This is a cache of https://www.uibk.ac.at/de/newsroom/2023/vergessene-praktiken-der-waldnutzung/. It is a snapshot of the page at 2024-11-27T16:05:29.795+0100.
Vergessene Praktiken der Waldnutzung – Universität Innsbruck
Bild vom Beregnungsversuch

Die Aufnahmefähigkeit des Waldbodens wurde auf den Versuchsflächen mittels groß angelegter Beregnungsversuche vor und nach der Streunutzung getestet.

Ver­ges­sene Prak­ti­ken der Wald­nut­zung

Streunutzung – die Verwendung des nährstoffreichen Waldbodens als Stalleinstreu oder Dünger – war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Alpen weit verbreitet. Innsbrucker Wissenschaftler:innen untersuchen, wie sich diese intensive Nutzung des Waldbodens auf den Wasserhaushalt ausgewirkt hat.

Die Wälder in den Alpen sahen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch völlig anders aus als heute. Ein großer Unterschied lag dabei vor allem im Bereich der Sekundärnutzung. Nadeln und Blätter sowie die Humusschicht wurden regelmäßig abgetragen und als Stalleinstreu verwendet. Vermischt mit Mist, kam die so gewonnene Streu dann als Dünger auf den Feldern zum Einsatz. „Durch die Entnahme der obersten Bodenschichten, also der sogenannten organischen Auflage, wurde der Wald, was den Nährstoffgehalt betrifft, permanent verarmt“, erklärt Clemens Geitner vom Institut für Geographie der Uni Innsbruck. Im Projekt HILUC überprüft er gemeinsam mit Geograph:innen und Historikern, wie sich diese intensive Nutzung auf den Wasserhaushalt ausgewirkt hat. „Wir glauben, dass bei einem Hochwasser in einem Gebiet mit intensiver Waldbodennutzung der Zustand des Waldbodens und seine fehlende Aufnahmefähigkeit bei Starkregenereignissen eine Rolle gespielt haben könnte“, so der Geograph.

Video-Tipp:

Historische Quellen

In mehreren groß angelegten Experimenten will die Forschungsgruppe die damalige Situation möglichst genau rekonstruieren. Mit Großberegnungsanlagen untersuchen sie die Aufnahmefähigkeit des Waldbodens vor und nach der Streunutzung. „Um die historische Streunutzung möglichst akkurat nachzustellen, haben wir mit dem Heimatmuseum in Fügen und Zeitzeugen, die in der Vergangenheit selbst noch solche Tätigkeiten durchgeführt haben, eng zusammengearbeitet. Teilweise verwendeten wir dabei sogar historisches Werkzeug“, erklärt Clemens Geitner. Auch die Auswahl der Versuchsflächen erfolgte nicht zufällig: Auf Basis historischer Quellen wählten die am Projekt beteiligten Historiker, unter der Leitung von Kurt Scharr, Gebiete aus, in denen Streunutzung üblich war. „Als historische Datengrundlage dienen uns dabei Waldbeschreibungen um 1840. Diese unterscheiden sich allerdings in Umfang und Detailgrad teils stark voneinander. Auch existiert nicht zu jeder Waldbeschreibung eine korrespondierende Forstkarte. Diese Aspekte wurden bei der Auswahl der Untersuchungsgebiete berücksichtigt, um möglichst komplette Datensätze vorliegen zu haben“, erläutert Kurt Scharr, Professor für Österreichische Geschichte an der Uni Innsbruck. „Wir haben die Orte, für die wir über Beschreibungen zu dieser Form der Waldnutzung verfügen, mit Kartenquellen verknüpft, um so die entsprechenden Wälder genau lokalisieren zu können“, ergänzt der Historiker.

Beregnungsversuche

Mithilfe dieser umfassenden Quellenrecherche wurden insgesamt vier Versuchsflächen ausgewählt: Stummerberg im Zillertal, Söll, Ellmau und Matrei am Brenner. Daran anschließend folgte der Vergleich von historischen Angaben mit dem aktuellen Waldzustand. Über Luftaufnahmen, Waldstrukturdaten, Einschätzung von Expert:innen und ausführlichen Begehungen erfolgte die Auswahl der Testparzellen, bevor erste Beregnungsversuche in Zusammenarbeit mit dem Bundesforschungszentrum für Wald durchgeführt wurden. „Wir haben jeweils auf einer Fläche von fünf mal zehn Metern beregnet und mittels Pumpe einen Starkniederschlag von circa 100 mm pro Stunde simuliert. Am unteren Ende der Versuchsfläche wurde in einer abgegrabenen Rinne das abfließende Wasser aufgefangen“, erklärt Clemens Geitner den Versuchsablauf. Einige Wochen später galt es, auf insgesamt vier Testflächen den Waldboden nach dem Prinzip der Streunutzung abzutragen, die Beregnungsversuche zu wiederholen, die Daten zum Abflussgeschehen auszuwerten und schließlich mit dem unbehandelten Boden zu vergleichen. Auf diese Weise kann beurteilt werden, wie viel Wasser der Boden aufnehmen kann, was für die Entstehung von lokalen Hochwasserereignissen wesentlich ist. „Das Ziel ist es, aus unseren Beregnungsversuchen und mit Eingangsparametern wie dem Oberflächenabfluss-Beiwert, dem Zwischenabfluss und der Rauigkeit des Untergrunds ein Modell zu erstellen, durch das das Abflussgeschehen möglichst genau abgebildet wird“, verdeutlicht Geitner.

Zwischenergebnisse

Die ersten Versuche auf den vier Testflächen lieferten weitere Erkenntnisse, sodass die Bewertung der Nutzungseingriffe differenzierter durchgeführt werden muss, als ursprünglich vom Forschungsteam erwartet. „Die bisherigen Ergebnisse zeigen eine unterschiedliche Wirkung der historischen Bodennutzung. Während einige Testflächen keinen Oberflächenabfluss vor oder nach der Streunutzung aufgewiesen haben, zeigten andere eine Zunahme nach der Nutzung“, fasst der Geograph zusammen. Derzeit laufen die Laboruntersuchungen der organischen Bodenauflage. Die Ergebnisse sollen Daten liefern, um den Einfluss der Bodenauflage auf die Wasserspeicherung besser bestimmen zu können. Zusätzlich wurde ein Netz zur Messung der Bodenfeuchte und -temperatur installiert, um die mikroklimatischen Bedingungen mit und ohne Streu zu erfassen. „Bei unseren Experimenten, bei denen nicht nur die Flora, sondern auch die Fauna im Waldboden beachtet wird, haben wir bei Söll den seltenen Smaragdgrünen Regenwurm entdeckt. Ein Fund, der die Bedeutung naturnaher Waldbestände unterstreicht“, ist Geitner überzeugt. Im weiteren Projektverlauf will das Forschungsteam nun seine ersten Befunde vertiefen, um zu einem umfassenden Verständnis der historischen Streunutzung sowie ihrer langfristigen Auswirkungen auf die Wälder in Tirol zu gelangen.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Magazins wissenswert erschienen. Eine digitale Ausgabe finden Sie hier.

 

    Nach oben scrollen