in die entgegengesetzte Richtung. Zudem gibt es neue Unterschichtungen bei den Beschäftigten. Wir haben in vielen Einrichtungen, vielleicht im Altenbereich nicht so, aber in Familienberatungszentren beispielsweise, eine Vielzahl von verschiedenen Arbeitsverhältnissen: von gut ausgebildeten und bezahlten Psycholog_innen oder auch Geschäftsführer_innen über die 1-Euro-Jobs, die Mini-Jobs und eine Vielzahl von Geringfügig-Beschäftigten bis hin zu Menschen, die ganz ohne Geld arbeiten. Und nun haben wir auch noch die Bufdis dabei. Das führt zu Konkurrenz und auch zu Auseinandersetzungen.
Wo endet die Würde?
Man macht sich schon Gedanken über die älteren Menschen. Seit Februar 2012 gibt es ein vom Niedersächsischem Ministerium für Soziales, Frauen, Gesundheit, Familie und Integration initiiertes und gefördertes Forschungsprojekt „Einsamkeit und Ehrenamt im Alter“. In drei Musterkommunen sollen dafür ältere Ehrenamtliche gewonnen werden.
Politiker_innen, Wissenschaftler_innen und Wohlfahrtsverbände denken immer wieder über innovative und unkonventionelle Lösungen nach, um die gewaltigen Herausforderungen des demographischen Wandels zu bewältigen; Dafür sind insbesondere die Senior_innengruppen mit einzubeziehen. Ehrenamtliches Engagement hatte immer einen doppelten Sinn. Nämlich einerseits die Menschen, die nach gesellschaftlich notwendiger und nützlicher Arbeit suchten zu befriedigen, und andererseits die herausgefallenen Armen und Armgemachten zufrieden zu stellen. Die Menschen, die nach Sinn suchten, waren früher die bürgerlichen Damen, die aufgrund ihrer Vermögen oder wohlhabenden Ehepartner es nicht nötig hatten, für die Arbeit Geld zu nehmen und jetzt sind es viele Erwerbslose, Migrant_innen und die fitten Alten, die man gewinnen will.
Vor dem Hintergrund der skizzierten Problemkonstellationen gilt es schon zu überlegen, welche Freiwilligendienste und welches bürgerschaftliche Engagement oder ehrenamtliche Engagement man fördern will. Zurzeit geht es immer vor allem um caritative Maßnahmen. Ein „neues“ Betätigungsfeld für „freiwillige“ Arbeit eröffnet sich durch so genannte „existenzunterstützende Maßnahmen“. Darunter werden Suppenküchen und Sozialkaufhäuser, Kleiderkammern und Tafeln mit aussortierten Lebensmitteln u.a. verstanden, die von „Freiwilligen“ betrieben werden und Bedürftigen mit Sachspenden helfen wollen. Keiner wird die Notwendigkeit solcher Einrichtungen bestreiten. Denn oft gäbe es angesichts des niedrigen Arbeitslosengeldes II und der zunehmenden Anzahl der Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder eine niedrige Rente beziehen, schon zur Monatsmitte oft nichts zu essen, wenn sie nicht eingerichtet würden. Die Tafeln leben von Spenden und gespendeten Lebensmitteln.
Das Einrichten von Tafeln mit aussortierten Lebensmitteln für Arme und Hilfsbedürftige mindert den Reichtum der Wohlhabenden ebenso wenig, wie es das Kochen und Verteilen von Armensuppe der ‚besser gestellten Damen‘ zu Beginn der Industrialisierung getan hat. Es ist aber geeignet, das soziale Prestige der Wohltätigen zu mehren und die Hungernden zu demütigen. Sie sind die Bittsteller_innen und sie bleiben auch arm. Plausibel wäre es, auf die Krise und zunehmende Armut auch mit politischem Engagement zur Bekämpfung von Armut zu reagieren und nicht alleine mit Initiativen der Mildtätigkeit und mit Einrichtungen der Barmherzigkeit, mit deren Hilfe Freiwillige und Arme lernen sollen, sich mit der eigenen Armutslage zu arrangieren und mit den sozialen Bedingungen auszusöhnen, statt sich dagegen aufzulehnen.
Der Staat entzieht sich seiner Verantwortung
Die sozialstaatlichen Budgets werden zurückgefahren und es entsteht eine neue moralische Ökonomie, die mit existenzunterstützenden Angeboten, wiederum getragen vor allem von Frauen, verbunden sind. Es entsteht eine Almosengesellschaft, in der Bedürftige nicht mehr auf einklagbare Ansprüche, sondern auf die individuelle „Solidarität“ angewiesen sind. Denn man kann den Suppenhahn jederzeit wieder zudrehen. Es sind auch überwiegend Frauen, die dann lernen sollen mit dieser Armut zurecht zu kommen und mit dem Zugeteilten hauszuhalten. Es gilt daran zu erinnern, dass ehrenamtliches Engagement genauso wie bezahlte soziale Arbeit in der Zivilgesellschaft auch einen politischen Auftrag hat: Nämlich den Blick auf den sozialen und kulturellen Wandel zu richten und dem Raubbau an den Ressourcen, sowohl was die Umwelt als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft, für die Zukunft entgegenzuwirken. Es ist eigentlich lange bekannt, dass Freiwilligenarbeit erst dann effektiv eingesetzt werden kann, wenn die professionelle Versorgung von Hilfe-, Versorgungs- und Betreuungsbedürftigen sichergestellt ist und wenn die Arbeit wirklich freiwillig und aus Liebe verrichtet werden kann. Das heißt, wenn die eigenständige Existenzsicherung der Helfenden und Versorgenden gewährleistet ist. Das hieße, dass jüngere Menschen eine existenzsichernde Ausbildung oder Erwerbsarbeit haben und daneben diese caritative Arbeit oder auch politische Arbeit leisten können, und dass die Alten durch eine ausreichende Rente abgesichert sind. Das ist bei vielen Frauen überhaupt nicht der Fall. An diesen Kriterien sind aber die Maßnahmen, die aufgelegt werden, zu messen.
Was muss sich konkret ändern?
Ich frage jetzt, was eigentlich notwendig ist für die Zukunft. Für das Kapital ist die prekäre Arbeit einschließlich der monetarisierten Freiwilligenarbeit äußerst nützlich. Vor allem zum Lohndrücken. Alle prokapitalistischen Parteien in der Bundesrepublik – und leider auch führende Gewerkschafter_innen – stehlen sich vor der Aufgabe davon, die Forderung nach radikaler Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Bereich der Vollzeitbeschäftigten in Angriff zu nehmen. Nur so könnte man die existenzsichernde Erwerbsarbeit auf mehr Menschen verteilen und müsste sie nicht in immer kleinere Portionen aufteilen. Es geht um die Beendigung der Deregulierung, die Beseitigung der prekären Arbeitsbedingungen und die Neugestaltung von Arbeit und Tarifrecht. Es geht auch um eine Neuverteilung und Neubewertung der Arbeit. Es geht um sinnvolle, gesellschaftlich nützliche und möglichst selbstbestimmte Arbeit in allen Arbeitsbereichen. Es geht nicht um Arbeit um jeden Preis. Auch die unbezahlten Arbeiten sind nicht schon deshalb sinnvoll, weil sie nicht bezahlt werden. Es geht auch um eine Humanisierung und Demokratisierung der Arbeit in allen Arbeitsbereichen.
Wir brauchen gesetzlich festgelegte Mindestlöhne. Und solange es Erwerbslosigkeit und Ausgegrenzte gibt, braucht es eine Mindestabsicherung, die keinen diskriminierenden Charakter hat und Mindestrenten für die Älteren. Die Abschaffung von Leiharbeit und Mini-Jobs und auch die Bereitstellung pädagogisch und pflegerisch wertvoller Infrastruktur für Kinder und für Menschen, die sich nicht mehr oder vorübergehend nicht selbst helfen können, werden notwendig. Angesichts der Internationalisierung der Wirtschaft wird die Verständigung über weltweite Mindeststandards immer dringlicher, damit wir unsere Standards nicht auf Kosten der Menschen aus anderen Ländern halten.
Arbeit muss wieder als Ort der Kommunikation und Kooperation der gesellschaftlichen Partizipation und der Möglichkeit zum solidarischen Handeln reaktiviert werden. Schließlich geht es um die Aufhebung der entfremden Arbeit in allen Arbeitsbereichen und die Teilhabe von Männern und Frauen am ganzen Leben.
Dankeschön.
Fußnoten:
FN1) Vgl. dazu Otto-Peters, L.: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Wiederveröffentlichung der Erstausgabe aus dem Jahr 1866.
FN2) Ebda.
FN3) Vgl. Wichterich, Christa.: Frauen als soziale Air Bags. Ein feministischer Blick auf die globalen Krisen, in: lunapark21, H. 6, S. 22 - 25
FN4) Vgl. lunapark21 – zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie
FN5) Anm.: Ursula von der Leyen: deutsche Politikerin der CDU, war von 2009-2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales
FN6) Anm.: Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit
FN7) Möller, Carola.: Ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse – verstärkte Spaltung der abhängig Arbeitenden. Konsequenzen für die Frauenforschung und die Frauenbewegung, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, H. 9/10 1983, S. 7 – 15; hier: S. 11
FN8) Anm.: Kindertagesstätten
FN9) Braun, L.: Die weiblichen Dienstboten. In: Brinker-Gabler, G.: Frauenarbeit und –beruf, Frankfurt/Main 1979.
FN10) Vgl. dazu den 3. Freiwilligensurvey 2009 – TNS Infratest Sozialforschung: Hauptbericht des Freiwilligensurvey 2009. Zivilgesellschaft, soziales Kapital und freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004-2009. München: TNS Infratest 2010.
FN11) Olk, Thomas.: Schriftliche Stellungnahme. BT-Drucksache 13/294 1998, S. 37-41
FN12) Anm. Kristina Schröder: deutsche Politikerin der CDU, war von 2009-2013 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
FN13) Anm.: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – Kurzname Ver.di
Semesterschwerpunkt: Entgrenzte Arbeit