In Erinnerung an Michael Nothdurfter (1961-1990)
Peter Goller
Ignacio Ellacuría SJ und Segundo Montes SJ. Studenten der Theologie an der Universität Innsbruck 1958-1964. Eine Erinnerung an die Befreiungstheologie.[1]
Im Wintersemester 1958/59 kommt Ignacio Ellacuría an die Katholisch Theologische Fakultät der Universität Innsbruck. Während Ellacuría vom Wintersemester 1958/59 bis zum Sommer 1962 hört, studiert Segundo Montes hier von 1961 bis 1964.
Ignacio Ellacuría (1930 als Sohn eines Arztes geboren in Portulagete im vom spanischen Franco-Faschismus mit Hilfe des Kirchenapparats besonders unterdrückten Baskenland) kam 1948 nach dem Erwerb eines Baccalaureats in Zaragoza als junger Jesuitennovize erstmals nach El Salvador. Bis Mitte der 1955er Jahre studierte er Philosophie und Sprachen in Quito, Ecuador. Nach Innsbrucker Studienjahren promovierte er in Madrid über den baskischen Philosophen Xavier Zubiri.
1967 nach El Salvador zurückgekehrt lehrte Ellacuría – so wie auch Segundo Montes oder Jon Sobrino – an der 1964 in San Salvador gegründeten katholischen Universidad Centroamericana (UCA). Anfang der siebziger Jahre zur Befreiungstheologie gestoßen – diese war zu diesem Zeitpunkt im Vorfeld des CIA gelenkten Putsches gegen Salvador Allende in Chile am 11. September 1973 schon in das Schussfeld des US-Imperialismus geraten – begann Ellacurías Einsatz zur Befreiung der Salvadorianer aus ihrem Massenelend. Ellacuría trat – unter dem Eindruck der Morde an Kleinstbauern, an Landarbeitern, dem Mord an Pater Rutilio Grande, der 1977 mit seinem Fahrer – so Ignacio Ellacuría – „zum tätigen Zeugnis für den christlichen Glauben im Kugelhagel aus den Gewehren der Unterdrücker starb“, dem Mord an Erzbischof Oscar Romero 1980 für eine strikte Bodenreform ein. Er benannte die ausbeutenden Eliten (einer parasitären Kaste von Latifundienbesitzern und deren Paramilitärs).
Aus seinen Schriften sei als programmatisch erwähnt „Geschichtlichkeit des christlichen Heils“[2] – deutlich den Einfluss von Karl Rahner, von Rahners „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“ zeigend, - „Die Kirche der Armen, geschichtliches Befreiungssakrament“[3], „das gekreuzigte Volk“[4], „Utopie und Prophetie“[5] oder „Theologie der Befreiung und Marxismus“[6] in abwehrender Reaktion auf die von der römischen Glaubenskongregation unter Josef Ratzinger 1984 erlassene Instruktion gegen die Befreiungstheologen.
Am 16. November 1989 wurde Ignacia Ellacuría in San Salvador von einem Armeekommando als ein „Kopf der linken Subversion“ ermordet, zusammen mit dem ebenfalls an der UCA dozierenden Segundo Montes, mit vier weiteren Jesuiten einer Hausangestellten und deren Tochter (Elba Julia Ramos, Celina Marisela Ramos, Ignacio Martín Baró SJ, Amando López SJ, Joaquín López y López SJ, Juan Ramón Moreno SJ)[7]
Segundo Montes wurde am 19. Mai 1933 in Valladolid als Sohn der Einzelhändler Segundo und Maria Montes, geboren. Wie Ignacio Ellacuría hat er vor seinem Studium in Innsbruck ein philosophisches Lizentiat und Baccalaureat in Ecquador (Quito) erworben und ist im Oktober 1961 nach einem Studium an der nordspanischen Jesuitenfakultät in Ona/Burgos nach Innsbruck gekommen. Im Juli 1963 wurde Segundo Montes – wie zwei Jahre zuvor 1961 Ignacio Ellacuría – in der Innsbrucker Jesuitenkirche (Dreifaltigkeitskirche) von Bischof Paulus Rusch zum Priester geweiht.[8]
Ignacio Ellacuría trifft 1958 in Innsbruck auf eine Fakultät, an der die nach 1848 im „Kulturkampf“ eingenommene „ultramontan“ neuscholastisch geprägte Apologetik gegen den bürgerlichen Liberalismus von außen und gegen den „Modernismus“ im Inneren im Auslaufen war, an der aber auch die offizielle kirchliche Sozialdoktrin mit dem 1957 für Soziologie und Sozialethik berufenen Johann Schasching rasch wieder in ihr Recht gesetzt war, nachdem 1947 dem Moraltheologen Johannes Kleinhappl (bis 1948 SJ, 1893-1979) die eben erst erlangte Professur entzogen worden war, da die Ordens-Zensoren davon ausgingen, dass Kleinhappls „Anschauungen mit dem päpstlichen Rundschreiben Q.a. (Quadragesimo anno) nicht vereinbar seien.“[9]
Johannes Kleinhappls Kapitalismuskritik ging von Gesellschaft als einem System antagonistischer Klasseninteressen, also auch von Karl Marx‘ Arbeitswertlehre, Mehrwerttheorie, von Marx‘ Deutung der brutalen kapitalistischen (ursprünglichen) Akkumulation, beschrieben im Abschlusskapitel von „Kapital I“ (1867), von Marx‘ und Engels‘ Klassenkampfananalyse aus, weshalb er in Widerspruch zur naturrechtlich fundierten Apologetik des Privateigentums an Produktionsmitteln als in Einklang mit der „göttlichen Ordnung“ stehend geriet, wie dies Kleinhappls Innsbrucker Vorgänger Joseph Biederlack schon in den 1890er Jahren in Anschluss an die Enzyklika „Rerum novarum“ (1891) postuliert hatte: „Das Privateigentum auch an den Produktionsmitteln ist aber eine Forderung des Naturrechtes und damit des christlichen Sittengesetzes, wie Leo XIII. z.B. in der Enzyklika Rerum novarum klar dargelegt hat.“, so Biederlack 1922.[10]
Nicht zufällig wird aus Anlass des 100 Jahr-Jubiläums der Fakultät Josef Biederlacks so genannte „sozialrealistische“ Richtung gewürdigt, indem Johann Schasching in der Jubiläumsfestschrift verehrend an Biederlack erinnert.[11]
Johannes Kleinhappl – auch in der Linie des kanonischen Zinsverbots denkend – hat 1947 die Lage der Lohnarbeiter als eine rechtlose beschrieben: „In gewisser Hinsicht ist die Lage des heutigen Proletariers noch ungünstiger als die des antiken Sklaven und Leibeigenen. (…) Der Proletarier von heute ist zwar frei, er braucht auch nicht gekauft zu werden; er bietet nur seine Arbeitskraft an.“ Wenn auch nicht im Sinn von Karl Marx so verlangt Kleinhappl in „juristensozialistischer“ Tradition das „Recht auf den vollen Arbeitsertrag“. Er verlangt eine „vollständige Überwindung des Herren-Knecht Verhältnisses“, während die päpstliche Soziallehre eine („ständische“) Klassenhierarchie als notwendigen Ausdruck einer sittlich göttlichen Ordnung postuliert. Kleinhappl fordert eine radikale Bodenreform zugunsten der Kleinbauern und Landarbeiter ein, unter einem soll das „Renten tragende Bodeneigentum“ abgeschafft werden. Kleinhappl bestreitet, dass seine Auffassungen im Gegensatz zur thomistischen Lehre von der „unitas ordinis“, zur Arbeitswertlehre des Thomas von Aquin stehen.
1947 war Kleinhappls Manuskript „Die soziale Frage. Wesen-Ursache-Lösung“ der innerkirchlichen Kontrolle unterworfen worden. Ein Zensor urteilte: „Dass Verf. philosophisch das Element der Macht und ihrer wesentlichen Bedeutung im gesellschaftlichen Leben nicht geklärt hat, verursacht sein Mitgehen mit dem Sozialismus in der Auffassung von Klasse, Klassenkampf und klassenloser Gesellschaft, verursacht seine, ihm selbst singulär vorkommende Auffassung von der inneren Begrenzung des Privateigentums durch die Möglichkeit, es mit eigener Arbeit, aber nicht mit fremder Arbeit nützen zu können usw., verursacht seine Quadragesimo anno nicht entsprechende, Marx ausdrücklich billigende Auffassung vom Wesen der ‚kapitalistischen Wirtschaftsweise‘ und des Arbeitsvertrages, verursacht schließlich auch seine Betrugs- oder Gewaltthese, wo immer arbeitsloses Einkommen in der gesellschaftlichen Wirtschaft als Dauererscheinung auftritt. (…) Mit solcher Verfahrensweise läuft Autor Gefahr, die heute in manchen katholischen Kreisen verbreitete Auffassung und Ablehnung der Quadragesimo anno als ein ‚kapitalistisches‘ Dokument zu stützen.“ Wer war der anonyme Zensor? Oswald Nell-Breuning?
Die feindselige Degradierung des ehemaligen Ordenskollegen Kleinhappl war deutlich und wurde im 100. Jubiläumsjahr der Katholisch-Theologischen Fakultät 1957/58 zusätzlich demonstriert, indem Nell-Breuning, dem Ideologen der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ (1931), die auch ein Vorbild für den austrofaschistischen „Ständestaat“ gewesen war, ein Innsbrucker Ehrendoktorat verliehen wird. Johann Schasching würdigte Nell-Breuning noch 1994 als den bedeutsamen Fortsetzer der antisozialistischen päpstlichen Soziallehre, wie sie 1878 im Rundschreiben „Quod apostolici muneris“ festgeschrieben war.[12]
Weder Ignacio Ellacuría noch Segundo Montes frequentierten die Vorlesungen von Johann Schasching. Später wurde die kirchliche Soziallehre von einigen Befreiungstheologen als paternalistisch ungeeignet für die lateinamerikanischen Verhältnisse eingeschätzt. Enrique D. Dussel notiert: „Die Soziallehre der Kirche versperrte den Christen jedes Verständnis für den Marxismus. Seit der weit zurückliegenden Enzyklika […] ‚Rerum novarum‘ (von 1891), in de[r] der Marxismus verdammt wird, weil seine Anhänger in den Armen den Hass gegen die Reichen anfachen, das Privateigentum abschaffen und durch das Gemeineigentum ersetzen wollen‘, und noch später in der Enzyklika ‚Quadragesimo anno‘ (1931) bleibt die Stellungnahme der Kirche immer die gleiche: eine Verurteilung und Verdammung in Bausch und Bogen.“
Ignacio Ellacuría notiert: „Die Soziallehre der Kirche ließ sich als ein Versuch beschreiben, den Kapitalismus zu reformieren. Die befreiende Erfahrung in Lateinamerika war jedoch eine andere. (...) Der Kapitalismus war unmöglich zu reformieren.“[13] In „Utopie und Prophetie“ warnt Ellacuría vor den Folgen einer so genannten nordatlantischen Weltordnung: „Die reale Situation Lateinamerikas denunziert insbesondere die innere Bosheit des kapitalistischen Systems und die ideologische Lüge des Anscheins von Demokratie, die es begleitet, legitimiert und verschleiert.“[14]
Zu Ellacurías zentralen Innsbrucker Lehrern zählt Hugo Rahner (1900-1968), Erforscher der Kirchenvätergeschichte, Verfasser eines Buches zur ignatianischen Spiritualität, einer der Vordenker einer „Verkündigungstheologie“.[15]
Franz Lakner, ein weiterer wichtiger Lehrer von Ignacio Ellacuría, hat zum 100 Jahr-Jubiläum der Fakultät 1958 die Entwicklung der dogmatischen Theologie an der Universität Innsbruck ausgehend von der neuscholastischen Abwehrformierung („Syllabus Errorum“ 1864, Erstes Vatikanum, Infallibilitätsdogma 1870) gegen die bürgerliche Aufklärung, gegen den Liberalismus – ausgehend von der Abwehr der Französischen Revolution und der die weltliche Stellung der Kirche gefährdenden (italienischen oder deutschen) „Nationaleinigung“ beschrieben: „Weil aber jene Zeit [des „Kulturkampfs“ um 1870] der Kirche und der kirchlichen Wissenschaft feindlich gegenüberstand, waren die Auseinandersetzungen mehr ein Kampf, vor allem ein Verteidigungskampf – es ist das apologetisch polemische Zeitalter der Fakultät.“
1958 war diese defensive Haltung angesichts der (über zahlreiche Konkordate) erfolgten Absicherung des Kirchenapparats innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, des bürgerlichen Staats überholt. Lakner erwähnt ebenfalls die von Innsbruck ausgehende „kerygmatische Theologie“. Auch an der Innsbrucker Fakultät wurde angesichts der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen die neuzeitliche Philosophietradition von Descartes, Kant, hin zum deutschen Idealismus nun annähernd aufgenommen: „Die Notwendigkeit einer auf die Verkündigung ausgerichteten Theologie hat erstmals J.A. Jungmann zwar nicht ausgesprochen, aber doch klar begründet, freilich zunächst vom praktischen Standpunkt des Seelsorgers aus. Der Ausdruck ‚Kerygma‘ sollte auf die apostolische Glaubensverkündigung hinweisen und die Seelsorger und Theologen veranlassen, die urchristliche Darlegung der Offenbarungswahrheiten zu studieren und daraus Anregungen zu schöpfen für die Verkündigung der Lehre Christi in unserer Zeit.“
Unter einem verweist Lakner auf die Einwirkung von Martin Heideggers „Fundamentalontologie“ und damit auf die neuen Strömungen einer die innerweltliche Geschichte einbindenden, auf „scholastischem Boden“ stehenden Theologie, ausgehend von Karl Rahners „Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin“, soeben 1957 „im Auftrag des Verfassers überarbeitet und ergänzt von Johannes Baptist Metz“ in zweiter Auflage erschienen, Lakner fortfahrend: „Sicher ist es, daß man zuerst von einer Existenzphilosophie sprach und daß Martin Heidegger als einer der klassischen Vertreter der Existenzphilosophie angesehen wird; von seiner Philosophie und ganz besonders von der Art und Weise seines Philosophierens gingen starke Impulse auch auf katholische Philosophen aus, zumindest in dem Sinne, dass sie sich auch mit dieser Philosophie auseinanderzusetzen hatten.“ Lakner schließt mit einer Bemerkung zu seinem Fakultätskollegen Karl Rahner, der eine Linie von aristotelisch thomistischer Erkenntnismetaphysik hin zu (Kantscher) Transzendentalphilosophie, zu gegenwärtiger Existenzanalyse zieht. Für Rahner erschließt sich Metaphysik nur aus Weltzugewandtheit (Thomas‘ „conversio intellectus ad phantasma“): „Karl Rahners Interpretation der Erkenntnislehre von Thomas ‚Geist in Welt‘, vielleicht die tiefsinnigste der neueren Scholastik, gibt sich von vornherein nicht als rein historisch nachzeichnende Darstellung, sondern als immanente Systematisierung auf den Horizont von Hegel und Heidegger hin.“[16]
Die philosophische Lehre war an der Innsbrucker Theologenfakultät bis in die Nachkriegsjahre von der scholastisch („thomistisch“, auch „suarezianisch“) angeleiteten „Summa philosophiae christianae“ (1920/21) des ab 1905 hier lehrenden, antiliberal kulturkämpferischen Jesuiten Josef Donat und dessen Auseinandersetzung mit dem „Modernismus“ geprägt.
Der nach 1945 als Professor für christliche Philosophie lehrende Emerich Coreth, der sich mit einer Schrift über „das dialektische Sein in Hegels Logik“ habilitiert und sich mit den deutsch idealistischen Positionen insgesamt beschäftigt hatte, beschrieb seine Position als Versuch, „zu einer transzendental-philosophischen Begründung der Metaphysik“ zu gelangen: „Es ist die Begegnung zwischen der transzendentalen Problematik, wie sie seit Kant für das gesamte neuere Denken schlechthin grundlegend geworden ist, und einem Seinsdenken, wie es die scholastische Philosophie vollzieht und wie es im Raum der Gegenwartsphilosophie zu neuem Denken erwacht ist. Damit stellt sich aber die Aufgabe einer Transzendentalphilosophie als Seinsmetaphysik, d.h. die Aufgabe, die Metaphysik transzendentalphilosophisch neu zu begründen und neu zu vollziehen.“[17]
Coreth knüpfte dabei an einen seiner Vorgänger, an Lorenz Fuetscher, an, der 1930 die „Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik“ programmatisch gestellt hatte, indem er überraschender Weise den als Verfasser der „Kritik der reinen Vernunft“ abgelehnten Immanuel Kant im Licht der scholastischen Philosophie anwendbar machen wollte.[18]
Fuetschers Umgang mit Immanuel Kant war schon ein großer Zwischenschritt, wenn berücksichtigt wird, dass Johannes Wieser 1877 im programmatischen Eröffnungsaufsatz der „Zeitschrift für katholische Theologie“ Kant als „philosophischen Luther“ und Gegner der aristotelisch-thomistischen Scholastik („Aber was ist Kant anderes als der philosophische Luther?“) markiert hatte, und wenn dessen Innsbrucker Jesuitenkollege Max Limbourg 1878 an selber Stelle gegen die Losung „Zurück zu Kant!“ ein „Zurück vor Kant!“ zur Philosophie „der Vorzeit“ setzt. Aus den „Wirren“ der nachkantischen Spekulation (Hegel, Fichte, Schelling) schließt Limbourg unter Berufung auf den in katholischen Kreisen bald selbst in Ungnade fallenden Kant-Gegner Franz Brentano und auf dessen Aristoteles-Verehrung: „Nein, es muß vor Kant zurückgegangen werden, zur Philosophie der Vorzeit.“[19]
Emerich Coreth setzte sich in der Frage einer theologischen (biblischen) Hermeneutik nicht nur mit der protestantischen Theologie (Rudolf Bultmann, Karl Barth) auseinander, sondern auch mit der „existenzial-ontologischen Analytik des Daseins in M. Heideggers ‚Sein und Zeit‘ (1927)“, mit Heideggers auch von Paulus, Augustinus, Luther oder Kierkegaard herkommenden „Hermeneutik des Alltags“ und den „Existentialien“ wie „In-der-Welt-Sein“, „Sorge“, „Angst“, „Schuld“, „Gewissen“, „Tod“, was Georg Lukács von einem bürgerlich irrationalistischen „Aschermittwoch des parasitären Subjektivismus“ sprechen ließ.[20]
Ignacio Ellacuría, für den Coreths Heidegger Lehrveranstaltungen von großer Bedeutung waren, glaubte, dass dessen Ansatz zu sehr auf eine „nichtlateinamerikanische Theologie“ orientiert ist. Nach Ellacuría lässt sich unter den Bedingungen der kapitalistischen Ausbeutung in Lateinamerika ein theologischer Verstehenshorizont aber nicht ohne Einbindung der „marxistischen Theorie“ erschließen: Zur Erfahrung des sozialen Elends „tritt die marxistische Theorie hinzu, die das Phänomen von Armut und Ungerechtigkeit wissenschaftlich erklären will sowie eine Alternative vorschlägt, wie es real überwunden werden kann.“[21]
Martin Maier hat 2004 folgende Rahner-Studien als besonders wichtig für Ellacuría eingeschätzt: „Zur Frage der Dogmenentwicklung“ (1954),[22] das Ende von Dogmatik als bloßer loyaler Dienerin des kirchlichen Lehramts darstellend – weiters: „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“ (1962)[23] –, dazu Martin Maier: „Aufbauend auf Rahner hat Ignacio Ellacuría eine geschichtliche Hermeneutik der Offenbarung erarbeitet. Seine Voraussetzung ist, dass sich das Wort Gottes in der Geschichte aktualisiert.“
Martin Maier zitiert weiter Rahners „über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie“ (1959)[24], „über das Verhältnis von Natur und Gnade“ (1960)[25], den Aufsatz über das Verhältnis von „Exegese und Dogmatik“ (1961).[26] Wichtig war auch Rahners 1960 veröffentlichter Vortrag „Theologische Prinzipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen“.[27]
Ignacio Ellacuría weitet Karl Rahners auf die individuelle Subjektivität ausgerichtete Geschichtsdeutung auf die Ebene der gesellschaftlichen Klassenwidersprüchlichkeit aus, ausgehend vom Unglück der lateinamerikanischen Massen als eine Kirche der „Option für die Armen“. Ellacuría bezieht sich auf das Verhältnis von Geschichte und Heilsgeschichte, von „christlicher Eschatologie und innerweltlicher Utopie“ (so Karl Rahner 1965 in einer Veranstaltung der Paulus-Gesellschaft zum Dialog von Christentum und Marxismus ), auf Geschichte des Leidens umschlagend in eine Befreiungsgeschichte, so Martin Maier über den Ansatz zu einer historischen Soteriologie: Ellacuría „fasst die Thesen Rahners in seinem Beitrag ‚Geschichtlichkeit des christlichen Heils‘ so zusammen: ‚1) Heilsgeschichte ereignet sich in Weltgeschichte, denn Heil geschieht jetzt, wird vom Menschen frei angenommen und bleibt in der Profangeschichte in der Zweideutigkeit des immer möglichen Heils oder Unheils verborgen. 2) Heilsgeschichte ist von Profangeschichte verschieden, weil die Profangeschichte keine eindeutige Interpretation auf Heil und Unheil gestattet, (…).“ – so Ellacuría Rahner sinngemäß zitierend.[28]
Martin Maier schließt mit Ellacurías Interpretation der biblischen Offenbarung als Blick auf die Armen als zentralen Subjekten, auf eine Parteilichkeit zugunsten der Unterdrückten, als „Passion Jesu vom gekreuzigten Volk her gesehen und die Kreuzigung des Volkes, vom Tod Jesu her gesehen“:[29] „Sowohl für Rahner als auch für Ellacuría liegt die Einheit von Nächsten- und Gottesliebe letztlich in der Christologie begründet, aber nicht in einer abstrakten Christologie der Substanzen und Naturen, sondern in einer Christologie, die mit dem historischen Jesus und seinem Weg in der Geschichte verbunden ist. Dieser Weg hat für Ellacuría ‚als grundlegende Dimension die Liebe zum Menschen, und er nimmt die unterschiedlichen Formen der Liebe an, in denen sich das ganze Leben Jesu entfaltete.‘ Christus macht sich im Nächsten gegenwärtig, aber nicht allgemein, sondern bevorzugt in den Armen und Leidenden. Deshalb muss die christliche Liebe konkret und geschichtlich werden in der Option für die Armen und im Kampf für die Gerechtigkeit.“ Ellacuría entwickelt Rahners „existentielle“, den „Thomismus mit der Philosophie Kants“ konfrontierende und „die transzendentale Methode für die thomistische Erkenntnislehre“ fruchtbar machende Theologie (jenseits einer „rationalistischen Neuscholastik“, so Herbert Vorgrimler) mit Blick auf die lateinamerikanischen Klassenverhältnisse. Geschichte ist aber schon für Karl Rahner nicht Geschichte eines unaufhaltsam linearen bürgerlichen Fortschritts, sondern Geschichte des Leidens (der unterdrückten Völker), so wie zu gleicher Zeit Johann Baptist Metz in „Memoria passionis“ unter „Rückkehr der Theodizeefrage“ ein „Leidensapriori“ annimmt, indem er auf Theodor W. Adornos „Negative Dialektik“ verweist: „Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit.“[30]
1978 wurde Karl Rahner zu seiner Stellung zur Befreiungstheologie, auch zu deren explizit linken Strömungen befragt. Rahner solidarisierte sich nachdrücklich mit den „linken Christen“, auch wenn er vorsichtig meinte, er sei nicht deren Theoretiker, denn seine Haltung erkläre sich eigentlich allein schon aus der Linie der Konzilskonstitution „Gaudium et spes“. In seinen Beiträgen zu einem Dialog „Christentum/Marxismus“ war Rahner seit den 1960er Jahren zögerlich, indem er wiederholt fragt, ob nicht „die marxistische Zukunftserwartung“ einer klassenlosen Gesellschaft in „konträrem Widerspruch“ zur „christlichen Lehre von der absoluten Zukunft des einzelnen Menschen und der Menschheit“ nach dem „Wort Gottes“ steht: „Das Christentum hat als Religion der absoluten Zukunft keine innerweltliche Zukunftsutopie.“
Vor allem so – Rahner hintergründig – unterscheide er sich von der „Mentalität“ der meisten deutschen Bischöfe, denen es keinesfalls präsent ist, dass Theologie „von der Erfahrung der Unfreiheit und Ungerechtigkeit“ her gedacht werden muss.[31]
1980 erklärt Rahner vor dem Hintergrund der drohenden Abkehr vom Kurs von Medellin (1968), dass die innerkirchliche Kritik an der Befreiungstheologie angesichts rechten Terrors einzelne dieser Theologen konkret gefährdet, dass also jede diffamierende, distanzierende „theologische Sentenz drüben praktisch ihr Todesurteil sein kann“.[32]
Leonardo Boff berichtet 1992 über Karl Rahner, seinen Münchner Lehrer: „Von großer Bedeutung war für mich damals die Begegnung mit Karl Rahner. Sein transzendentaler Ansatz, dass der Glaube als Bedingung seiner Möglichkeit eine anthropologische Struktur – im Sinne einer radikalen Offenheit für das Unendliche – voraussetzt, hat mein Denken maßgeblich mitgestaltet. Karl Rahner ließ mich ein Christentum erahnen, das alle konfessionellen Grenzen übersteigt, weil es sich dem Geheimnis von Welt und Mensch verpflichtet weiß. (…) Später setzte er sich spontan für mich ein – angesichts des Drucks von Rom, unter den ich ab Ende der siebziger Jahre geraten war. Er diskutierte ernsthaft und kritisch mit mir, was denn eine Theologie der Befreiung bedeuten und was ein volksverbundenes Christentum und eine Kirche an der Basis sein könnten. Er unterstützte mich voll und ganz und verfolgte meine Veröffentlichungen, als wäre ich ein Sohn oder Patenkind von ihm, an dem er sehr hängt und dem seine ganze Sorge gilt.“[33]
Johann Baptist Metz bezeichnet 1991 im Vorwort zur zehnten deutschsprachigen Auflage von Gustavo Gutiérrez‘ „Theologie der Befreiung“ diese als den wichtigen Versuch, „der sozialen und politischen Leidensgeschichte“ der lateinamerikanischen Völker pastoral mit Hilfe des Evangeliums auf die Spur zu kommen. Gutiérrez verzichtet aber auch angesichts des Untergangs der sozialistischen Länder in Europa weiterhin nicht auf eine unterstützende „marxistische Kategorienwelt“, die so Metz nunmehr „fragwürdig“ erscheinen mag: „Die biblische Tradition kennt den ‚Hunger und Durst nach Gerechtigkeit’, und zwar nach ungeteilter Gerechtigkeit für alle, für Lebende und Tote, für gegenwärtige und vergangene Leiden.“
Während Karl Rahner und Johann Baptist Metz für die Befreiungstheologie eintraten, agierten Josef Ratzinger – nunmehr als Präfekt der Glaubenskongregation – und der Kölner Kardinal Joseph Höffner 1984 scharf ablehnend, indem sie in polemischer Manier – den US-„Rockefeller-Bericht“ von 1969 und die ebenfalls von „marxistischer Infiltration“ sprechenden „Santa-Fe-Papiere“ von 1980 im Vorfeld der Reagan-Administration variierend[34] - den „Marxismusvorwurf“ vorbrachten. Die Befreiungstheologie würde die christliche Offenbarung zu sehr auf die Ebene einer „soziologisierenden“ Theorie herabbrechen, angeleitet vom Buch Exodus (und vom, so Ellacuría,[35] „leidenden Knecht Jahwes“ in babylonischer Gefangenschaft, Buch Jesaja) einseitig isoliert von einer „Option für die Armen“ sprechen: „Unkritische Anleihen bei der marxistischen Ideologie [vom Klassenkampf] und der Rückgriff auf die Thesen einer vom Rationalismus geprägten biblischen Hermeneutik sind die Wurzeln dieser neuen Deutung, die daran ist, das zu verderben, was das anfängliche großherzige Engagement für die Armen an Echtem besaß.“ Im Ratzinger-Dekret wird fortfahrend „das Denken von Karl Marx“ als eine hermetische atheistische „Weltanschauung“ aufgefasst und als „Irrtum“, der „die Wahrheit des Glaubens“ bedroht, gebrandmarkt, aus der man auch nicht vereinzelte Elemente einer Kritik der politischen Ökonomie herausgelöst rezipieren kann: „Wir rufen in Erinnerung, dass der Atheismus und die Negation der menschlichen Person, ihrer Freiheit und ihrer Rechte, sich im Zentrum der marxistischen Konzeption befinden.“ Die Hermeneutik der Befreiungstheologie verlasse den Boden der sich oft auf das „mildtätig Karitative“ beschränkenden katholischen Soziallehre, die hierarchisch gestufte Klassenunterschiede als naturrechtlich im Einklang mit einer sittlich göttlichen Weltordnung stehend ansah. Die Theologie der Befreiung verliere sich in „Blendwerk“, wecke biblisch nicht gedeckte Illusionen über irdische Utopien („zwischen der Himmelfahrt des Herrn und seiner Wiederkehr am jüngsten Tag wird es kein irdisches Paradies geben“ – J. Höffner). Sie verwechsle die „Armen der Schrift mit dem Proletariat von Marx“, diskreditiere das kirchliche Lehramt als Magd der „Unterdrückerklasse“, verwandle die „Eucharistie“ in „Klasseneucharistie“, beschränke das „in Christus geschenkte Heil“ klassenspezifisch auf die Armen: „Der Klassenkampf als Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft ist ein Mythos, der die Reformen verhindert sowie das Elend und die Ungerechtigkeiten verschlimmert.“[36]
Wie Enrique Dussel und andere Befreiungstheologen grenzt sich auch Ignacio Ellacuría vom atheistischen „Diamat“ ab. Clodovis Boff spricht davon, dass die innerkirchlichen Gegner in denunzierender Absicht gezielt den „Mythos der marxistischen Inspiration“ pflegen, aber: „Das Evangelium ist das Herz der Theologie der Befreiung“. Der Marxismus wird nur instrumentell benützt, so wie andere sozialwissenschaftliche Theorien (Max Weber u.a.) auch.[37]
Auch Ellacuría weist den Vorwurf Ratzingers, wonach der Marxismus „die Funktion eines bestimmenden Prinzips“ für die Befreiungstheologie ausübt, zurück, „Gott wird nicht mit der Geschichte identifiziert“, „das Reich Gottes und sein Werden wird nicht mit der menschlichen Befreiungsbewegung“ ineins gesetzt, „die Theologie der Befreiung verfällt nicht der Verabsolutierung eines innerweltlichen Heils“, auch nicht „in die Verkehrung der sakramentalen Symbole“.
Nach Ellacuría verfährt die Ratzinger-Instruktion karikierend, indem sie etwa übersieht, dass Marx‘ und Engels‘ Auffassung von Geschichte als einer Geschichte der Klassenkämpfe kein subjektives Postulat, nicht Ausdruck von blindem Haß und gewalttätigem Revanchismus ist, sondern der objektiven Deutung des historischen Prozesses entspricht, wenn Marx 1852 schreibt: „Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Die bürgerlichen Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen, und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt.“[38]
Ellacuría weist darauf hin, dass die Marx’sche Religionskritik nichts mit der herablassenden Verachtung der freidenkerisch bürgerlichen Aufklärung zu tun hat, sondern dass diese Religion aus dem unkalkulierbar, undurchschaubaren Elend der breiten Volksmassen herleitet. Ellacuría zitiert Lenin „Über Religion“ (1908), der sich wie Friedrich Engels oder August Bebel über „Bismarcks Torheit“ im Kulturkampf – Bismarck habe mit seinen polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen nur den „streitbaren Klerikalismus“ gestärkt – geringschätzend äußert. Die Religion lasse sich nicht aus der Dummheit der Volksklassen erklären, wie der „bürgerliche Fortschrittler“ annimmt: „Das ist falsch. Eine solche Auffassung ist oberflächliche, bürgerlich beschränkte Kulturbringerei. Eine solche Auffassung erklärt die Wurzeln der Religion nicht gründlich genug, nicht materialistisch, sondern idealistisch. (…) Die soziale Unterdrückung der werktätigen Massen, ihre scheinbar völlige Ohnmacht gegenüber den blind waltenden Kräften des Kapitalismus, der den einfachen arbeitenden Menschen täglich und stündlich tausendmal mehr entsetzlichste Leiden und unmenschliche Qualen bereitet als irgendwelche außergewöhnlichen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben usw. – darin liegt heute die tiefste Wurzel der Religion. Die Furcht vor der blind wirkenden Macht des Kapitals, blind, weil ihr Wirken von den Volksmassen nicht vorausgesehen werden kann und dem Proletarier und dem Kleineigentümer bei jedem Schritt ihres Lebens den ‚plötzlichen‘, ‚unerwarteten‘, ‚zufälligen‘ Ruin, den Untergang, die Verwandlung in einen Bettler, einen Pauper, eine Prostituierte, den Hungertod zu bringen droht und auch tatsächlich bringt – das ist jene Wurzel der heutigen Religion (…).“[39]
Aber auch die Schlüsselstelle der Marx’schen Religionskritik aus 1843/44 fehlt nicht, Ellacuría in „Utopie und Prophetie“ zitierend: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.“[40]
Ellacuría verlangt, dass der Begriff des Proletariats über die klassische europäische Industriearbeiterschaft, der er unterstellt, dass sie in weiten Teil oft von einer Art Imperialismusdividende bestochen System integriert ruhig gestellt ist, hinaus erweitert wird, auf Indios, auf Campesinos, auf Taglöhner, auf die oft auch in der sozialistischen Tradition verächtlich übersehenen „Lumpenproletarier“: „Die Erfahrung, dass Campesinos und Indios Subjekte des revolutionären Wandels sind, bricht mit bestimmten marxistischen Dogmatismen.“[41]
Ellacuría knüpft an den radikalen Humanismus des jungen Marx von 1843/44 an. Ellacuría sieht seine Auffassung von den „Unterdrückten als dem eigentlichen Subjekt der Erlösung“ bestätigt, wenn Marx vom Proletariat als der „Klasse mit radikalen Ketten“ spricht, welche „einen universellen Charakter durch [ihr] universelles Leiden besitzt“.
Das Marx’sche Denken hilft mit seinem historisch materialistischen Ansatz dazu, dass Armut nicht spiritualisierend verklärt und verharmlost wird („falsche überzeitliche Spiritualismen“). Der Marxismus weckt die Hoffnung auf eine geschichtlich wirksam werdende Utopie, trägt zur Klärung ideologisch mit Herrschaftswissen vernebelter Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse bei. Während die „traditionelle Theologie“ sich in die „deduktiv-metaphysische Methode des Aristoteles“ flüchtet, nützt die Theologie der Befreiung die Hegel-Marx’sche Dialektik, von Karl Marx im „Kapital“ entfaltet: „Den Ort der Unterdrückten – die vom Glauben her als Arme gesehen werden – als bevorzugten theologischen Ort für die theoretische wie für die praktische Arbeit der Gläubigen zu wählen, besitzt tiefe biblische Wurzeln, vor allem im Neuen Testament.“
Ignacio Ellacuría folgte sinngemäß den Argumenten Enrique Dussels, der erklärt hatte, dass in der Theologie ein Weg von einer ersten Aufklärung (Kant) zur zweiten (Marx) notwendig war, Dussel sich auf Jon Sobrino beziehend und die elfte Feuerbach-These anklingen lassend: „Jon Sobrino weist darauf hin, daß viele europäische Theologien auf die Einwände der ‚ersten Aufklärung‘, der Kantischen, antworten, in der die Beziehung von Glauben und Vernunft verhandelt wurde. Dagegen stellt die ‚zweite Aufklärung‘, diejenige von Marx, die Beziehung von ‚Glaube und geschichtlicher Veränderung‘ in Frage. Wozu dient die Religion in der geschichtlichen Veränderung? Rechtfertigt der Glaube die Herrschaft oder die Befreiung von der Herrschaft? Hier ist genau der Ort, wo die Theologie der Befreiung auf den Marxismus zurückgreift: als eine Theologie, die nicht nur die Wirklichkeit interpretiert, sondern deren Veränderung legitimiert, und sei dies auch revolutionär.“ Dussel sieht in seiner Kirchengeschichte Lateinamerikas, dass die traditionelle Theologie mit Recht – wenn auch von reaktionärer Position aus – die in kapitalistisch krisenhafter Akkumulation endenden Grenzen, Fallen und barbarischen Folgen einer instrumentell halbierten Vernunft der bürgerlichen Moderne erkannt hat, was auch Johann Baptist Metz vom Standpunkt einer europäischen politischen Theologie aus unter Berufung auf die „Dialektik der Aufklärung“, auf Walter Benjamin oder Ernst Bloch beschreibt.[42]
Ignacio Ellacuría folgt Enrique Dussel auch darin, wenn dieser eine klar begrenzte Marx-Rezeption durch die Theologie der Befreiung historisch erklärt – so wie die Kirchenväter bei Platon, Thomas von Aquin bei Aristoteles oder Karl Rahner bei Martin Heidegger, so geschieht dies mit Marx: „Im 19. Jahrhundert verursachte die Verwendung der ‚historischen Wissenschaft‘ die Krise des Modernismus, und trotzdem arbeitet heute jede Theologie ‚historisch‘, denn die Krise ist vorbei. Genauso wird es im 21. Jahrhundert mit dem Marxismus geschehen.“ Ellacuría ist sich mit Dussel auch darin einig, dass gewisse Marx’sche Kategorien – wie jene zum Kapital/Arbeit-Verhältnis – schlussendlich doch auch in päpstliche Dokumente Eingang gefunden haben, so in die Enzyklika „Laborem exercens“ (1981).[43]
Ignacio Ellacuría – mit Leonardo Boff oder Hugo Assmann zu den wichtigen Theologen der Befreiung zählend – hat Gustavo Gutiérrez‘ Denken vor Augen, der die Theologie der Befreiung auch an Frantz Fanon („Die Verdammten dieser Erde“, 1961), José Carlos Mariátegui („Sieben Versuche , die peruanische Wirklichkeit zu verstehen“, 1928), an Camillo Torres, an die kubanische Revolution (Fidel Castro, Ernesto „Che“ Guevara), an „Das Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch, an die Kritische Theorie, u.a. an „Vernunft und Revolution“, das Hegel-Buch, oder den „Versuch über die Befreiung“ von Herbert Marcuse, auch an Georg Lukács‘ „jungen Hegel“ heranführt, der für seine Imperialismusanalyse Rosa Luxemburg („Akkumulation des Kapitals“, 1913), Lenin („Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, 1916/17), Nikolai Bucharin („Imperialismus und Weltwirtschaft“, 1917), etc. verwendet.[44] Gutiérrez – sich auch mit Jean Paul Sartre oder Luis Althusser auseinandersetzend – beschreibt mit Antonio Gramsci die Rolle der Intellektuellen, deren möglichen Übergang auf die Seite der Volksmassen. Leonardo Boff spricht 1980 unter Berufung auf Antonio Gramsci von der Notwendigkeit, den institutionellen Kirchenapparat aus dem „herrschenden historischen Block“ zu lösen.[45]
Segundo Montes und Ignacio Ellacuría besuchten in Innsbruck zwischen 1958 und 1964 folgende Vorlesungen, Seminare und Übungen bei den Professoren (Quelle: Universitätsarchiv Innsbruck, Theologische Inskriptionsblätter):[46]
Ellacuría Wintersemester 1958/59
Gutwenger: Theologia fundamentalis, de vera religione[47]
Zeller: Theologia fundamentalis, de Ecceslesia Christi[48]
Lakner: Theologia dogmatica Orientis separati, Introductio et Doctrina de Deo[49]
Hofbauer: Introductio in Vetus Testamentum cum historia Israel[50]
Miller: Theologia moralis, de Sacramentis in genere; de bapt., confirm.[51]
Pilz: Theologia moralis, de iustitia et iure (VII. Decalogi praeceptum)[52]
Thalhammer: Fragen der Seelenführung[53]
Heinzel: Ius canonicum, de Matrimonio[54]
- Rahner: Patrologie (2. und 3. Jahrhundert)
Ellacuría Sommersemester 1959
Gutwenger: Theologia fundamentalis, de vera religione; de inspiratione
Zeller: Theologia fundamentalis, de Ecclesia Christi
Gutwenger-Zeller: Exercitatio
Hofbauer: Introductio in Vetus Testamentum
Hofbauer: Exegesis in historiam orig.
Miller: Theologia moralis, de Sacramentis, de Eucharistia
Pilz: Theologia moralis, de iure et iustitia, de contractibus, de praeceptis Ecclesiae et particularibus
Jungmann: Das Stundengebet[55]
Heinzel: Jus canonicum, de personis, de officiis et beneficiis
- Rahner: Patrologie (4. Jahrhundert)
Ellacuría Wintersemester 1959/60
- Rahner: Theologia dogmatica, de gratia
Felderer: Theologia dogmatica, de Verbo incarnato[56]
Lakner: Theologia dogmatica, de Soteriologia
Pilz: Theologia moralis, de principiis
Miller: Theologia moralis, de paenitentia
Miller: De castitate
Sint: Introductio in libros N.T.[57]
- Rahner: Kirchengeschichte (Altertum)
Gächter: Exegesis in Evangelium secundum Joannem[58]
Heinzel: Ius canonicum, de fontibus, de iure publico
Felderer-Lakner: Exercitatio
- Rahner: Exercitatio
- Rahner: Seminar: dogmatische Prinzipien der vergleichenden Religionsgeschichte
Ellacuría Sommersemester 1960
- Rahner: Theologia dogmatica, de gratia
Felderer: Theologia dogmatica, de fide, de peccatis
Lakner: Theologia dogmatica - Mariologia
Felderer-Lakner: Exercitatio
- Rahner: Exercitatio
Gächter: Exegesis in Ep. ad Romanos
Sint: Einführung in das Neue Testament
Miller: Theologia moralis, de praeceptis decalogi
Pilz: Theologia moralis, de virtutibus theologicis
Heinzel: Ius canonicum, de delictis et poenis
- Rahner: Kirchengeschichte (Frühmittelalter)
Pohl: Philosophie der Technik[59]
Ellacuría Wintersemester 1960/61
Lakner/Felderer: Exercitatio
- Rahner: Exercitatio
Coreth: Die Philosophie M. Heideggers
Coreth: Zur Philosophie M. Heideggers (Seminar)
Lakner: Theologia dogmatica, de Sacramentis
Felderer: Theologia dogmatica, de Eucharistia
- Rahner: Theologia dogmatica, de paenitentia
Ellacuría Sommersemester 1961
Karl Rahner: Theologia dogmatica, de paenitentia
Lakner: Theologia dogmatica, de Baptismo et de Confirmatione
Felderer: Theologia dogmatica, de ordine, de matrimonio
- Rahner: Exercitatio
Coreth: Die Problematik einer christlichen Philosophie
Pohl: Die Liebe als kosmisches Prinzip
Ellacuría Wintersemester 1961/62
Lakner: Theologia dogmatica, de Deo Uno
Felderer: Theologia dogmatica, de SS. Trinitate
- Rahner: Theologia dogmatica, de Deo Creante
Lakner/Felderer: Exercitatio
- Muck: Die transzendentale Methode in der Neuscholastik[60]
- Muck: Die religiösen Probleme der Malerei – die Stilwende von 1500 und die Gegenwartskunst
Montes Wintersemester 1961/62
- Rahner: Theologia dogmatica, de Deo creante et elevante
- Rahner: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, de Deo Uno
Lakner/Felderer: Exercitatio
Felderer: Theologia dogmatica, de Sanctissima Trinitate
Heinzel: Seminar (Kirche, Staat, Schule)
Sint: Einleitung in die Bücher des Neuen Testaments
Miller: Theologia moralis, de Paenitentia
Miller: Theologia moralis, de Castitate
Pilz: Theologia moralis, de Principiis
Jungmann: Liturgie, die heilige Messe
Thalhammer: Asketik, Grundfragen der Mystik
- Rahner: Kirchengeschichte (Altertum)
- Rahner: Patrologie (die lateinischen Kirchenväter)
Ellacuría Sommersemester 1962
- Rahner: Theologia dogmatica, de Deo creante et elevante, de peccato originali
Lakner: Theologia dogmatica, de Deo Uno
Felderer: Theologia dogmatica, de Novissimis
- Rahner: Exercitatio
Felderer/Lakner: Exercitatio
Montes Sommersemester 1962
- Rahner: Theologia dogmatica, de Deo creante et elevante, de peccato originali
- Rahner: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, de Deo Uno
Felderer: Theologia dogmatica, de Novissimis
Felderer/Lakner: Exercitatio
Sint: Einleitung in die Bücher des Neuen Testaments
Heinzel: Theologia moralis, de virtutibus theologicis
Miller: Theologia moralis, de IV. et V. praecepto decalogi
Montes Wintersemester 1962/63
- Rahner: Theologia dogmatica, de gratia Christi
- Rahner: Exercitatio
- Rahner: Seminar zu Fragen über das Konzil
Felderer: Theologia dogmatica, de Verbo incarnato
Felderer/Lakner: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, de Christo Salvatore
Lakner: Introductio in Theologiam dogmaticam Orientis separati et quaestionem Unionis
Hofbauer: Exegesis in vaticinia messianica [in prophetis, apud Danielem]
Hofbauer: Kursorische Lesung der psalmen
Gaechter: Exegesis in Ev. s. Joannis
Montes Sommersemester 1963
- Rahner: Theologia dogmatica, de Gratia
- Rahner: Exercitatio
Felderer: Theologia dogmatica, de Fide
Felderer/Lakner: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, Mariologia
Gaechter: Petrus im N.T.
Maaß: Kirchengeschichte (Neuzeit)[61]
Montes Wintersemester 1963/64
- Rahner: Theologia dogmatica, de Paenitentia
- Rahner: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, de Sacramentis in genere
Felderer: Theologia dogmatica, de Eucharistia
Hofbauer: Kursorische Lesung ausgewählter Stücke aus den Propheten
Montes Sommersemester 1964
Fransen: Theologia dogmatica, de Confirmatione, de Extr. Unctione[62]
Fransen: Exercitatio
Lakner: Theologia dogmatica, de Baptismo
Felderer Theologia dogmatica, de Matrimonio
Felderer/Lakner: Exercitatio
[1] Dies wurde angesichts des Umstandes, dass die Erinnerungspolitik der Universität Innsbruck opportun in das lieblich Zeitgemäße ablenkt, verfasst. 1983/84 wurde nach öffentlich widersprüchlicher Diskussion am „Ehrenmal“ der Universität Innsbruck eine Gedenktafel für den Innsbrucker Medizinstudenten des WS 1942/43 Christoph Probst angebracht. Christoph Probst, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl, wurde am 22. Februar 1943 hingerichtet und am selben Tag vorab von einem Dreierausschuss der Universität Innsbruck vom Studium ausgeschlossen. Wofür steht die „Weiße Rose“? Für politisch antifaschistischen Widerstand, für den Kampf für ein befreites, demokratisch antimilitaristisches, humanistisches Deutschland oder für verschiedene Formen von (religiös existentieller) Innerlichkeit, individueller Verzweiflung, Spiritualität usw? Hierüber drehte sich der damalige Innsbrucker Streit, der in einer Debatte über die Denkmalinschrift „Humanität/Demokratie“ und/oder „Glaube“ zum Ausdruck kam.
1991 wurde eine zweite Tafel in Erinnerung an die am 16. November 1989 in San Salvador an der katholischen zentralamerikanischen Universität (UCA) ermordeten sechs Jesuiten, ihrer Köchin und deren 15jähriger Tochter angebracht, konkret erinnernd an Ignacio Ellacuría SJ und Segundo Montes SJ, zwei ehemalige spanische Studenten an der Innsbrucker Theologischen Fakultät, Vertreter der seit den 1970er Jahren auf Betreiben des US-Imperialismus geächteten sozialen Befreiungstheologie.
Im Vorfeld des Innsbrucker Universitätsjubiläums 2019 war die Zeit der PR-designten Erinnerung im Zeichen eines Leitbildes, das schön liberaler, toleranter, vielfältiger Prinzipienlosigkeit entspricht, gekommen. Zum 350 Jahr-Festakt wurde folglich im Oktober 2019 vom Rektorat vor dem Universitätshauptgebäude eine fragwürdige „Denkmal-Dekonstruktion“ präsentiert, die die erwähnten Gedenktafeln in das Abseits, in die nur marginale Aufmerksamkeit verdienende „zweite Reihe“ verdrängt, also entscheidend in Mitleidenschaft zieht, nicht zuletzt durch eine eigenartige „Rosen-Mystik“. Hätte eine demokratische öffentliche Diskussion stattgefunden, dann hätte vielmehr darüber gesprochen worden müssen, wie die Botschaft der beiden Gedenktafeln verstärkt wird: Durch eine entsprechend gestaltete, sichtbarere Inschrift im Sinn von „Gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, für Gerechtigkeit“. Dass sich die Tiroler Landesuniversität seit Jahren weigert ein Erinnerungszeichen an den politisch konkreten Tiroler Arbeiter/innen-Widerstand gegen das NS-Regime zu setzen, nicht einmal bereit ist, eine der jährlich stattfindenden Christoph-Probst-Vorlesungen den hingerichteten Kämpfer/innen gegen den Faschismus zu widmen, passt zur „zeitgemäß“ liberalen Orientierung in das opportun Gefällige. Das Werk von Segundo Montes und Ignacio Ellacuría ist auch Teil der Innsbrucker Universitätsgeschichte. Hiermit soll dies dem gezielten Innsbrucker universitären Vergessenwerden entrissen werden!
[2] In: Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino (Hrg.): Mysterium Liberationis. Grundbegriffe der Theologie der Befreiung, 2 Bände, Edition Exodus, Luzern 1995, Band 1, 313-360. [neben den beiden Herausgebern Beiträge von Rafael Aguirre, Ricardo Antoncich, Marcello de C. Azevedo, Clodovis Boff, Leonardo Boff, Carlos Bravo, José M. Castillo, Victor Codina, José Comblin, Franz Damen, Enrique Dussel, Juan Antonio Estrada, Ivone Gebara, José Ignacio González Faus, Gilberto da S. Gorgulho, Gustavo Gutiérrez, Juan Hernández Pico, Diego Irrarazaval, Javier Jiménez Limón, Joao B. Libanio, Julio Lois, Maria Clara Lucchetti Bingemer, Juan Ramón Moreno, Francisco Moreno Rejón, Antonio Moser, Ronaldo Munoz, Roberto Oliveros, Carlos Palacio, Alberto Parra, Alvaro Quiros Magana, Margarida L. Ribeiro Brandao, Pablo Richard, Juan Luis Segundo, Paolo Suess, Francisco Taborda, Juan José Tamayo, Ana Maria Tepedino, Pedro Trigo, Francisco J. Vitoria Cormenzana].
[3] In: Ebenda, 761-787.
[4] In: Ebenda, 823-850.
[5] In: Ebenda, 383-431.
[6] In: Theologie der Befreiung und Marxismus, hrg. von Peter Rottländer, Münster 1987, 77-108.
[7] Vgl. durchgehend Martin Maier SJ: Karl Rahners Einfluss auf das theologische Denken Ignacio Ellacurías, in: Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 83-109. Jon Sobrino: Sterben muß, wer an Götzen rührt. Das Zeugnis der ermordeten Jesuiten in San Salvador. Fakten und Überlegungen, mit einem Hintergrundbericht von Robert Peltzer, Fribourg/Brig 1990.
[8] Vgl. Gerhard Oberkofler: Dissidenten des Innsbrucker Universitätssystems. Heinrich Lammasch SJ, Ignacio Ellacuría SJ und Segundo Montes SJ (2019, online-Eintrag auf www.uibk.ac.at/universitaetsarchiv).
[9] Vgl. Johannes Kleinhappl: Unus contra omnes. Der schwere Weg gegen den Strom – Dokumentation – Reflexion – Kommentar, Innsbruck-Wien 1996, 52-93. Das 1947 inkriminierte Werk Kleinhappls über „die soziale Frage. Wesen, Ursache, Lösung“ ist mittlerweile veröffentlicht in: ebenda, 95-212, unten 99, 206, 209, 216. – mit anschließender „später Antwort Johannes Kleinhappls auf die ‚Gutachten‘ der Zensoren“. Vgl. Gerhard Oberkofler: Eine Erinnerung an den Moraltheologen Johannes Kleinhappl, in: Mitteilungen der Alfred Klahr-Gesellschaft 3/2004. Bleibt hervorzuheben, dass der Innsbrucker Diözesanbischof Paulus Rusch, damals Apostolischer Administrator, Johannes Kleinhappl die kirchliche Lehrbefugnis in Kenntnis der ordensinternen Untersuchung verliehen und ihm diese dann auch nie entzogen hat!
[10] Zu Biederlacks Kampf gegen die „Irrtümer der Sozialdemokratie“ Joseph Biederlack: Buchbesprechung, in: Zeitschrift für katholische Theologie 46 (1922), 459-461.
[11] Vgl. Johann Schasching: Josef Biederlack und die soziale Frage, in: Zeitschrift für katholische Theologie 80/1 (Sonderheft: 100 Jahre Theologische Fakultät Innsbruck 1857-1957), 211-225. Ganz konkret waren Biederlacks Innsbrucker Vorlesungen zur „sozialen Frage“ um 1890 – veröffentlicht bei Felician Rauch – Anleitungen im Kampf gegen die auch in Tirol aufsteigende Sozialdemokratie. Biederlack-Schüler wie die Brixner Theologieprofessoren Sigismund Waitz und Aemilian Schöpfer stürmten mit Hilfe mobilisierter „Knüppelgarden“ sozialistische Versammlungsversuche, so u.a. in der „Saalschlacht von Brixen“ 1893.
[12] Johannes Schasching: Zeitgerecht – Zeitbedingt. Nell-Breuning und die Sozialenzyklika Quadragesimo anno nach dem vatikanischen Geheimarchiv, Bornheim 1994, 115.
[13] Enrique D. Dussel: Theologie der Befreiung und Marxismus, in: wie Anmerkung 2, 99-130 und Ellacuría, wie unten Anmerkung 21, 109.
[14] in wie Anmerkung 2, 393.
[15] Vgl. Hugo Rahner: Eine Theologie der Verkündigung, Freiburg 1939. Vgl. Karlheinz Neufeld: Hugo Rahner. Historiker in den Brüchen der Zeit, in: Zeitschrift für katholische Theologie 141 (2019), 171-180.
[16] Vgl. Franz Lakner: Die dogmatische Theologie an der Universtät Innsbruck 1857-1957 in: Zeitschrift für katholische Theologie 80/1 (1958, Sonderheft: Hundert Jahre Theologische Fakultät Innsbruck 1857-1957), 101-141. Über die gesellschaftlichen Ursachen der „in der Neuscholastik sich vollziehenden kognitiven und geistespolitischen Isolierung“, über wie „die neuscholastische Apologie einen Wall um die Dogmatik aufwirft“ und über die „Auflösung der apologetischen Front in der neueren Theologie“ vgl. Johann Baptist Metz: Im Prozess der dialektischen Aufklärung I. Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie (Gesammelte Werke 3/1), Freiburg-Basel-Wien 2016, 36-49.
[17] Emerich Coreth: Metaphysik als Aufgabe, in: Aufgaben der Philosophie. Drei Versuche von E. Coreth, O. Muck und J. Schasching, hrg. Emerich Coreth, Innsbruck 1958, 11-95, hier 16. Vgl. Emerich Coreth: Die Philosophie an der Theologischen Fakultät Innsbruck 1857-1957, in: Zeitschrift für katholische Theologie 80/1 (1958, Sonderheft: Hundert Jahre Theologische Fakultät Innsbruck), 142-183. Vgl. Emerich Coreth: Metaphysik. Eine methodisch-systematische Grundlegung, Innsbruck-Wien-München 1961. Vgl. Otto Muck: Nachruf auf Emerich Coreth SJ 1919-2006, in: Zeitschrift für katholische Theologie 129 (2007), 97-99.
[18] Vgl. Lorenz Fuetscher: Die Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik bei Kant und in der Scholastik, in: Zeitschrift für katholische Theologie 54 (1930), 493-517. Vgl. Peter Walter: Die neuscholastische Philosophie im deutschsprachigen Raum, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. II. Rückgriff auf scholastisches Erbe, hrg. von Emerich Coreth, Heinrich Schmidinger u.a., Graz-Wien-Köln 1988, 131-194 und Peter Goller: Katholisches Theologiestudium an der Universität Innsbruck vor dem Ersten Weltkrieg (1857-1914), Innsbruck 1997, 46-59.
[19] Vgl. Johannes Wieser: Die Aufgabe der katholischen Wissenschaft in der Gegenwart, in: Zeitschrift für katholische Theologie 1 (1877), 3-56, hier 9: „Wer erkennt nicht sogleich die Analogie [im Denken des „Reformators“ Luther] mit Kant, der alle Erkenntniß auf die Erfahrung beschränkt, die Metaphysik streng genommen als unmöglich erklärt, mit eben nicht allzugroßer Bescheidenheit loszieht gegen die anmaßende Vernünftelei, welche die Lösung transcendenter Probleme, wie der Frage über das Dasein Gottes, sich zutraut, (…).“ – und Max Limbourg: Zur Charakterisirung der modernen Kantströmung, in: ebenda 2 (1878), 312-334. Noch 1911/25 polemisiert Josef Donat SJ in „Die Freiheit der Wissenschaft. Ein Gang durch das Geistesleben“ (Verlag Felician Rauch, Innsbruck, hier 3. Auflage 1925, 39-45) gegen Kant, der als Greis in seiner fernen Königsberger Studierstube „mit Tränen in den Augen“ die französiche Jakobinerrepublik begrüßt habe. Donat gegen Kants „Autonomie der Vernunft“, gegen die „Autonomie des Willens“ als „alleinigem moralischen Prinzip aller moralischen Gesetze“ und auch gegen die „Kritik der reinen Vernunft“: „Kants Autonomismus aber bedeutet Emanzipation von der objektiven Wahrheit und dadurch hat Kant, obwohl er selbst noch an unveränderlichen Gesetzen des Denkens und Handelns festhält, dem Subjektivismus mit all seinen Konsequenzen energisch die Bahn gebrochen. (…) Es ist der Abfall von der Wahrheit.“
[20] Emerich Coreth: Grundfragen der Hermeneutik. Ein philosophischer Beitrag, Freiburg-Basel-Wien 1969, 19, 80ff.
[21] Ignacio Ellacuría: Eine Kirche der Armen. Für ein prophetisches Christentum, mit einem Vorwort von Martin Maier, Freiburg-Basel-Wien 2011, 58-61, 71, 108f.
[22] in: Karl Rahner, Schriften zur Theologie I, Zürich-Einsiedeln-Köln 1954, 49-60.
[23] in: Karl Rahner, Schriften zur Theologie V, Zürich-Einsiedeln-Köln 1962, 115-135, auch wenn Rahner gegen die „innerweltlichen Heilsutopien“ später relativierend festhält: „Das vollendete Heil ist kein Moment in der Geschichte, sondern deren Aufhebung, kein Gegenstand des Besitzes oder der Herstellung, sondern des Glaubens, der Hoffnung und des Gebetes. (…) Und dennoch kann die katholisch-christliche Geschichtstheologie nicht anders als sagen, dass die Heilsgeschichte sich in der Weltgeschichte ereignet. (…) Die Heilsgeschichte deutet die Weltgeschichte als antagonistische und verhüllte.“ Angesichts dieser Differenz darf es keine „Weltflucht“ geben, angesichts von Hunger, Elend, Krieg darf es kein Abgleiten in „stoische Ataraxie“, „Feigheit“ und „Zynismus“ geben.
[24] in: Karl Rahner, Schriften zur Theologie IV, Zürich-Einsiedeln-Köln 1960, 51-99.
[25] in ebenda, 209-236.
[26] in: Karl Rahner, Schriften V, wie Anmerkung 23, 82-111.
[27] in: Karl Rahner, Schriften IV, wie Anmerkung 24, 401-428. Ähnlich Karl Rahner: Kirche und Parusie Christi (1963), in derselbe: Schriften zur Theologie VI, Zürich-Einsiedeln-Köln 1965, 348-367.
[28] Ellacuría in wie Anmerkung 2, 339. Vgl. durchgehend Herbert Vorgrimler: Karl Rahner. Leben – Denken – Werke, München 1963, hier 10-19. Zu Perspektiven der katholischen Heidegger-Rezeption (durch Karl Rahner) vgl. Matthias Jung: Heidegger und die Theologie. Konstellationen zwischen Vereinnahmung und Distanz, in: Heidegger-Handbuch, hrg. von Dieter Thomä, Stuttgart-Weimar 2005, 474-481.
[29] Ellacuría, wie in Anmerkung 2, 827.
[30] Das Adorno-Zitat aus Johann Baptist Metz: Memoria passionis (Gesammelte Schriften 4), Freiburg-Basel-Wien 2017, 200.
[31] Karl Rahner: Befreiungstheologie (1978), in: Glaube in winterlicher Zeit. Gespräche mit Karl Rahner aus den letzten Lebensjahren, hrg. von Paul Imhof und Hubert Biallowons, Düsseldorf 1986, 78-82. Karl Rahner: Marxistische Utopie und christliche Zukunft des Menschen (1965), in derselbe: Schriften zur Theologie VI, Zürich-Einsiedeln-Köln 1965, 77-88. Auch an das katholische Widerstandsrecht („Tyrannenmord“) anknüpfend, den sozialen Widerstand und die Revolution mit Blick auf die Enzyklika „Populorum progressio“ legitimierend, aber der „permanenten Revolution“ widersprechend – selbst Leo Trotzki gestehe jeder Gesellschaft friedliche Erholungsphasen zu - Karl Rahner: Zur Theologie der Revolution (1970), in derselbe: Schriften zur Theologie X, Zürich-Einsiedeln-Köln 1972, 568-586.
[32] Nach Karl H. Neufeld: Die Brüder Rahner. Eine Biographie, Freiburg 1994, 336-339.
[33] Leonardo Boff: Zwischen Poesie und Politik, hrg. von Horst Goldstein, Mainz 1994, 29f.
[34] Dussel in wie Anmerkung 2, 116f.
[35] Ellacuría in wie Anmerkung 2, 838-843, ein Verzeichnis der für die Theologie der Befreiung wichtigen Bibelstellen findet sich am Ende der zehnten Auflage von Gustavo Gutiérrez‘ „Theologie der Befreiung“ (1992).
[36] Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte der „Theologie der Befreiung“, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 2. verbesserte Auflage, Bonn (6. August) 1984. - Joseph Kardinal Höffner: Soziallehre der Kirche oder Theologie der Befreiung? Eröffnungsreferat bei der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 24. September 1984, Bonn 1984.
[37] Clodovis Boff: Die Befreiung der Armen. Reflexionen zum Grundanliegen der lateinamerikanischen Befreiungstheologen, Freiburg, Schweiz 1986, 25f.
[38] Karl Marx an Joseph Weydemeyer am 5. März 1852, in Marx-Engels Werke - MEW 28, Berlin 1978, 507f. Vgl. Gerhard Oberkofler: Daniel Berrigan SJ (1921-2016). Friedensbewegung und Befreiungstheologie, trafo-Verlag, Berlin 2016, 85-93.
[39] Zitiert nach Lenin: Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion (1908), in: Lenin, Werke 15, Berlin 1970, 404-415.
[40] Ellacuría in wie Anmerkung 2, 826, nach Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (1843/44), in Marx-Engels Werke, MEW 1, Berlin 1981, 378-391, hier 378, 390.
[41] Nach Ignacio Ellacuría, Theologie der Befreiung und Marxismus. Grundlegende Reflexionen, in: Theologie der Befreiung und Marxismus, hrg. von Peter Rottländer, Münster 1987, 77-108.
[42] Dussel in wie Anmerkung 2, 115. Vgl. Johann Baptist Metz: Im dialektischen Prozess der Aufklärung II. Neue politische Theologie – Versuch eines Korrektivs der Theologie (Gesammelte Schriften 3/2), Freiburg-Basel-Wien 2016, 27-60. Vgl. Bruno Kern: „Es rettet uns kein höh’res Wesen“? Zur Religionskritik von Karl Marx – ein solidarisches Streitgespräch, Stuttgart 2017.
[43] Dussel in wie Anmerkung 2, 121.
[44] Vgl. Bruno Kern: Theologie im Horizont des Marxismus. Zur Geschichte der Marxismusrezeption in der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, Mainz 1992, 63-65.
[45] Leonardo Boff: Neuentdeckung der Kirche. Basisgemeinden in Lateinamerika, Mainz 1980, 58f.
[46] Juan Scannone SJ, geboren am 2. September 1931 in Buenos Aires, hat am 12. Oktober 1959 in Innsbruck als Hörer der Theologischen Fakultät inskribiert. Das theologische Absolutorium wurde ihm hier nach den zwischen Wintersemester 1959/60 und Sommersemester 1963 als ordentlicher Hörer inskribierten Semestern ausgestellt. Zwei am Instituto de Literatura in Cordoba absolvierte Semester wurden auf das Innsbrucker Theologiestudium angerechnet. Juan Scannone, der unter Papst Benedikt und seinem Vorgänger isoliert worden war, wurde von Papst Franziskus beauftragt, der europäischen Kirche die lateinamerikanische (Befreiungs-) Theologie näher zu bringen. (Recherche Gerhard Oberkofler 2014).
[47] Engelbert Gutwenger SJ (1905-1985), während NS-Jahre im Exil in England, ab 1947 Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Universität Innsbruck, vgl. Emerich Coreth: In memoriam Engelbert Gutwenger SJ, in: Zeitschrift für katholische Theologie (fortan: ZfKTh) 107 (1985), 249-259.
[48] Hermann Zeller SJ (Jg. 1914), seit 1950 Universitätsdozent für Fundamentaltheologie und Dogmatik, Hausbibliothekar im Innsbrucker Jesuitenkolleg.
[49] Franz Lakner SJ (1900-1974), 1936 mit einer Arbeit über „Die Idee bei Anton Günther“ habilitiert, dessen Schriften 1857 auf den päpstlichen Index der verbotenen Bücher gesetzt worden waren (Vgl. Eduard Winter: Die geistige Entwicklung Anton Günthers und seiner Schule, Paderborn 1931). - 1938 mit dem Canisianum nach Sitten emigiert, ab 1948 Professor für Dogmatik, Neubearbeiter von Hugo Hurters „Nomenclator literarius theologiae catholicae“, Beiträge zum Programm einer „Verkündigungstheologie“ in der Linie von Hugo Rahner und Josef Andreas Jungmann: „Das reale Problem dabei war die als unvermittelt erfahrene Differenz theologisch-wissenschaftlicher Darstellung des christlichen Glaubens und praktisch-pastoraler Anforderung. Die Lösung, die P. Lakner vorschlug, bestand darin, neben der ‚wissenschaftlichen‘ Theologie eine ‚kerygmatische‘ Theologie zu fordern, die der Aufgabenstellung pastoraler Arbeit entsprechen sollte.“ Vgl. Franz Schupp: In memoriam P. Franz Lakner SJ, in: ZfKTh 96 (1974), 345f.
[50] Josef Hofbauer SJ (1892-1972), ab 1936 Professor für Altes Testament, vgl. A. Gamper: In memoriam P. Josef Hofbauer, in: ZfKTh 94 (1972), 451.
[51] Josef Miller SJ (1890-1985), ab 1946 Dozent/Professor für Moraltheologie, vgl. Emerich Coreth: In memoriam P. Josef Miller SJ, in: ZfKTh 108 (1986), 1-4.
[52] Johann Pilz SJ, Honorardozent für Moraltheologie.
[53] Dominikus Thalhammer SJ (1902-1965), Dozent für aszetische und mystische Theologie, vgl. Franz Dander: Nachruf auf Dominikus Thalhammer, in: ZfKTh 88 (1966), 342.
[54] Gottfried Heinzel (1903-1968), seit 1947 Professor für Kirchenrecht, u.a. Neubearbeiter von Hieronymus Noldins „Summa Theologiae moralis“, vgl. Josef Miller: Nachruf auf Gottfried Heinzel, in: Nachrichtenblatt der Universität Innsbruck für das Studienjahr 1967/68, Innsbruck 1972, 120f.
[55] Josef Andreas Jungmann SJ (1889-1975), Professor für Pastoraltheologie, Liturgiereformer, Verfasser von „Missarum Sollemnia“, Konzilsberater vgl. H.B. Meyer: Josef Andreas Jungmann SJ, in: ZfKTh 97 (1975), 220-222.
[56] Josef Felderer SJ (1919-2006), seit 1953 Dozent für Fundamentaltheologie, habilitiert mit einer Schrift über den „Kirchenbegriff in den Flugschriften des josephinischen Jahrzehnts“, vgl. Karlheinz Neufeld: Josef Felderer SJ, in: ZfKTh 128 (2006), 451.
[57] Josef Sint SJ (1920-1965), 1959 für neutestamentliche Bibelwissenschaft habilitiert, 1964 Professor, vgl. A. Gamper: Nachruf auf Josef Sint SJ, in: ZfKTh 87 (1965), 453f.
[58] Paul Gächter SJ (1893-1983), 1938 wegen scharf antinazistischer Äußerungen entlassen, 1945 Rückkehr nach Innsbruck als Professor des Neuen Testaments, in letzten Professorenjahren an Kommentar zum Matthäus-Evangelium arbeitend, vgl. Emerich Coreth und Martin Hasitschka: Nachruf auf Paul Gächter SJ, in: ZfKTh 105 (1983), 332-336.
[59] Heinrich Pohl SJ (1907-1962), Dozent für scholastische Theologie, Schwerpunkt „Theologie, Kosmologie, Naturwissenschaften“.
[60] Über Otto Muck, der sich als vormaliger Physikstudent auch für Philosophie des Wiener Kreises (Viktor Kraft) interessiert hat, vgl. Edmund Runggaldier: Otto Muck zum 80. Geburtstag, in: ZfKTh 131 (2009), 369-374: „Was ist Muck als Philosoph? Ist er scholastischer Metaphysiker? Aristotelischer Realist? Transzendentalphilosoph? Erlanger Konstruktivist? Hermeneutiker? Sprachphilosophischer Religionsphilosoph? Ist er vielleicht sogar analytischer Philosoph? Diese Fragen sind alle mit ja zu beantworten, aber (…).“
[61] Ferdinand Maaß SJ (1902-1973), seit 1953 Professor für Kirchengeschichte, Bearbeiter einer mehrbändigen Josephinismus-Dokumentation in streng antijosephinischem Geist, vgl. J. Mühlsteiger: In Memoriam Ferdinand Maaß, in: ZfKTh 96 (1974), 118f.
[62] Piet (Peter) Fransen (1913-1983), Ordinarius für Dogmatik und Fundamentalmoral an der Katholischen Universität Löwen, ab 1962 für einige Semester Honorardozent in Innsbruck, vgl. G.T. Vass: Nachruf auf Piet Fransen, in: ZfKTh 106 (1984), 187-189.